Ohne Zweifel ist eine solch tiefgreifende Umstellung der Zusammenstellung der Energieträger nicht von heute auf morgen und auch nicht ohne kostspielige Investitionen in Infrastrukturen möglich. Durch die Abschaltung von alten Atommeilern oder etwa Kohlekraftwerken kann es während dieser Umstellung zu Engpässen in der Stromversorgung kommen. Erschreckend ist, dass viele Länder nochmals massiv auf Braun- und Steinkohle setzen, um diesen Versorgungsschwankungen entgegenzutreten. Laut der Internationalen Energieagentur (IEA) lassen sich nahezu 50 % des Anstiegs der weltweiten Energienachfrage in den letzten 10 Jahren auf Kohle zurückführen. Doch trotz der in vielen Ländern ausgerufenen Energiewende ist ein Ende dieser Entwicklung nicht absehbar. Die Aussichten für die Zukunft sind nicht sehr rosig. Aus dem neuesten „World Energy Outlook 2012“ der internationalen Energieagentur, geht hervor, dass die dominante Rolle der Kohle weltweit anhalten wird; zwar wird ein Rückgang in den OECD-Ländern prognostiziert, doch China und Indien sollen bis 2020 für den expandierenden Kohlehandel verantwortlich sein. Ob sich der starke Anstieg des Kohlekonsums fortsetzt, hängt insbesondere von der Durchschlagskraft politischer Massnahmen zur Förderung emissionsärmerer Energieträger ab.
2011 wurde in Deutschland die Energiewende beschlossen; bisher wurden bereits acht deutsche Atomkraftwerke geschlossen und die Förderung von „sauberer“ und vor allem erneuerbarer Energiegewinnung etwa mit Sonnen-, Wind- und Wasserkraft wird vorangetrieben. Laut der Zielsetzung soll der Anteil an erneuerbaren Energien bis 2020 auf 35 % und bis 2050 auf 80 % steigen. Doch Deutschland bleibt seiner Rolle als grösster Braunkohleproduzent der Welt (2009: 169.9 Millionen Tonnen) treu; der Kohleanteil am Energiemix beträgt immer noch 43.5 % (vgl. Deutsche Welle vom 29.07.2012).
Insbesondere im Osten Deutschlands (die DDR war lange Zeit führend im Kohleabbau) und in Nordrhein-Westfalen (NRW) befinden sich teilweise gigantische Tagebaugebiete (vgl. Karte), und es sollen noch mehr dazu kommen: Derzeit werden 23 neue Kohlenkraftwerke gebaut oder geplant, ohne Einbezug von Projekten für Tagebaue. Ein kurioser Fall ereignet sich in der Lausitz in Brandenburg (vgl. Video von der ARD, 24.04.12). In der Nähe von Proschim soll eine bisher bestehende Ökostromanlage – die Solarstromanlagen und ein Biogaskraftwerk versorgen bisher 5‘000 Menschen – dem Braunkohleabbau weichen. Auch Schweizer Energiekonzerne profitieren von Investitionen in ausländische Kohlekraftwerke, z.B. in Deutschland, Italien oder Tschechien (vgl. Beitrag der Sendung 10vor10 vom 12.11.2012).
Unbestritten sind die negativen Auswirkungen der Braunkohleförderung: Sie verwüstet Landschaften, indem sie diese total umgräbt und tiefer legt, gefährdet die Gesundheit der Menschen durch Feinstaub und ist massiv schädlich für das Klima, da pro Tonne Braunkohle ungefähr eine Tonne Co2 freigesetzt wird. Weshalb wird aber trotz der Energiewende immer noch auf Kohle gesetzt? Die Gründe sind mehrschichtig; doch den Aussagen der beiden letzten Bundesumweltminister (Norbert Röttgen, bzw. Peter Altmaier) lässt sich ähnliches entnehmen: „Bei 35 Prozent erneuerbarem Strom müssen zunächst immer noch 65 Prozent anders erzeugt werden. Und da meine ich, dass es Sinn macht alte, umweltschädliche Braun- und Steinkohlekraftwerke durch moderne effiziente Kohle- und Gaskraftwerke zu ersetzen[.],“ so äusserte sich Altmaier gegenüber der Wochenzeitung „Die Zeit“.
Zusätzlich scheint eine neue Generation von Kohlekraftwerken dem ausgemachten Klimakiller den Weg zu ebnen (vgl. spiegel.de). Neue Steuerungen sollen schneller, flexibler und günstiger sein und innert Minuten Schwankungen im Stromnetz ausgleichen können. Solch ein neuartiges Kraftwerk kann bei Bedarf innert kürzester Zeit auf bis zu 10 % seiner Maximalleistung gedrosselt und viel schneller als bisher bei Engpässen um 10 % gesteigert werden. Dies klingt von der technologischen Sicht her gut, und es werden auch Versuche mit Biomasse durchgeführt. Doch man kann sich fragen, ob es sich wirklich lohnt, dafür unser Klima und somit unsere Zukunft aufs Spiel zu setzen?
Wer es ernst meint mit der Energiewende und dem Klimaschutz, der kann nicht für Kohlekraftwerke sein.
Jürgen Trittin, Fraktionschef der Grünen im Bundestag.
Ein Kohlemeiler stösst 1,5 – 2 mal mehr als ein Gaskraftwerk aus. Jürgen Trittin von den Grünen meint dazu, dass „[w]er es ernst meint mit der Energiewende und dem Klimaschutz, der kann nicht für Kohlekraftwerke sein.“ Kritiker fordern allgemein, stärker und konsequenter auf erneuerbare Energien zu setzen. Gerald Neubauer von Greenpeace: „Wir halten gar nichts davon, neue Kohlekraftwerke zu bauen, weil sie voraussichtlich 40 Jahre am Netz bleiben sollen und damit den Umstieg auf erneuerbare Energien über Jahrzehnte blockieren.“ Grundsätzlich gilt es aber auch, den Energiebedarf durch Sparen und höhere Energieeffizienz zu senken. Das wäre ein ökonomisch und ökologisch sinnvoller Ansatz – aber leider ist er vielerorts unpopulär.
Weitere Informationen:
ARD, Report München: "Braunkohle statt Atomstrom. Revival des schädlichen Rohstoffes", 24.04.2012 (VIDEO)
Deutsche Welle, Energie: "Dauerbrenner Kohle", 29.07.2012
International Energy Agency: "World Energy Outlook 2012" , 12.11.2012.
Spiegel Online - Wirtschaft: "Technikrevolution. Comeback für Kohle", 02.09.2012
Spiegel Online - Wirtschaft: "Karte aller Kraftwerke in Deutschland"
SRF, 10vor10: "Das Comeback der Braunkohle", 12.11.2012 (VIDEO)
(Foto: Henning Mühlinghaus)
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