In unserer Reise durch die Geschichte des Lebens blieben wir letzte Woche bei dem durch photosynthetische Aktivitäten ausgelösten, rasanten Anstieg der O2-Konzentration in der Atmosphäre stehen. Heute widmen wir uns dessen Folgen und werden am Ende sehen, warum „komplex“ und „höher“ in Bezug auf Lebewesen zwar wertend klingt, jedoch keinesfalls in irgendeiner Weise „besser“ bedeutet.
Wachstum braucht Energie
Die ersten Lebewesen waren kleine Zellen. Das ist übrigens kein Pleonasmus, wir kommen darauf zurück… Genau wie es auch heute noch viele Einzeller tun, produzierten sie die zum Leben nötige Energie mit Hilfe von Stoffgradienten über die Zellmembran, ihre Aussenhaut. Je grösser die Membran, desto höher die Energiegewinnung. Mit der Oberfläche einer Zelle wächst aber auch ihr Volumen – bei Kugeln, deren Form wir der Einfachheit halber jener von Zellen zuschreiben, wächst dieses sogar in Kubik mit dem Radius. Verdoppelt sich also die Oberfläche der Membran, kann zwar mehr Energie produziert werden, aber nicht genug, um deren achtmal grösseres Volumen zu versorgen. Betreffend einer Entwicklung in Richtung mehr Komplexität durch Zellwachstum oder gar Vielzelligkeit waren den frühen prokaryotischen Lebewesen - Bakterien und Archaeen - deshalb lange die Flagellen gebunden. Das gilt auch heute noch; die Prokaryoten entwickelten zwar eine ungeheuerliche Vielfalt, sind aber stets klein geblieben.
Zwar lieferte der Abbau von Nährstoffen mit Hilfe des neu verfügbaren Sauerstoffes mehr Energie als zuvor, das Problem des Oberflächen-Volumen-Verhältnisses blieb dennoch ein limitierender Faktor.
Plan B
Wie wir in „Der Hunger des Lebens“ bereits gesehen haben, haben sich aus den Prokaryoten schliesslich die Eukaryoten entwickelt – und deren Zellen sind viel grösser. Die Antwort auf die Frage, wie das denn möglich sei, liefert die Endosymbiontentheorie. Laut dieser entstanden die Eukaryoten, als einst ein Archaeon ein Bakterium frass, es jedoch nicht verdaute und es stattdessen zu seinem Energieproduzenten erklärte. Damit wurde die Energieproduktion allmählich weg von der Zelloberfläche und hin zu spezifischen Zellorganellen übertragen. Das gefressene Bakterium war der Vorfahr der eukaryotischen Mitochondrien – jener Zellorganellen, die einzig und allein für die Energieproduktion zuständig sind. Die physikalisch limitierte Energieproduktion, der die Prokaryoten aufgrund ihrer Grösse unterworfen sind, umgehen Eukaryoten, indem sie bei Bedarf einfach mehr Mitochondrien halten. So haben typische Tierzellen beispielsweise zwischen 1000 und 2000 Mitochondrien; Muskel-, aber auch Spermienzellen bringen es auf deutlich mehr.
Die Hürde der Energieproduktion und des damit limitierten Zellwachstums war also gelöst. Fragt sich nur noch, wofür sich der ganze Aufwand gelohnt hat. Eine Theorie besagt beispielsweise, dass sie sich damit vor weiteren Fressevents schützen konnten. Denn je grösser eine Zelle, desto kleiner ist nun einmal die Chance, dass sie von einer anderen Zelle aufgenommen wird. Bestätigung findet diese Theorie in einem Laborversuch: In der Anwesenheit eines Fressfeindes neigen einzellige Algenzellen zur Klumpenbildung.
Zusammen ist man weniger allein
Eukaryotische Zellen sind aber nicht nur grösser, sie haben sich im Laufe der Evolution auch zu Verbänden zusammengeschlossen und somit den Weg in die Vielzelligkeit geebnet. In einem vielzelligen Organismus herrscht Arbeitsteilung: Zellen übernehmen jeweils verschiedene Aufgaben und formen sich mit ähnlich beschäftigten Nachbarn zu Geweben. Mehrere Gewebe zusammen bilden die Organe – die Funktionseinheiten eines vielzelligen Organismus. Die heute noch lebende Volvox-Alge könnte Rückschlüsse über den genauen Ablauf der Vervielzelligung geben. Die Volvox-Alge besteht aus vielen Einzelzellen, die aber über Plasmabrücken miteinander verbunden bleiben. Darüber kann Stoffaustausch stattfinden, die Zellen übernehmen verschiedene Funktionen. Eine Theorie besagt, dass sich Zellkolonien erstmals durch unvollständige Teilung bildeten und sich dann mit der Zeit eine Arbeitsteilung einstellte.
Die Tatsache, dass unsere prokaryotischen Vorfahren immer noch hier sind und sich weiter diversifizieren – dies wohl auch noch lange nach unserer Zeit – zeigt: Die Evolution hat kein Ziel. Sie will nicht mit immer „besseren“ Lebensformen aufkommen; gut genug ist alles, was sich erfolgreich in seinem Lebensraum behaupten kann.
Quellen und weitere Informationen:
Der Weg zum vielzelligen Organismus
Vielzeller
Vom Einzeller zum komplexen Vielzeller
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