Antibiotika im Poulet bedrohen medizinischen Fortschritt

Nicht artgerechte gehaltene Masthühnchen können sich kaum bewegen. Nicht artgerechte gehaltene Masthühnchen können sich kaum bewegen.

Multiresistente Bakterien auf Pouletfleisch machen erneut Schlagzeilen: Drei Viertel aller Poulets in der Schweiz sind betroffen. Die resistenten Bakterien gehören zu den ESBL-produzierenden Darmbakterien, die Antibiotika ausser Gefecht setzen. Vermehren sich solche multiresistenten Bakterien, besteht die grosse Gefahr, dass zahlreiche unserer hochwirksamen Antibiotika unwirksam werden und mit ihnen eine der grössten medizinischen Errungenschaften verloren geht. Der Bund erarbeitet eine Strategie, um die Ausbreitung multiresistenter Bakterien einzudämmen. Aber auch wir Konsumenten haben es in der Hand, den gefährlichen Bakterien Einhalt zu gebieten.

Multiresistente Bakterien machen Antibiotika unwirksam

Der Kassensturz warnte kürzlich: „Multiresistente Keime im Pouletfleisch: Konsumenten in Gefahr“. Die Sendung zeigte Zahlen des Monitorings des Bundes über die multiresistenten Keime in der Schweizer Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion: Auf drei von vier Schweizer Pouletfleisch-Erzeugnissen lassen sich Antibiotika resistente Bakterien nachweisen. Krankheiten, die durch sie ausgelöst werden, lassen sich mit dem Antibiotikum nicht mehr behandeln, gegen das sie resistent sind und so vermehren sie sich ungehemmt. Also wird ein anderes Antibiotikum eingesetzt. Ist das Bakterium gegen dieses auch resistent, so ist auch das alternative Antibiotikum wirkungslos. Sie werden zu multiresistenten Bakterien, gegen die mehr als ein Antibiotikum wirkungslos bleibt.

Infektionen töten wieder häufiger

Die auf den Poulets gefundenen multiresistenten Bakterien gehören zu den ESBL-produzierenden Keimen. Die Extended-Spectrum Beta-Lactamase ist ein Enzym, das Beta-Lactam haltige Antibiotika (wie Penicillin und Cephalosporin) ausser Gefecht setzen. Das Darmbakterium Escherichia coli (E. coli) gehört zu diesen Keimen und ist daher resistent gegen die Antibiotika mit dem Beta-Lactam-Wirkstoff.
Die Resistenzbildung ist ein natürlicher Vorgang in Keimen, damit sich diese gegen Stoffe, die sie abzutöten drohen, wehren können. Der Mensch hat jedoch in diesen Vorgang eingegriffen und beschleunigt ihn. Jedes Mal wenn Antibiotika eingesetzt werden, führt dies zur Resistenzbildung, sei es beim Menschen, bei Tieren oder Pflanzen. Resistente Bakterien vermehren sich ungehemmt, während die nicht resistenten abgetötet werden. Auch die resistenten Bakterien lösen Krankheiten aus, die eigentlich mit Antibiotika leicht therapierbar wären – beispielsweise Harnwegsinfektionen. Erkrankt heute jemand an einer Infektion, die von einem resistenten Bakterienstamm ausgelöst wurde, so ist für ihn das Risiko daran zu sterben doppelt so hoch wie für jemandem, der an derselben Infektion erkrankt ist, die aber von einem nicht-resistenten Bakterienstamm ausgelöst wurde. Dies schreibt die Weltgesundheitsorganisation (WHO).
Eine letzte Möglichkeit in diesen Fällen sind Reserveantibiotika. Trotz ihrer lebensrettenden Funktion werden sie auch in der Landwirtschaft eingesetzt und verlieren so nach und nach ihre Wirksamkeit. Antibiotikaresistenzen sind gefährlich. Wir riskieren in ein Zeitalter zurück katapultiert zu werden, bevor Alexander Fleming 1928 das Penicillin entdeckte. Heute behandelbare Krankheiten lassen sich dann nicht mehr behandeln.

Unverhältnismässiger Antibiotikaeinsatz

Die Ursachen der Antibiotikaresistenzen müssen in vielen Lebensbereichen gesucht werden; in der Medizin wie in der Landwirtschaft. Häufig werden Antibiotika unnötig eingesetzt. Sie werden auch bei viralen Infekten – der Grippe zum Beispiel – eingenommen, obwohl Antibiotika nur gegen bakterielle Erkrankungen helfen. Antibiotika werden oft zu früh abgesetzt; nämlich bereits dann, wenn der Erkrankte sich besser fühlt. In diesem Fall fördert man die Resistenz der Bakterien: Sie werden nur teilweise getötet, die Überlebenden sind oft diejenigen mit einer erhöhten natürlichen Resistenz. Zudem werden Breitbandantibiotika eingesetzt, die gegen viele verschiedene Bakterien wirken und daher für schwere Infektionen reserviert wären. Sie töten auch Bakterien, die gar nicht an der Erkrankung beteiligt sind und fördern dabei die Ausbreitung der resistenten unter ihnen. In diesen Fällen ist es angebracht, die Krankheitsursache genau abzuklären und ein spezifisches Antibiotikum einzusetzen. Der gedankenlose Einsatz von Breitbandantibiotika führt zu einer rascheren Resistenzbildung und im Ernstfall hilft dieses nicht mehr.

„Wenn möglich sollte es eine Landwirtschaft ohne Antibiotika geben."
Eidgenössische Fachkommission für biologische Sicherheit (EFBS)

In der Schweiz sind seit 1999 Antibiotika zwar als antimikrobiellen Leistungsförderer verboten dennoch werden Antibiotika zu medizinischen Zwecken noch unverhältnismässig eingesetzt: Im Jahr 2013 verbrauchte die Landwirtschaft 53 Tonnen davon, wie das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) schreibt. Insbesondere in grossen Betrieben werden Hühner vorbeugend mit Antibiotika behandelt, damit sie nicht erkranken; aber auch um einen möglichst hohen Ertrag zu erzielen. Die Eidgenössische Fachkommission für Biologische Sicherheit (EFBS) fordert von der Landwirtschaft, nur noch im äussersten Notfall Antibiotika einzusetzen: „Wenn möglich sollte es eine Landwirtschaft ohne Antibiotika geben“, schreibt sie. Dies stösst beim Bauernverband auf Kritik: Man müsse Tiere mit Infektionen behandeln dürfen, heisst es dort.

Der Bund handelt

In grossen Hühnerbetrieben wird Antibiotika vorbeugend eingesetzt, da das Risiko besteht, ein erkranktes Tier könnte alle Tiere im Bestand anstecken. Auch beim Transport in kalten Lastwagen erkranken viele Tiere, die dann mit Antibiotika behandelt werden. Werden Bestände durchmischt, breiten sich resistente Bakterien aus. Jungküken und Eier vom internationalen Hühnerzuchtverband Aviagen bringen bereits Resistenzen mit beim Import in die Schweiz. Auch die Fleischverarbeitung trägt zur Ausbreitung der resistenten Bakterien bei: Das Monitoring ergab, dass 35 Prozent der Hühnerbestände betroffen sind, am Schluss der Verarbeitung sind es jedoch 75 Prozent!
Dass Handlungsbedarf besteht, hat auch der Bund erkannt und mehrere Bundesämter erarbeiten gemeinsam die „Strategie Antibiotikaresistenzen (STAR)“. Sie hat zum Ziel, die Ausbreitung der Antibiotikaresistenzen einzudämmen. Rückgängig machen lassen sie sich allerdings nicht. Die Strategie bezieht die Lebensbereiche Landwirtschaft, Lebensmittelindustrie und Medizin mit ein. Im Fokus stehen beispielsweise die Verbesserung der Haltungs- und Transportbedingungen für Nutztiere. Andererseits sollen Antibiotika in der Human- und Veterinärmedizin sorgfältiger eingesetzt und die Bevölkerung über die Folgen der Antibiotikaresistenzen aufgeklärt werden.

Wir haben es selber in der Hand

Aber auch wir Konsumenten können etwas an der Situation verändern: Kaufen wir Poulets und Eier von Hühnern, die artgerecht gehalten werden, sind sie weniger gestresst und dadurch weniger anfällig auf Krankheiten. So müssen weniger Antibiotika eingesetzt werden. Bei der Zubereitung von Pouletfleisch müssen küchenhygienische Massnahmen getroffen werden, wie beispielsweise das gründliche Händewaschen, nachdem rohes Fleisch berührt wurde.
Werden wir selber krank, sollten wir Antibiotika überlegt einsetzen; Antibiotika helfen nur gegen bakterielle, nicht gegen virale Infektionen. Die Krankheitsursache sollten wir genau abklären lassen und vom Arzt oder der Ärztin sollten wir erwarten dürfen, dass er oder sie uns ein Antibiotikum verschreibt, das nur die krankheitsauslösenden Bakterien bekämpft, und er oder sie sollte uns nur als letzte Möglichkeit ein Breitbandantibiotikum verschreiben.

Weitere Informationen:
Bakterien beim Kochen bekämpfen (SRF Service)

 

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