Autor | Geoffroy Delorme |
Verlag | Malik (Piper) |
Umfang | 235 Seiten |
ISBN | 978-3-89029-557-2 |
Preis | Fr. 29.90 (UVP) |
Doch doch, genau das soll der Titel bedeuten. Der Naturforscher und Fotograf Geoffrey Delorme lebte tatsächlich unter Rehen im Wald. Sieben Jahre lang, zu Beginn noch unterbrochen von kurzen Stippvisiten in der Zivilisation, dann immer ausdauernder, verlässt er den Forêt de Bord-Louviers in der Normandie schliesslich für Jahre gar nicht mehr. Er findet Freunde und Gefährten unter den Rehböcken und –geissen im Territorium, passt sich dem Lebensrhythmus seiner neuen „Familie“ an, bis er sich schliesslich auch selbst vorsichtig nach Menschen umschaut, bevor er einen Waldweg überquert. Nachdem er als „Botschafter der Rehe“ wieder aus dem Wald heraustritt, schreibt er ein Buch über seine Erlebnisse und Erkenntnisse, das sich in Frankreich überraschend zu einem Bestseller entwickelt. Weshalb, lässt sich nun an der deutschen Übersetzung mühelos nachvollziehen.
Geoffrey Delorme lebte mit den Rehen, nicht in erster Linie wie sie. Dazu mangelte es ihm schon an den körperlichen Voraussetzungen, etwa einem Pansen. Dennoch erforderte das zunehmend autarke Leben in der Wildnis von ihm, seinen Stoffwechsel, seine Geschmacksnerven und wesentlich auch seine Gewohnheiten umzuerziehen: Eine anspruchsvolle Aufgabe, an der er uns im ersten Drittel seines Berichtes erkenntnisreich teilhaben lässt. Doch schon währenddessen verschiebt sich der Fokus immer stärker zu den Rehen. Achtsam entschlüsselt er ihre Kommunikation und Sozialstruktur, studiert ihre Ernährungsgewohnheiten und Bewegungsmuster und nähert sich ihnen – erfreut über jedes kleine Signal des wachsenden Vertrauens – geduldig und respektvoll an. Bald nehmen wir teil an der Geburt eines Kitzes, eines Jungbocks, der ihm schliesslich ein treuer Vertrauter wird. Wir begleiten die scheuen, dabei so lebenslustigen Tiere zu Rivalenkämpfen und Liebesspielen, fliehen vor Jägern und markieren Reviere. Leise, fast unmerklich zieht Geoffrey Delorme uns hinüber in die nahe, fremde Lebenswelt des Waldes. Und da „jeder, der sich für das Leben der Tiere interessiert, begreifen muss, was ein Wald ist“, sensibilisiert er uns im Abschluss seines Berichtes noch einprägsam und informativ für den Schutz dieses Lebensraums.
Wir haben in den letzten Jahren verschiedene solcher Schilderungen von Selbstexperimenten gelesen und gelegentlich auch an dieser Stelle empfohlen, wovon jetzt diese aber noch einmal einen besonderen Platz in unserem Herzen einnimmt. Diese Sympathie rührt schon mal daher, dass hier nicht – wie so oft – die Nähe zu Wölfen oder anderen als besonders achtungsgebietend bzw. symbolschwanger wahrgenommenen Tieren gesucht wird, sondern zu vergleichsweise „gewöhnlichen“. Vor allem aber liegt es am Autor. Der versteht sich auf die Poesie des Einfachen. Geoffrey Delorme kann also anrühren, ohne es spürbar darauf anzulegen, und einprägsam und sachkundig erklären, während er nur leichthin seine Geschichten erzählt. Dabei ist er von unbeirrbarer Bescheidenheit. Obwohl er notwendigerweise auch von sich selbst erzählt, drängt er sich nirgends in den Vordergrund: Ihm geht es um die Sache, und die sind seine Rehe und ein möglichst schonender Umgang mit unseren irdischen Lebensräumen und Mitbewohnern. Er entwickelt sich so über den „Botschafter der Rehe“ hinaus zum glaubwürdigen Botschafter einer Zukunft, in der das gleichrangige Miteinander von Mensch und Natur denkbar wird.
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