Der Col de Bretolet in den Walliser Alpen, zuhinterst im Val d’Illiez, auf der Grenze zu Savoyen, 1920 Meter über Meer: Weitsicht und Panorama sind sowohl auf schweizerischer als auch auf französischer Seite atemberaubend schön; die Geräuscharmut wird lediglich durch das stündliche «Alors, Rundi!» des zuständigen Zivildienstleistenden unterbrochen. Das dunkle Braun zweier einfacher Holzhäuschen, sowie die 384 Meter an dunklen Nylonnetzen lassen sich von weitem kaum von den satten Farben der Landschaft ausmachen - und doch bilden sie eine der grössten Vogelberingungssationen Europas. Die Station der Schweizerischen Vogelwarte Sempach liegt auf einer wesentlichen Zugroute jener Vögel, die jeden Herbst gen Süden ziehen.
Unermüdliches Engagement
Auf «Rundi» zu gehen, bedeutet für die grösstenteils freiwilligen Helfer, sich eine Umhängetasche mit leeren Stoffsäckchen zu schnappen und raus auf den Pass zu marschieren, um die Netze zu kontrollieren. Zugvögel, deren Reise durch die feinen Fäden aufgehalten wurden, warten allerhöchstens eine Stunde, bevor sie von den Helfern sorgfältig befreit und ins Beringerzimmer gebracht werden. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Sonne schon lange unter-, oder noch gar nicht erst aufgegangen ist. Auf dem Col de Bretolet herrscht rund um die Uhr Betrieb, von Ende Juli bis Ende Oktober, und das seit 1958. Lediglich bei schlechten Wetterbedingungen werden die Netze vorübergehend geschlossen.
Ohne Wissen kein Schutz
Die Beringung ist eine zentrale Methode in der Verhaltensforschung freilebender Vögel. Für jeden von ihnen erfasst der Beringer neben der individuellen Ringnummer zusätzlich Art, Geschlecht, Alter, Mauserzustand, Flügellänge, den allgemeinen Gesundheitszustand, Gewicht sowie Fettreserven und Muskelzustand. Dadurch wurden über die letzten sechzig Jahre wertvolle Daten gesammelt. So weiss man heute von den meisten Zugvögeln, woher sie kommen und wohin es sie zieht. Um ihrer Reise keinen Strich durch die Rechnung zu machen, ist es aber ausserdem wichtig, Rastplätze zu kennen, um dementsprechend Schutzgebiete einrichten zu können. Auch Veränderungen der Durchzugszeiten aufgrund des Klimawandels können nur mit solchen langzeitlich erhobenen Datensätzen erkannt werden.
Das Einfangen von Zugvögeln auf ihrer Reise bietet eine einmalige Möglichkeit, auch deren Physiologie zu erforschen. So konnten Blutanalysen aktiv ziehender Vögel Aufschluss über jene Stoffwechselanpassungen geben, die den beachtlichen Ausdauerleistungen von Zugvögeln zu Grunde liegen.
Quellen und weitere Informationen:
Zur Physiologie von Singvögeln auf dem Zug: eine Übersicht, Susanne Jenni-Eiermann, Der Ornithologische Beobachter 101: 41– 54 (2004)
Vogelwarte Sempach: Langfristige Überwachung des Vogelzuges auf dem Col de Bretolet
Vogelwarte Sempach: Die Rolle des Corticosterons während der Zugzeit
S. Hohl (2018): Jahresbericht 2018 der Beringungsstation Col de Bretolet VS. Schweizerische Vogelwarte, Sempach.
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