Die Auswirkungen der atomaren Stromproduktion sind wieder in aller Munde. Der Bund verteilt zurzeit Jodtabletten an alle Haushalte im Umkreis von 50 Kilometern um ein Schweizer Atomkraftwerk. Gestern Mittag sorgte eine Störung im grössten europäischen Atomkraftwerk – dem Kraftwerk Saporoschje in der Ukraine – für Alarmstimmung. Zuerst wurde vermutet, es habe sich ein Atomunfall ereignet. Der ukrainische Energieminister Wladimir Demtschischin stellte gegenüber der ARD Tagesschau klar: „Mit dem Reaktor gibt es keine Probleme. Die Panne hat nichts mit dem Reaktor zu tun.“ Demnach seien auch keine radioaktiven Stoffe ausgetreten. Der aktuelle Zwischenfall zeigt aber, wie gross die Angst vor einer erneuten Atomkatastrophe ist und wirft die Frage auf: Wie gut sind wir dagegen gewappnet und wie viel würden Jodtabletten tatsächlich dagegen helfen?
Im Falle eines Reaktorunfalls treten radioaktive Stoffe aus dem Atomkraftwerk, die durch Wind und Regen verbreitet werden. Entweder nehmen die betroffenen Menschen die radioaktiven Stoffe, wozu auch das radioaktive Jod gehört, über die Atmung oder durch verseuchte Lebensmittel auf. Jodtabletten werden vom Bund verteilt und sollen im Falle eines Reaktorunfalls auf Anordnen der Behörden eingenommen werden. Diese Tabletten schützen gegen Schilddrüsenkrebs. Die Schilddrüse ist ein Organ unterhalb des Kehlkopfes, das Jod speichert und die jodhaltigen Schilddrüsenhormone bildet. Diese sind wichtig für den Energiestoffwechsel und das Wachstum einzelner Zellen sowie des gesamten Körpers. Das Gewebe, das Jod speichert, kann nicht unterscheiden zwischen radioaktivem und normalem Jod. Geschieht nun ein Reaktorunfall und die Jodtabletten würden nicht eingenommen, so nähme die Schilddrüse radioaktives Jod auf, was das Gewebe verstrahlt und Schilddrüsenkrebs auslösen kann. Nimmt man allerdings die Jodtabletten rechtzeitig, so füllt das normale Jod aus den Tabletten den Speicher und das radioaktive Jod wird wieder aus dem Körper ausgeschieden. In diesem Fall ist das Risiko an Schilddrüsenkrebs zu erkranken bis zu 90% verringert. Es ist besonders wichtig, die Tabletten nur auf Anordnen der Behörden einzunehmen. Werden sie zu früh eingenommen, ist das schützende normale Jod bereits wieder ausgeschieden, wenn das radioaktive Jod in den Körper gelangt. Werden sie zu spät eingenommen, ist der Jodspeicher bereits mit radioaktivem Jod gefüllt, das dort das Gewebe verstrahlt.
„Jodtabletten sind kein Allheilmittel.“
Nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl sind fast 5000 Fälle von Schilddrüsenkrebs in Weissrussland, Russland und der Ukraine registriert worden. Es handelt sich dabei um Menschen, die zum Zeitpunkt des Unfalls Kinder waren, wie die Weltgesundheitsorganisation (WHO) in einem Bericht zu den gesundheitlichen Folgen der Katastrophe schreibt. Die 5-Jahres-Überlebensrate bei Schilddrüsenkrebst beträgt im allgemeinen 88 Prozent bei Männern und 93 Prozent bei Frauen. Diese sind dafür häufiger davon betroffen als Männer (Zentrum für Krebsregisterdaten). Das Risiko an Schilddrüsenkrebs zu sterben, ist auch abhängig vom Typ des Tumors.
Im Rahmen der Behandlung von Schilddrüsenkrebs, dem häufigsten Tumor der Organe des Hormonhaushalts, wird die Schilddrüse entfernt. Diese ist aber wichtig für den Hormonhaushalt des Körpers, weshalb dann die Hormone dem Körper künstlich zugeführt werden müssen.
Die Jodtabletten sind aber kein Allheilmittel; sie schützen nur gegen Schilddrüsenkrebs. Sie helfen nicht gegen andere Krebsformen und andere von der Radioaktivität ausgelösten Folgen wie die Strahlenkrankheit, den grauen Star, Herzkreislauferkrankungen, Missbildungen und psychische Belastungen. Die wirkungsvollste Massnahme ist ein möglichst rascher Atomausstieg. Dennoch besteht auch bei Rückbau und Lagerung das Risiko, dass radioaktive Stoffe austreten. So wird die Menschheit noch lange mit der Gefahr eines Atomunfalls rechnen müssen. Neben der Einnahme der Jodtabletten sind weitere Verhaltensmassnahmen nötig: Zum Beispiel der Aufenthalt in Gebäuden oder die Evakuierung, um die Auswirkungen einer Reaktorkatastrophe zu verringern. Genau wie bei der Einnahme der Jodtabletten informiert die Nationale Alarmzentrale die Bevölkerung über Radio und andere Medien über das Vorgehen bei einem Zwischenfall in einem Schweizer Atomkraftwerk.
Weitere Informationen:
Informationen zu den Jodtabletten (Geschäftsstelle Kaliumjodid-Versorgung)
Messwerte Radioaktivität (Nationale Alarmzentrale)
Atommüllendlagerung – Wissen > Umweltpolitik (umweltnetz-schweiz)
Zonenplan für die Notfallplanung in Umgebung von Atomanlagen – Ratgeber > Belastungskarten (umweltnetz-schweiz)
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