Die Umweltberichte
Im neusten Umweltbericht der Europäischen Umweltagentur (EUA) schliesst die Schweiz im Ländervergleich bei der Biodiversität schlecht ab. Sie hat im Verhältnis zur Landesfläche am wenigsten Schutzgebietsfläche.
Im Umweltbericht des Bundes Umwelt Schweiz 2015 wird ebenfalls betont, dass sich die Biodiversität der Schweiz in einem unbefriedigenden Zustand befindet. Abgesehen vom grossen Anteil der gefährdeten Arten, schrumpft die Fläche wertvoller Lebensräume stark und regionale Besonderheiten gehen verloren. Mit dem Aktionsplan zur Biodiversitätsstrategie soll diesen Entwicklungen entgegengetreten werden. Immerhin geht es um die Erhaltung der Ökosysteme, welche gratis wertvolle Versorgungs- und Regulierungsleistungen (Ökosystemleistungen) erbringen.
Die wunderbare Vielfalt, welche sich mit der Bearbeitung des Schweizer Bodens durch die ersten Siedler bis zur Industriellen Revolution entwickelt hat, ist massiv bedroht. Anspruchslose Arten wie der Löwenzahn verbreiten sich durch die intensive Bewirtschaftung. Die weniger intensive Bio-Landwirtschaft stagniert. Zusätzlich werden schwierig zugängliche Bergwiesen aufgegeben, Wald erobert sich diese Flächen zurück. Die Landschaft wird eintöniger.
Besonders bedroht sind nährstoffarme Lebensräume wie Auen, Moore sowie Trockenwiesen- und weiden. Abgesehen vom Nährstoff- und Schadstoffeintrag tragen Bodenverdichtung und -versiegelung, Gewässerverbauung, Landschaftszerschneidung, Invasive Arten und der Klimawandel eine Mitschuld an der Verarmung der Artenvielfalt.
Oft wird zu kurzfristig gedacht.
Schutzwälder wurden mit schnell wachsenden Bäumen aufgezogen. Wirtschaftswälder wurden mit Bäumen bestückt, deren Holz in der Industrie besonders beliebt war. Beide Wäldertypen wurden möglichst sauber ausgeräumt um ‘Schädlingsbefall‘ (insbesondere Borkenkäfer) zu vermeiden. Nun merkt man, dass Wälder ihre Funktion besonders gut erfüllen können, wenn sie aus lokal angepassten Arten und einer grossen Bandbreite von Pflanzenarten bestehen (Klimawandel). Ausserdem hat man die Wichtigkeit von Totholz erkannt: Von den rund 46'000 Tier-, Pflanzen- und Pilzarten der Schweiz sind 6‘000 explizit auf Totholzals Lebensraum oder Nahrungsquelle angewiesen. Auch wenn einige Stürme fleissig mitgeholfen haben: Der Anteil an Totholz ist in den meisten Wäldern noch immer deutlich zu gering.
Wurde bisher der schnellste, günstigste Weg als wirtschaftlich erachtet, wird heute immer klarer, dass eine grosse Artenvielfalt längerfristig wertvoller ist. Auch fürs Budget.
Die Rote Liste
Ein Viertel der in der Schweiz nachgewiesenen Arten wird überwacht und deren Gefährdungsgrad regelmässig – per Bundesratsbeschluss alle 10 Jahre – bestimmt. Die Resultate werden in 27 verschiedene Rote Listen eingetragen: Innerhalb der Wirbeltiere werden die Fledermäuse separat von den restlichen Säugetieren aufgeführt, bei den Vögeln fokussiert man auf die Brutvögel; ausserdem werden Reptilien, Amphibien sowie Fische und Rundmäuler aufgelistet. Die Insekten werden in 12 verschiedenen Kategorien erfasst, die Spinnen hingegen gar nicht. Weitere Tiergruppen mit einer eigenen Roten Liste sind Krebstiere (Zehnfusskrebse) und Weichtiere (Muscheln und Schnecken). Pflanzen werden in drei Organismengruppen kategorisiert (Gefässpflanzen, Moose, Armleuchteralgen), Flechten in zwei (Baum- und Bodenflechten) und für die Grosspilze gibt es ebenfalls eine Liste. In der Statistik wird deutlich, dass diese Kategorien sehr unterschiedlich gross sind und viele Kleinstgruppen nur wegen des grossen Interesses an ihnen nicht zusammengefasst wurden.
Von den bewerteten 20‘250 Arten wurden zuletzt (2010) 36 Prozent als bedroht eingestuft. 3 Prozent gelten ‘in der Schweiz als ausgestorben‘ (RE, regionally extinct), 5 Prozent als ‘vom Aussterben bedroht (CR, critically endangered), 11 Prozent als ‚‘stark gefährdet (EN, endangered) und 17 Prozent als verletzlich (VU, vulnerable). Die restlichen untersuchten Arten sind in den Kategorien ‘potentiell gefährdet‘ 10 Prozent (NT near threatened) und 54 Prozent gelten als ungefährdet, beziehungsweise ‘kleinste Sorge‘(LC least concern). Leider führen die Listen nur Arten auf, über die mit genügender Sicherheit eine Aussage gemacht werden kann. Unsichere Resultate werden als DD (data deficient) aufgeführt oder verschwiegen.
Weltweit gibt es noch viel mehr Daten zu bedrohten Tierarten. Diese werden normalerweise englisch IUCN red list of threatened species genannt. Momentan inkludiert die internationale Liste 77‘000 Arten (keine 5 % der weltweiten Vielfalt), soll jedoch in den nächsten Jahren auf 160‘000 ausgedehnt werden. Auffällig ist, dass verhältnismässig mehr Tiere als Pflanzen, die Land- besser als die Wasserlebewesen untersucht sind. Bereits sind Massnahmen getroffen worden, diese Verzerrung zu beheben.
Die neuesten internationalen Projekte sind eine Kampagne für die Erfassung der ‘fleischfressenden‘ Pflanzen, eine Publikation zu den 25 meistgefährdeten Primaten und Ausbildungen sowie Sensibilisierung über Meeresschildkröten in Sierra Leone.
Die Graue und die Schwarze Liste
In der Schweiz sind rund 45 invasive Farn- und Blütenpflanzen bekannt. Invasiv nennt man Lebewesen, die nicht ursprünglich in der Schweiz heimisch sind – Neophyten und Neozoen – und die sich auf Kosten der einheimischen Fauna massiv ausbreiten. 23 dieser invasiven Neophyten, darunter die Armenische Brombeere, die Ambrosia, der Riesen-Bärenklau und der Sommerflieder, stehen derzeit auf der Schwarzen Liste. Auf diese kommt, wer sich stark ausbreitet und der Biodiversität, der Gesundheit oder der Ökonomie schadet. Die restlichen invasiven Arten stehen auf der grauen Liste.
Invasive Pflanzenarten müssen regelmässig beziehungsweise ausdauernd bekämpft werden. In vielen Gemeinden laufen Projekte, in denen beispielsweise Asylbewerber unter fachkundiger Anleitung solche Pflanzen ausgraben und wenn nötig Gift nachsprühen.
Die Biodiversitätskonvention und das Nagoyaprotokoll
Das Übereinkommen über die biologische Vielfalt von 1992 (Biodiversitätskonvention) ist die wichtigste internationale Vereinbarung zur Erhaltung der Biodiversität. In der Präambel wird ausführlich auf die Wichtigkeit der Biodiversität eingegangen. Man sei sich des (Eigen-)Wertes der biologischen Vielfalt und ihrer Bestandteile in ökologischer, genetischer, sozialer, wirtschaftlicher, wissenschaftlicher, erzieherischer, kultureller und ästhetischer Hinsicht sowie im Hinblick auf ihre Erholungsfunktion bewusst. Man anerkenne, dass zur Erhaltung der biologischen Vielfalt erhebliche Investitionen erforderlich seien und dass von diesen Investitionen zahlreiche Vorteile für die Umwelt, die Wirtschaft und den Sozialbereich erwartet würden. Ausserdem sei man entschlossen, die biologische Vielfalt zum Nutzen aktueller und künftiger Generationen zu erhalten und nachhaltig zu nutzen.
Artikel 1 des Übereinkommens fasst die Ziele zusammen: Die Ziele dieses Übereinkommens, die in Übereinstimmung mit seinen massgeblichen Bestimmungen verfolgt werden, sind die Erhaltung der biologischen Vielfalt, die nachhaltige Nutzung ihrer Bestandteile und die ausgewogene und gerechte Aufteilung, der sich aus der Nutzung der genetischen Ressourcen ergebenden Vorteile, insbesondere durch angemessenen Zugang zu genetischen Ressourcen und angemessene Weitergabe der einschlägigen Technologien unter Berücksichtigung aller Rechte an diesen Ressourcen und Technologien sowie durch angemessene Finanzierung. Dieser ‘Ausgleich von Vorteilen‘ bezieht sich insbesondere auf die Nutzung der genetischer Ressourcen der biodiversitätsreichen Länder des Südens durch die industriestarken Länder des Nordens. Darauf nimmt spezifisch das Nagoya-Protokoll Bezug, welches 2014 von unserem Parlament ratifiziert wurde.
Bestimmungen, Richtlinien und Protokolle zum Schutz der Biodiversität gibt es vermutlich zur Genüge. Wie auch beim Klimaschutz muss sich die Schweiz jedoch ein weiteres Mal bei der Nase nehmen. Auch wenn wir gemessen am gesamten Weltanteil nur für einen Bruchteil verantwortlich sind: Wir haben die Möglichkeit, unsere Verantwortung wahrzunehmen und diese Vorgaben wirtschaftlich zu nutzen.
Kommentare (0) anzeigenausblenden