Hinter der Grenze und doch so nah

23 Mär 2016
Das französische AKW in Fessenheim, welches unmittelbar am Rhein liegt. Das französische AKW in Fessenheim, welches unmittelbar am Rhein liegt.

Mit dem AKW im elsässischen Fessenheim befindet sich ein altersschwaches Kraftwerk in nächster Distanz zur Schweiz. Ausserdem steht das Centrale nucléaire mitten in einer durch Überschwemmungen und Erdbeben gefährdeten Zone. Häufige Pannen und verschwiegene Vorfälle machen es zu einem unkalkulierbaren Risikofaktor. 

Knapp 40 Kilometer von Basel und 120 km von der schweizweit grössten Metropolregion Zürichs entfernt, liegt das AKW Fessenheim am Grand Canal d’Alsace (Rheinseitenkanal). Im Umkreis von    30 km leben über 900 000 Menschen, im Ballungsraum Basel zählen sie bis 830 000 und in demjenigen Strasbourgs 770 000. Zentral in Europa gelegen und zusätzlich direkt am Rhein gebaut, dem wasserreichsten Nordseezufluss und wichtiger Wasserader in Mitteleuropa, liegt Fessenheim auf dem sogenannten Oberrhein-Aquifer. Mit einem geschätzten Volumen von 45 Milliarden Kubikmetern Wasser, ist es der bedeutendste Grundwasserleiter Mitteleuropas. Um die geographische Verortung abzuschliessen, bleibt die Situation am Oberrheingraben zu erwähnen, der seismisch aktiv zur Erdbebengefahrenzone rund um Basel gehört.

Seit 1977 ist das älteste und leistungsschwächste aller französischen Kernkraftwerke, bestehend aus zwei Druckwasserreaktoren mit je 880 Megawatt elektrischer Nettoleistung, in Betrieb. Das AKW Fessenheim steht schon lange im Mittelpunkt einer kontroversen Debatte, die in der Region Tri-Regional geführt wird. Wegen zahlreicher Sicherheitsmängel und berechtigter Zweifel an der Qualität der Kontrollen hat sich in den letzten Jahren eine breite Gegnerschaft gebildet.

Nach der Nuklearkatastrophe von Fukushima wurden europaweit Stresstests für Kernkraftwerke durchgeführt, worauf dem AKW Fessenheim eine geringe Erdbebensicherheit attestiert wurde. Im Falle einer aussergewöhnlich starken Überflutung wäre der Verlust zentraler, sicherheitstechnisch relevanter Einrichtungen möglich. Für das gesamte Gelände besteht Überflutungsgefahr, da es sich unterhalb des Niveaus des Rheinkanals befindet. Weiter wurde die Fundamentierung der Anlage kritisiert, welche mit 1,5 Metern die dünnste aller französischen Kraftwerke ist. Zum Vergleich: Die Bodenplatten der havarierten japanischen Kraftwerke in Fukushima wiesen eine Dicke von sieben Metern auf. Weiter fehlen beispielsweise Rückhaltebecken für eventuell radioaktiv verseuchtes Kühl- oder Löschwasser vor der Einleitung in den Rhein. Das Kernkraftwerk weist erwiesenermassen beträchtliche Mängel an Infrastruktur und Technik auf. Doch werden auch Kommunikation und Informationsbereitschaft vonseiten der Betreiber heftig kritisiert.

In den letzten Jahren haben sich einige Unfälle und Störfälle im Kraftwerk ereignet, die oftmals stark beschönigend oder verspätet an die Öffentlichkeit gelangten. Rund 50 Kubikmeter radioaktiver Gase entwichen am 24. August 2010, was die französische Atomaufsichtsbehörde (ASN) auf ihrer Homepage erst sechs Tage später meldete. In den letzten sieben Jahren kam es zu Bränden, Personenunfällen oder Notabschaltungen. Der gravierendste Vorfall geschah am 9. April. Laut der AKW-Betreiberin Electricité de France (EDF) sei damals im nicht-nuklearen Teil der Anlage Wasser in elektrische Schaltkästen eingedrungen, was zur automatischen Abschaltung geführt habe.

Doch Recherchen der Süddeutschen Zeitung und des WDR ergaben unlängst ein ganz neues Bild. Nach dem Auslaufen von mehr als 3000 Litern Wasser infolge eines verstopften Rohres war es zeitweise unmöglich, den Betrieb mittels Steuerstäben herunterzufahren. Die Steuerstäbe zu manövrieren wäre aber nötig gewesen, um die erhitzten Stäbe ins Kühlwasser einzutauchen. Stattdessen wurde eine Notmassnahme mittels Bor (eine sogenannte Borierung mittels Borsäure) vorgenommen. Mangels genauer Messdaten sei die Temperatur im Reaktor minutenlang unkontrolliert gefallen, da der Reaktor noch am Netz war und weiter Dampf produzierte. Eine solche Borierung musste laut Experten in Westeuropa bislang noch nie eingesetzt werden. Die französische Atomaufsichtsbehörde hat die Borierung und die schwere des Vorfalls bis zur Veröffentlichung der Recherchen verschwiegen.

Der französische Präsident Hollande versprach bei Amtsantritt die Stilllegung des Kraftwerks bis 2016. Umweltministerin Ségolène Royal verschob das Vorhaben aber erst kürzlich auf spätestens Ende 2017, wobei es wohl mindestens bis 2018 dauern könnte, bis Fessenheim heruntergefahren würde. Der regionale Widerstand gegen das Kernkraftwerk in Freiburg (im Breisgau), Colmar und Basel ist gut vernetzt, doch scheuen sich die deutsche Bundesregierung und der Bundesrat bislang, auf internationaler Ebene Druck auf die französische Regierung auszuüben. Zu gereizt reagieren die französischen Vertreter jeweils bei entsprechenden Vorstössen. Dabei geht uns die Gefahr, die vom AKW in Fessenheim ausgeht, alle etwas an. Die drei schweizerischen Energiekonzerne Alpiq, Axpo und BKW halten zusammen 15 % der Anteile am Kraftwerk. Für das Centrale nucléaire de Fessenheim geht die Betriebszeit ohnehin dem Ende zu, denn für ein politisches Überleben stehen die Chancen eher schlecht. 

Weitere Informationen:Aktionsbündnis Fessenheim stilllegen

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