Krumme Gurken, fleckige Kartoffeln, verdrehte Karotten und zu klein geratene Äpfel – sie sind der Inbegriff der europäischen Bürokratie-Wut! Bis 2009 gaben 36 europäische Handelsnormen für Obst und Gemüse peinlichst genaue Anforderung bezüglich Grösse, Farbe, Form und Konsistenz „vermarktbarer“ Exemplare. Auf zehn Zentimeter Gurkenlänge durfte die Krümmung maximal zehn Millimeter betragen, Äpfel mussten mindestens sechs Zentimeter und Spargeln mindestens einen Zentimeter dick sein. Bei Aprikosen wurden „Hautunreinheiten“ auf maximal einem halben Quadratzentimeter der Gesamtfläche verziehen. Kriterien wie Geschmack, Nährwert oder Anbaumethoden spielen hingegen keine Rolle.
Die ehemaligen EU-Kommissarin Mariann Fischer Boel wollte die absurden Normen abschaffen, was ihr teilweise gelang: 2009 wurden 26 dieser EU-Vorschriften auf einen Schlag gestrichen. Doch auch heute findet man weit und breit (fast) keine krummen Gurken und ungenormtes Obst und Gemüse in den Supermärkten – dies gilt für die Schweiz ebenso wie für den EU-Raum! Weshalb?
Noch immer bestimmen 10 EU – Vorschriften, wie Obst und Gemüse genormt sein müssen!
Als die EU die Vorschriften abgeschafft hat, führte jedes grössere Handelsunternehmen eigene Bestimmungen ein, an denen sich ihre Lieferanten halten müssen. Für die Bauern ist die Situation damit eher schwieriger geworden, weil sie für ihr Gemüse nicht mehr nur eine europäische, sondern eine Vielzahl an Normen kennen, respektieren und einhalten müssen. "Es bleibt ihnen gar nichts übrig, als schon bei der Ernte auszusortieren", so Klitzing. Auch in der Schweiz legen die Grossverteiler und die grössten Gemüseproduzenten Standards für den Grosshandel fest. Der gemeinsame Qualitätskontrolldienst für Früchte, Gemüse und Kartoffeln „Qualiservice“ definiert u.a. „Ästhetiknormen“ für alle Obst- und Gemüsesorten (siehe Qualitätsnormen). Dabei unterscheiden sich die Vorschriften zwischen konventionellem und biologisch angebautem Obst, welchem immerhin der eine oder andere „Schönheitsfehler“ verziehen wird. Beim Bio-Gemüse gelten hingegen die gleichen Regeln wie beim herkömmlichen Anbau. Durch die Normen schaffen es bei weitem nicht alle Früchte und Gemüse in den Verkauf!
Nun will der Früchte-, Gemüse- und Kartoffelverband Swisscofel die strengen Handelsusanzen jedoch etwas zu lockern: „Wir wollen die Handelsusanzen überprüfen mit dem Ziel, Lebensmittelverluste zu senken“, verspricht Marc Wermelinger von Swisscofel. Sollten diese tatsächlich geändert werden, liegt es künftig beim Konsumenten, seine ästhetischen Ansprüche zu überdenken und vielleicht auch mal bewusst zu krummen Gurke zu greifen! Wer dies heute schon tun möchte, wird höchstens auf Wochenmärkten, im Direktverkauf auf Bauernhöfen und im eigenen Garten fündig. Dass der Wille zur Veränderung bereits besteht, zeigt z.B. eine kreative Initiative zweier Frauen in Deutschland. In ihrem Restaurant „Culinary Misfits“ in Berlin wird bewusst nur Gemüse serviert, welches gegen die Schönheitsnormen verstösst…
Qualitätsnormen für Schweizer Obst und Gemüse (Qualiswiss)
Kommentare (0) anzeigenausblenden