Voluntourismus, also Freiwilligenarbeit (volunteering) beim Reisen zu leisten, erfreut sich einer wachsender Beliebtheit. Viele wollen ihr Reiseziel nicht nur mit anderen Touristen vom Sightseeing-Bus aus erleben, sondern einen authentischen Einblick in das Leben der Einwohner gewinnen. Wenn dabei noch eine gute Tat vollbracht werden kann, sind alle zufrieden. Was zwar oft mit gut gemeinten und uneigennützigen Absichten geplant ist, kann den Geholfenen aber manchmal mehr schaden als nützen.
Wenn der Tourist die Nachfrage bestimmt
Ob Student oder Senior, alle wollen helfen. Was ursprünglich an die Bedürfnisse der Hilfesuchenden angepasst war, wird nun öfters als Milliardengeschäft vermarktet. Das Angebot richtet sich immer weniger nach der Nachfrage der lokalen Bevölkerung, sondern nach den Wünschen der Touristen. Letztere beinhalten meist kurze Aufenthalte, angenehme Arbeitszeiten und Tätigkeiten und genügend Zeit, um das Land neben dem sozialen Aufenthalt noch zu erkunden. Denn Voluntouristen sind privilegierte Menschen: Geld, Zeit und Visa sind Voraussetzungen dafür.
Nachhaltig ist dies dann meistens nicht: Der ständige Wechsel von nicht eingearbeiteten Hilfskräften, die oft keine Sprachkenntnisse und wenige der geforderten Fähigkeiten mitbringen, nützen den Menschen wenig – oder stellen sogar einen Mehraufwand und somit eine Belastung dar.
Waisenhäuser mit verschleppten Kindern
Ein Extrembeispiel des oben erläuterten Punktes sind Waisenhäuser mit verschleppten Kindern, die noch Elternteile hätten. Durch die grosse Nachfrage von Touristen, die gerne mit Waisenkindern arbeiten möchten, wurden in Nepal beispielsweise Kinder von ihren Eltern getrennt, um dieser Nachfrage gerecht zu werden und Geldeinnahmen zu generieren. Die Freiwilligen werden oftmals nicht überprüft, ob sie sich angemessen verhalten. So sind auch Vergewaltigungen keine Seltenheit.
Neokolonistische Tendenzen: Helfen, weil wir es besser können
Menschen zu helfen, die nach Hilfe gefragt haben, ist ein erfüllendes Gefühl. Doch wie Pestalozzi schon gesagt hat: „Wer sich nicht selbst helfen will, dem kann niemand helfen.“ Viele, zwar gut gemeinte Organisationen wollen helfen, aber fragen die Menschen vor Ort nicht, welche Hilfe sie denn gerne hätten. Sie sehen Probleme und wollen diese lösen. Das kann sehr schnell überheblich wirken.
Soziale Arbeit bedeutet mehr, als einen Monat in Kambodscha im Kinderheim zu helfen. Entwicklungsarbeit baut auf die Stärken und Fähigkeiten der lokalen Bevölkerung auf; im Sinne von Hilfe zur Selbsthilfe.
Nachhaltiger Voluntourismus: Auf was achten?
Auf Freiwilligeneinsätze im Ausland muss aber nicht grundsätzlich verzichtet werden, denn es gibt viele Projekte, die nachhaltig, sinnvoll und lehrreich sind. Hier eine kurze Liste, auf was geachtet werden sollte:
- Hilfe geben, wo nach Hilfe gefragt wird: Um Entwicklungsländern nachhaltig weiterzubringen, ist es wichtig, denen zu helfen, die nach Unterstützung fragen. Ansonsten kommen sich die Einheimischen wahrscheinlich eher vor wie von Westlern missionierte Menschen, deren Kultur minderwertig ist.
- Auch wenn die Arbeit finanziell nicht entlohnt wird, findet ein Austausch statt: Es sind nicht nur die Unterstützten, die profitieren, sondern auch die Helfer. Der Einblick in ein fremdes Leben, die Fähigkeiten und Erfahrungen sowie der kulturelle Austausch bieten beiden Seiten viel.
- Wer helfen will, kann dies auch Zuhause tun: Auch in der Schweiz gibt es viele Bedürftige. Flüchtlinge, Behinderte oder Tiere sind nur einige, denen man Hilfe anbieten könnte. Weit reisen muss man also nicht, um einen Beitrag leisten zu können.
- Fähigkeiten und Vorbereitung: Überlegen Sie sich, welche Fähigkeiten Sie mitbringen und bereiten Sie sich ausreichend auf den Aufenthalt vor. Das heisst auch, ein paar Brocken der Landessprache zu lernen und sich mit der Kultur vertraut zu machen. So kann man tatsächlich helfen und braucht nicht eine ständige Betreuung.
- Gute Organisationen auswählen: Eine gute Vorbereitung beinhaltet auch eine gründliche Recherche der ausgewählten Organisation. Das Projekt sollte nachhaltig sein und bereits Erfolge verzeichnet haben. Waisenhäuser sollten von der Wunschliste gestrichen werden. Zudem verzichtet man besser auf Aufgaben, die von eingeschulten Einheimischen gut übernommen werden können. Denn Leute aus dem Ausland einzufliegen bedeutet einen finanziellen Mehraufwand und Arbeitsstellenverlust.
Nachhaltige Veränderung nach dem Aufenthalt
Unter Beachtung der oben genannten Punkte profitieren wir im Westen nach der Rückkehr vielleicht genauso viel wie die Menschen während des Aufenthalts in den Entwicklungsländern. Denn ein solcher Einblick in eine andere Welt beeinflusst die Freiwilligen nachhaltig. Wer Armut, Plantagenarbeiterinnen oder Kinderarbeit gesehen hat, der greift zuhause eher zum Fairtrade-Kaffee und zur Bio-Baumwolle-Jeans. Auch die Wertschätzung unseres Reichtums steigt. Oft werden einem die wichtigen Dinge des Lebens bewusst, wenn nur wenig materielle Güter zur Verfügung stehen. Bevor man also loszieht, um die Welt zu verbessern, könnte man sich auch die Frage stellen: „Was kann ich von anderen Kulturen für mich selbst lernen?“
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