Buch «Bestiarium»

Buch «Bestiarium»

Zeugnisse ausgestorbener Tierarten

Wo wir schon mal bei herausragenden und faszinierenden Bildbänden sind (siehe die Buchbesprechung der letzten Woche): Hier ist noch einer! Dieser führt uns, anhand der Sammlung eines grossen niederländischen Naturmuseums, auf die Spuren ausgestorbener Tiere – und jener einen Spezies, die dabei massgeblich ihre Hand im Spiel hat.

 

Autor Luc Semal 
Verlag Haupt Verlag
Umfang 167 Seiten
ISBN 978-3-258-07873-1
Preis Fr. 49.90 (UVP)

 

Bestiarien, das waren im Mittelalter jene Bücher oder Text- und Bildsammlungen, die die wilden Tiere beschrieben. Zusammengetragen durch Hörensagen und Beobachtung gleichermassen, fanden sich darin die Tiere nicht nur einer Beschreibung ihrer Lebensart und Gestalt, sondern auch einer Darlegung ihrer gottgefälligen oder verderblichen Charakterzüge im Lichte der christlichen Moral ausgesetzt. Da tummelten sich dann neben fleissigen Bibern und mächtigen Löwen auch sanftmütige Einhörner, teuflische Drachen, hinterhältig-mörderische Basilisken und andere Tiere, die wohl in fernen Ländern lebten. Bestien eben, die sich begrifflich, derweil der Mensch das Fremde gern als bedrohlich interpretiert, von der ursprünglichen Bedeutung ‚Wildtier' überwiegend zu Monstren wandelten. Dieser Tradition, dies darf gleich beruhigend angemerkt sein, folgt dieser Bildband nur in einem Sinn: Indem er uns 'ferne' Tiere vorstellt. Diese sind indessen nicht fern im räumlichen Sinn, sondern im zeitlichen. Sie alle sind ausgestorben.

Der Begriff 'ausgestorben' eröffnet nun natürlich ein weites Feld. Der Allosaurus ist ausgestorben, die Trilobiten und Ammoniten ebenso. Doch in dem Buch Luc Semals, des französischen Forschers der Hypothese des Sechsten Massensterbens, geht es um Tiere, die zu Zeiten der historischen Menschheit von der Bildfläche verschwanden. Der/Die gewiefte LeserIn wird seine Intention erahnen: Es geht ihm darum, uns für den sich stetig und erschreckend steigernden Schwund an unserer irdischen Artenvielfalt zu sensibilisieren.

Luc Semal macht das geschickt, indem er uns einen letzten Blick auf die im Staub der menschlichen Geschäftigkeit entschwundenen Vögel, Tiger, Wildziegen, Bären oder Beuteltiere werfen lässt - das heisst, auf ihre ausgestopften Exponate aus dem grossen naturhistorischen Museum und Forschungszentrum Naturalis Biodiversity Center im niederländischen Leiden, die der Fotograf Yannick Fourié eindrücklich und attraktiv ablichtete. Den Bildern der 69 ausgewählten verlorenen Arten, grob geordnet nach dem Zeitpunkt ihres Aussterbens, sind Texte beigesteuert, die uns neben der Tierart auch nüchtern, aber gleichsam warnend, die Umstände und Zusammenhänge ihres Dahinscheidens erläutern. Diese Umstände reichen vom Missgeschick über die Verfolgung bis zur schieren Dummheit und tragen fast durchgängig unverkennbar einen menschlichen Fingerabdruck.

Mal ganz abgesehen davon, dass wir hier einen veritablen Prachtband vor uns haben, der das Herz aller Tierfreunde, Geschichts-Geeks und natürlich Naturschützer da draussen höher schlagen lässt. Der durch konzentrierte Bildästhetik ebenso überzeugt wie durch die kurzen, aber breit bildenden und aufklärenden Texte. Der sein ungewöhnliches und nicht jedem Regal taugliche Format durch seine ungewöhnliche Anlage und üppige Ausgestaltung mehr als wettmacht... Abgesehen von all dem: Es macht einen gewichtigen Unterschied, ob wir beispielsweise der amerikanischen Wandertaube als ein Wort in einem einschlägigen Buch begegnen, oder ob wir sie hier vor uns sehen, als verloren vereinzeltes, stummes Restexemplar einer Art, die einst den nordamerikanischen Himmel verdunkelte. Die Rede vom Aussterben ist allzu schnell eine emotionslose, wenn uns das davon betroffene Tier nicht mehr sichtbar, erfahrbar ist. Diesen empathischen Kontakt stellt das Buch wieder her. Es macht uns den Verlust fassbar, den wir erleiden, wenn unsere natürliche Umwelt ungebremst verarmt. Es macht ein bisschen traurig, gewiss. Aber es macht auch verhaltene Hoffnung und befördert die Chance, dass sich zukünftige 'Bestiarien' nicht zu Mammutwerken ('tschuldigung) auswachsen müssen.

Rezension: Sacha Rufer

 

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