Autor | Peter Frankopan |
Verlag | Rowohlt Berlin |
Umfang | 1023 Seiten |
ISBN | 978-3-7371-0098-4 |
Preis | Fr. 63.80 (UVP) |
Ist man nicht gerade eine unersättliche Leseratte, wird man vom äusseren Erscheinungsbild des Buches wahrscheinlich abgeschreckt. Es ist ein voluminöses Werk, das dann diesen ersten Eindruck auch beim Blick hinein nicht gleich entschärft: Da warten dicht beschriebene Seiten mit nur seltenen Unterbrechungen durch Karten, Fotos oder Diagramme. Doch man fasse Mut! Peter Frankopan ist wunderbar befähigt, uns sein immenses, weltumspannendes Wissen zum Einfluss des Klimas auf die Menschheitsgeschichte zugänglich und lebendig zu erzählen. Im leichten Lesefluss gewinnen wir dabei ein neues, vollständigeres Verständnis unserer fernen und nahen Vergangenheit – mit gewichtigen Folgerungen für die Zukunft.
Der vielbeachtete britische Historiker Peter Frankopan meistert mit seinem neuen Mammutwerk das ambitionierte Kunststück, die Einwirkungen des Klimas auf die menschliche Weltgeschichte – und umgekehrt die Einflussnahme des Menschen auf das Klima – zwischen zwei Buchdeckel zu packen. Vor allem auch, da es ihm dann noch zusätzlich gelingt, diesen Parforce-Ritt durch die Menschheits-, Natur-, Wirtschafts- und Ideengeschichte einmalig kurzweilig zu gestalten. Er beginnt in der Vorgeschichte, bei der Menschwerdung, was allein schon seine Entschlossenheit zur oft geforderten, aber seltener praktizierten Interdisziplinarität beweist. In seinem anschliessenden, gradlinigen Gang durch die Geschichte verwebt er so viele Fäden zur informativen Tapisserie, dass man befürchten müsste, es gehe einem dabei die Übersicht verloren. Doch nicht nur schafft er ein schlüssiges Gesamtbild: Er verziert es dann noch mit allen notwendigen Differenzierungen, ohne die ein belastbares Geschichtsbild nicht auskommt. So etwa in der ausgewogenen Zentrierung seines Themas zwischen den Polen des Klimadeterminismus – der Idee, dass nahezu alle historischen Entwicklungen von klimatischen Veränderungen ursächlich angestossen seien – und der konventionellen, naturvergessenen Überbewertung rein menschlicher Aktivitäten. Gleichzeitig versteht er es, die Unterschiede zwischen den Klimaveränderungen, „die es immer schon gab“, und der aktuellen Klimakrise sensibel herauszuarbeiten.
Insbesondere in seiner vielschichtigen Aufarbeitung der letzten zwei Jahrhunderte tritt seine qualifizierte Kenntnis der Ursachen, Mechanismen und Folgen des menschengemachten Klimawandels deutlich heraus. Daneben wird er einer zusätzlichen Anforderung der modernen Geschichtsschreibung mustergültig gerecht: Dem eurozentrischen Fokus arbeitet er mit Einblicken in die Historien und Lebenswirklichkeiten Asiens, der Amerikas und Afrikas kontinuierlich entgegen, und seine Ausblicke in Religionen, Mythologien und Narrative abseits des Christentums bieten eine willkommene Bereicherung unserer angestammten Herkunftserzählungen. Die leichte Untergewichtung des subsaharischen Afrika, die wir dabei immer noch spüren, mag der dürftigeren Quellenlage geschuldet sein. Die knapp tausend Seiten des ungemein lehrreichen Bandes verfliegen jedenfalls wie… na, wie im Flug. Sie hinterlassen uns mit einem tauglicheren Bild, wie wir Menschen in die Natur passen – und wie diese uns die Grenzen unserer Anpassungsfähigkeit und unseres Gestaltungswillens nicht erst heute, sondern immer wieder mal aufzeigte.
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