Wir Biophilen

Es könnte mehr sein als nur Geschmacksfrage, wenn wir diese Landschaft als schön empfinden Es könnte mehr sein als nur Geschmacksfrage, wenn wir diese Landschaft als schön empfinden

Die Natur ist schön. Nur: Welche Natur? Auf der Spur der menschlichen Biophilie, der "Liebe zum Lebendigen", stapfen wir heute mal durch die historische Landschaft.

Vielleicht hat sich schon jemand gewundert, weshalb ein bestimmter Begriff in unseren bisherigen Erörterungen zu den Naturbildern in unseren Köpfen noch nicht aufgetaucht ist. Dabei wird es doch so oft gesagt: Natur ist schön!
Wir haben die Schönheit der Natur bislang ignoriert, da sie uns weder den Bilder einer „guten“ noch einer „schlechten“ Natur unmittelbar anzugehören scheint. Im satten Farbenspiel einer Blume oder den sanften Schwüngen einer Landschaft die innewohnende Schönheit zu entdecken ist ebenso jenen gegeben, die sich um die Überwindung der Natur bemühen, wie jenen, die in ihr Erfüllung suchen. Sie war uns aber auch ganz einfach einer eigenen Betrachtung wert. Dafür wollen wir jetzt gleich mal einen Begriff einführen. Biophilie. Die „Liebe zum Lebendigen“.

Evolution zur Biophilie

Erstmals geprägt wurde der Begriff der Biophilie vom bekannten Psychologen Erich Fromm. Er setzte sie, im Sinne einer Charakterorientierung, der Nekrophilie entgegen: Als eine dem lebendigen Wachsen und Werden verpflichtete, produktive, biophile Geisteshaltung im Gegensatz zur zerstörerischen, hemmenden, nekrophilen. Er verwendete das Wort demnach vorwiegend in einer beschreibenden Funktion.
Dem fügte dann der Biologe, Ameisenforscher und Umweltschützer Edward O. Wilson eine funktionelle, evolutionsbiologische Komponente hinzu, als er – wahrscheinlich unabhängig von Fromm – das Wort noch einmal neu in die Welt entliess. In seiner Biophilie-Hypothese definierte er die „Liebe zum Lebendigen“ als eine eingewurzelte Tendenz des Menschen, seine Aufmerksamkeit auf Leben und Lebensprozesse zu fokussieren. In seiner Erweiterung dieser Annahme setzte er speziell auch unser ästhetisches Empfinden in Zusammenhang mit unserer evolutionären Herkunft. Die Schönheit der Natur ist dann kein austauschbarer, einzelner Gegenstand unserer Empfindungen von Pracht, Wohlgeformtheit oder Anmut mehr: „Die Natur“ formt unser Schönheitsempfinden ursächlich. Alles, was an biologische Formen oder natürliche Prozesse gemahnt, die uns in unserer Menschwerdung als besonders eindrucksvoll oder förderlich entgegentraten, erscheint uns schön.
Auch wenn diese Hypothese uns intuitiv folgerichtig erscheinen mag, harrt sie noch der Falsifizierung. Sie gäbe uns derweil eine gültige Antwort, warum wir „die Natur“ mit Schönheit so weitgehend gleichsetzen. Die Frage bliebe: Welche Natur?

Naturbilder in Bildern

So kommen wir jetzt endlich dazu, in unserer Erkundung von „Naturbildern“ tatsächlich mal Bilder zu betrachten. Die Wahrnehmung von Wildnis als „schöner Natur“, wie sie uns heute aus Instagram-Reiseberichten oder Naturdokumentationen entgegenstrahlt, ist da ein neueres Phänomen. Die längste Zeit wurde die Natur vorwiegend als eine gestaltete Landschaft abgebildet.
Bereits im alten Ägypten taucht sie überwiegend als Betätigungsfeld auf; ob nun als jenes der Bauern bei der Feldarbeit oder des Hofstaats bei der Jagd. Die liebevolle Sorgfalt in vielen Ausgestaltungen von Tieren und Pflanzen ganz unbelassen, tritt „Landschaft“ - wo sie überhaupt vorkommt - gegenüber dem Menschen doch deutlich zurück. Sie dient ihm zu.

Pflügender Bauer, ca. 1200 v. Chr.

Das wird daraufhin noch lange so bleiben. In römischen Villen dient das wilde Leben als Dekor, in der christlichen Malerei zeigt es sich hauptsächlich symbolisch aufgeladen. (Wobei letzteres natürlich übergreifend festgestellt werden kann: Es liegt im Wesen der Kunst.) Auch im Hintergrund vieler Porträts zeigen sich überwiegend Kulturlandschaften, aus mittelalterlichen Zimmern schauen wir durchs Fenster auf bestellte Felder und bewirtschaftete Wälder. Wir dürfen annehmen, dass hauptsächlich diese Natur als schön und angenehm wahrgenommen wurde; auch im jüdischen Schöpfungsmythos begegnet uns ja die schöne, gedeihliche Natur als ein Garten.

Konrad Witz: Der wunderbare Fischzug, ca. 1444

Mit der Renaissance in ihrem erwachenden Willen, die Natur gemäss ihren eigenen Gesetzmässigkeiten zu erforschen, verändert sich diese Darstellung von Natur: Wenn auch erst zögerlich. Dürer zeichnet seinen naturalistischen Feldhasen, im Hintergrund der Mona Lisa windet sich ein Fluss durch verkarstetes Land. Wirklich aufgebrochen wird es indessen erst nach der Aufklärung. Die majestätischen Landschaftsgemälde von Caspar David Friedrich, in denen uns die Menschen den Rücken zudrehen und als Gesichtslose „unwichtig“ bleiben, sind sicher den meisten ein Begriff. Doch auch ausserhalb der deutschen Romantik wird nach Erhabenheit speziell in der ungezähmten Natur gesucht.

Richard Wilson: Snowdon from Llyn Nantlle, 1765

Diese neue Tendenz setzt sich dann bis in die heutigen Autowerbungen und Online-Fotoarchive fort. So selbstverständlich sie uns heute auch begegnen mag, ist die Glorifizierung der Wildnis doch erst ein Phänomen der Moderne – jener Zeit also, da die krasse, unberechenbare Natur gern mal als überwunden galt. Dass sich die Vorliebe für gestaltete Natur vordem so lange unangefochten hielt, könnte indessen noch tiefere Ursachen haben als nur unseren Wunsch nach ihrer Beherrschung.

Landschaft im Garten

An den Beginn unseres ersten Artikels dieser Serie setzten wir die Beschreibung einer Landschaft, die recht landläufig als schön wahrgenommen wird. Inspiriert war sie von Wilsons Biophilie-Hypothese. Diese spekuliert, dass wir nicht nur in unserem allgemeinen, sondern in einem ganz spezifischen Schönheitsempfinden von einer fernen Herkunftsregion geprägt sind: Jener der ostafrikanischen Savannenbewohner. Sanft geschwungene, dicht bewachsene Hügel, nur vereinzelt mit Bäumen oder Baumgruppen bestanden, mit weitem Blick auf ferne Berge, Wasserläufe oder Seen…
Solche Bilder finden sich nicht nur in der bildenden Kunst als idealisierte Landschaftsgestaltungen immer wieder. Länger noch als in Gemälden hielten sich solche Natur-Nachgestaltungen in den Gärten. Kaum jemand gestaltete seinen Garten oder Park als dichtes Unterholz oder moosiges Moor. Sie zeigten sich als überschaubare Flächen mit höchstens flachen Erhebungen, mit Gewächsen, die sich im Zaum zu halten wussten (oder darin gehalten wurden), mit ruhigen Rinnsalen und Wasserlöchern und offenen Sichtlinien in die Weite: Gern noch besonders betont mittels Symmetrie, Perspektive und der Gestaltungsregel des Goldenen Schnitts. Wir könnten da auf die Prachtgärten des Ancien Régime verweisen, wo sich das ganz typisch zeigt. Aber auch im späteren Bestreben, etwa in den englischen Landschaftsgärten die freie Natur mit der Gartenanlage harmonisch zu vermählen, blieben dies die selbstverständlichen Komponenten.
Dass alles andere als eine solch übersichtliche Gestaltung schlicht unpraktisch gewesen wäre, mag als Gegenargument gern gelten, doch auch nicht überstrapaziert werden. Schliesslich wurde die reine Bequemlichkeit schon öfter mal überwunden, wo das Ziel die reine Schönheit war. Wer vermag also zu sagen, wie unsere Gärten ausgesehen hätten, stammten wir ursprünglich aus den verschlungenen Mangrovenwäldern Floridas?

Aber Spekulationen mal beiseite: Bemerkenswert ist in jedem Fall, hier eine Entwicklung dahin zu beobachten, auch dem wirr Wuchernden oder karg Karstenden ästhetisches Vergnügen abzugewinnen. Besonders wirkmächtig zeigt sich das – so meinen wir – in den Naturgärten. Gegenstand einer gezielten Planung und Gestaltung sind auch diese. Doch gegenüber den klassischen Gestaltungselementen, die sich bis in die Reihenhausgärten des 20. Jahrhunderts fortsetzten, wird hier einer neuen Ästhetik gefrönt. Hinter dem vermeintlich „Ungepflegten“ werden faszinierende Zusammenspiele entdeckt, dynamische Veränderungen begrüsst statt ausgegrenzt.
Aus dem hinter der Naturgarten-Bewegung stehenden Naturbild folgt weder die Rechtfertigung, Lebensprozesse und Ökosysteme zu beschneiden oder zu beherrschen, noch der Wille, sich der „Wildnis“ einfach anstandslos und unkritisch zu ergeben. Stattdessen steht der Mensch – also die Gärtnerin – gleichberechtigt in der Lebensvielfalt und lädt diese aktiv zu sich ein. Es entwickelt sich ein neugieriges, stetig bereicherndes Empfinden der Schönheit und der Lust an der Natur: Vielleicht gar über die vorgezeichneten Muster unserer Biophilie hinaus. Ob wir damit an dem zeitgemässen Naturbild, nach dem wir in unserer Artikelserie streben, bereits angekommen sind? Wer weiss…

 

Quellen und weitere Informationen:
Abbildungen im Text: Wikimedia Commons
Biophilie bei Erich Fromm
Biophilie bei E.O. Wilson
Pro Natura: Naturgarten - Ein Paradies für Insekten und Co.

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