Autor | Helen Macdonald |
Verlag | Hanser |
Umfang | 351 Seiten |
ISBN | 978-3-446-26930-9 |
Preis | Fr. 34.80 (UVP) |
Dem Lob der Meisterin des Nature Writing Helen Macdonald haben wir hier in unseren Buchtipps ja schon so einige Zeilen gewidmet. Dieses Lob können wir nun – das schon mal vorweg – anstandslos auf ihre neue Publikation erstrecken, auch wenn sie diesmal für ihre Texte eine andere Form gewählt hat… Helen Macdonald also. Ihre Themen waren und sind die Bruchstellen und Berührungspunkte zwischen Mensch und Natur, zwischen menschlichem und nichtmenschlichem Leben; ausgelotet bevorzugt entlang ihrem Herzensinteresse an Vögeln. Ihre Mittel dazu sind literarische wie bildende gleichermassen. Daran ändert die für dieses neue Buch gewählte Form der Essaysammlung erst mal nichts. Sie schafft ihr aber die Möglichkeit, ihre Betrachtungen noch bunter und facettenreicher zu gestalten.
Mal in kurzen Schlaglichtern von knapp anderthalb Seiten, mal in tiefer forschenden Aufsätzen, mal in fein gezeichneten Erlebnisberichten: In jedem der kürzeren oder längeren Texte malt uns Helen Macdonald nicht nur ein berückendes, faszinierendes und lehrreiches Detailbild der uns umgebenden Natur, sondern ebenso der auf uns wirkenden Vorstellungen und Interpretationen von „Natur“. Ob es um die Schlafgewohnheiten der Mauersegler, um einen Reisebericht in Begleitung einer Erforscherin extremophiler Organismen oder – im literarischen Äquivalent eines Reaction-Videos – um die Aufarbeitung eines YouTube-Filmchens zu Unfällen mit Rotwild geht; die Autorin führt uns durch historische und philosophische Weiten stets genauso wie durch ihre persönlichen Erinnerungslandschaften.
Ungeachtet ihrer angenehm rhythmischen Sprache und dem unverminderten Zauber ihrer Naturbeobachtungen gestaltet sich das keineswegs nur beschaulich. Oft enden ihre Texte abrupt, gleichsam auf der Höhe eines ambivalenten Gedankens, den man in seiner abschliessenden Ausformulierung nur wieder eingeschläfert hätte. Sie tritt damit ein regsames Nachdenken über die eigene Position und Stellung in unserer lebendigen Umwelt los: Längst nicht nur in jenen Lesern und Leserinnen, die sich da der eigenen Vormachtstellung noch überwiegend sicher sind. Dabei strebt sie bei aller Kritikfähigkeit und überspringenden Begeisterung niemals Deutungshoheit an. Derweil sie ihre Botschaft des zärtlichen Respekts vor dem nichtmenschlichen Leben unmissverständlich übermittelt, öffnet sie doch hauptsächlich nur den Raum, zu diesem noch einmal neuen, behutsameren Zugang zu finden.
Dass nun wir, in unserer Fokussierung auf Natur- und Umweltthemen, die in dem Buch versammelten Texte vorrangig unter diesem Gesichtspunkt würdigen, lässt sich aus Helen Macdonalds Intention gewiss rechtfertigen. Doch es ist eine weitere ihrer vielgeschätzten Qualitäten, dass aus ihren Naturbetrachtungen keine simplen Tierbücher entstehen. Aus ihrer Durchleuchtung des menschlichen Umgangs mit dem Anderen, Fremden entspringen auch stets Erkenntnisse und Herausforderungen unseres Selbstverständnisses, die dann ins Individuelle und Soziale zurückspielen. So ergibt sich ein sattes Leseerlebnis, das sich der Zurschaustellung seines Anspruchs nie scheut, das diesen aber mustergültig eingängig und verführerisch anrichtet.
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