Jeder Zelle ihre Software

Jeder Zelle ihre Software

Die DNA allein reicht nicht aus, um einer Zelle zu sagen, was sie zu tun hat. Glücklicherweise kommt sie mit einem Benutzerhandbuch.

 

Sie streckt sich, jeden Tag ein bisschen mehr – bis sie schliesslich an die saftigen Blätter dieses hochgewachsenen Baumes herankommt, auf die sie es schon lange abgesehen hatte. Und weil die Giraffe ihren Hals so fleissig gedehnt hat, ist er jetzt endlich lange genug. So erklärte sich Jean-Baptiste de Lamarck in einem frühen Versuch einer Evolutionstheorie Anfang des 19. Jahrhunderts die Entstehung von Artenvielfalt. Durch den regelmässigen Gebrauch eines Körperteiles passe sich dieses an die entsprechenden Umweltanforderungen an – und zwar noch innerhalb der Lebensspanne eines Organismus. Dieser vererbe die erworbenen Fähigkeiten schliesslich an seine Nachkommen.

Heute gilt die Lamarck’sche Evolutionstheorie als widerlegt. Zufällige genetische Variation, die darauf wirkende natürliche Selektion und survival of the fittest à la Charles Darwin erklärt die Evolution von Lebewesen hieb- und stichfest. In einer strengen Auslegung bedeutet das: Im Laufe des Lebens verändert sich weder das Erbgut eines Individuum, noch werden erworbene Fähigkeiten an die nächste Generation weitergegeben. Oder etwa doch?

Zwischen den Zeilen der DNA

In dem Moment, in dem sich Sperma- und Eizelle vereinigen, wird die genetische Ausstattung des sich im Folgenden entwickelnden Lebewesens festgelegt. Jede Zelle unseres Körpers hat dieselbe genetische Grundausstattung – und dennoch unterscheiden sie sich in ihrer Form und Funktion. Der Grund, warum Muskel- und Hirnzellen trotz identischer Erbinformation zwei völlig verschiedenen Tätigkeiten nachgehen liegt in der Art und Weise, wie sie ihr Genom benutzen. Je nach Zelltyp sind Gene nämlich verschieden stark aktiv, oder sogar gänzlich ausgeschaltet. Diese zusätzliche Ebene an Information liegt in der sogenannten Epigenetik, aus dem Altgrierischen epi; ‚auf‘, ‚dazu‘. Wie ein zusätzlicher, zweiter genetischer Code bestimmt das Epigenom einer Zelle, wie aktiv sie einzelne Gene zu nutzen hat. Dabei liegt das Epigenom in Form gezielt angelagerter Moleküle buchstäblich auf der DNA. Diese Modifikationen steuern, wie dicht gepackt ein DNA-Abschnitt vorliegt, sprich, wie zugänglich er für die Zelle ist.

Prägung vs. Vererbung

Das Epigenom reagiert auf Umwelteinflüsse. Forscher der ETH Zürich konnten beispielsweise zeigen, dass sich mit der Temperatur die Augenfarbe von Fruchtfliegen beeinflussen lässt. Wird der Embryo für kurze Zeit bei 37°C gehalten, entwickelt er rote, anstatt wie normal weisse Augen. Die Sequenzen der für die Augenfarbe verantwortlichen Gene bleiben dabei identisch, was sich ändert sind ihre epigenetischen Marker. Die Nachkommen der rotäugigen Fruchtfliegen haben dann ebenfalls rote Augen… Ist Lamarcks Vererbung von Erworbenem vielleicht zu Unrecht verworfen worden?


Zumindest was Pflanzen und wirbellose Tiere angeht, lässt sich das bejahen. Unter diesen wurden inzwischen zahlreiche Beispiele gefunden, in welchen Epigenome von Generation zu Generation weitergegeben werden.
Bei uns Menschen wird jedoch das Epigenom der Keimzellen – deren Erbgut als einziges an die Nachfahren weitergegeben wird – anscheinend grösstenteils gelöscht. Trotzdem prägt die Umwelt, der eine schwangere Frau ausgesetzt ist, auch das Epigenom des sich entwickelnden Ungeborenen.

Quellen und weitere Informationen:
Epigenetik: Gene haben ein Gedächtnis
Epigenetics: Tales of adversity
Epigenetik

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