Die Unterschiede sind offensichtlich: Pflanzen sind fest an einen Standort gebunden, während Tiere meist davonlaufen können. Leider fehlt den Tieren im Gegenzug die Möglichkeit, mit Hilfe der Photosynthese ihren Metabolismus ohne weitere Energiezufuhr aufrechtzuerhalten. Auch auf mikroskopischer Ebene unterscheiden sich pflanzliche Zellen ganz elementar von den tierischen.
Unsere Gemeinsamkeit mit dem kleinen Blasenmützenmoos blieb Millionen von Jahren unentdeckt. Und sie wäre wohl ein Geheimnis geblieben, hätten nicht 2009 Bioingenieure der ETH Zürich zu ihrer Überraschung herausgefunden, dass es Physcomitrella patens ohne weitere Modifizierungen gelang, menschliche Proteine herzustellen.
Es ist keineswegs selbstverständlich, dass tierische Gene vom pflanzlichen Stoffwechsel erkannt werden. Das liegt daran, dass sich die wichtigen Start- und Stoppsequenzen auf der DNA zwischen Bakterien, Pilzen, Pflanzen und Tieren meistens stark unterscheiden. Diese Sequenzen sind wichtig für die Verortung der Gene, die für ein bestimmtes Protein codieren: Mit der Startsequenz auf der DNA “weiss“ der Organismus überhaupt erst, dass es sich bei der nachfolgenden Sequenz um jene handelt, die für das gewünschte Protein codiert. Deshalb müssen die Biotechnologen bei einer Übertragung eines Gens in einen fremden Organismus meist die DNA-Sequenz so modifizieren, dass sie für ihn erkennbar wird: Nur so kann die Proteinherstellung klappen. Je weiter die Organismen verwandtschaftlich voneinander entfernt sind, desto stärker unterscheiden sich die DNA-Sequenzen und desto grösser müssen die weiteren Anpassungen sein.
Die Fähigkeit des kleinen Laubmooses, tierisches Protein herzustellen, erklären sich die Forscher damit, dass wohl die letzte genetische Veränderung im Moos vor 450 Millionen Jahren stattfand, und zwar beim Übergang vom Wasser- zum Landlebewesen. Während andere Pflanzen, aber auch die Tiere, sich seit jener Zeit weiterentwickelt und spezialisiert haben, ist das Moos ein Generalist geblieben und hat sich die Fähigkeit bewahrt, auch fremde Gene zu erkennen und deren Proteine herzustellen. Dies wollen die Wissenschaftler nutzen, um Biopharmazeutika im Moos herzustellen und den hohen Bedarf an therapeutischen Proteinen zu decken.
Das Einsatzgebiet von Physcomitrella als Modellorganismus gewann an Fahrt, als das Genom - als drittes pflanzliches Genom überhaupt - vollständig sequenziert wurde. Physcomitrella ist einerseits für die Evolutionsbiologinnen interessant, um die Entstehung und Entwicklung der Landpflanzen besser verstehen zu können. Andererseits macht der relativ einfache Lebenszyklus des Mooses es möglich, es unkompliziert und kostengünstig zu kultivieren, um es für biologische Grundlagenforschung oder die Produktion von Biopharmazeutika zu nutzen. Denn das Moos ist anspruchslos; zum Wachsen und für die Proteinproduktion braucht es nur Wasser, etwas Licht und ein paar Nährsalze.
In der Biotechnologie hat man seine Vorteile gegenüber den konventionellen Produktionssystemen bei der Erzeugung von Biopharmazeutika erkannt. Menschliche Proteine waren bisher meist in tierischen Zellen hergestellt worden, denn es handelt sich dabei meist um komplexe Moleküle, die in einem entsprechend komplexen Produktionssystem synthetisiert werden müssen. Die Kultivierung dieser gentechnisch veränderten tierischen Zellkulturen ist jedoch mit einem grossen technischen und finanziellen Aufwand verbunden.
Welche Erfolge die Wissenschaftler bereits feiern konnten, darüber schreiben wir nächste Woche in einem zweiten Beitrag über die faszinierenden Moose.
Quellen und weitere Informationen:
Plant Biotechnology Journal: Functional cross‐kingdom conservation of mammalian and moss (Physcomitrella patens) transcription, translation and secretion machineries
ETH Zürich: Menschliche Gene im Moos
PlantCell: Modellorganismus Physcomitrella patens
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