„Fleisch-Boom trotz Vegi-Trend“ titelte 20 Minuten diesen Dienstag gross. Trotz Vegi-Trend (gestern war übrigens der Weltvegetariertag) steige der Fleischkonsum in der Schweiz an, war weiter zu lesen. 61 Kilogramm Fleisch seien in der Schweiz pro Kopf 2013 verspeist worden; ein Kilo mehr als im Vorjahr. Diese Aussage stimmt nur bedingt. Es waren 51,98 Kilo Fleisch aller Arten und 9.08 Kilo Fisch und Krustentiere. Beim Fleisch allein gesehen stieg der Konsum von 2012 zu 2013 um 0,4% an. Der Trend liegt bei Fisch und Krustentieren – der Konsum nahm um 6,0% zu! Das Frappierende daran ist, dass zwar rund 80% des konsumierten Fleischs aus der Schweiz kam, allerdings nur ein Bruchteil der Wasserbewohner (2,1%). Laut Mike Schneider, Leiter IT & Statistik beim Branchenverband Proviande, geht es dieses Jahr weiter so. Der Konsum der vier bedeutendsten Fleischarten (Rind, Schwein, Kalb und Geflügel) ist zwischen Januar und August 2014 bereits wieder um rund 0,5% gewachsen.
Proviande berechnet die Zahlen wie folgt: (Konsumiertes Fleisch) / (Mittlere ortsanwesende Bevölkerung der Schweiz, also 8,21 Millionen 2013) = Pro-Kopf Konsum Schweiz; das heisst, auch Bébés oder Vegetarier sind im Pro-Kopf Konsum miteingerechnet; letztere machen ungefähr drei bis fünf Prozent der Bevölkerung aus. Somit liegt der Konsum eines fleischessenden Bewohners der Schweiz noch höher als die 52 Kilo.
Die in der Gratiszeitung genannten Zahlen sind überdies nicht neu, sie stammen vom April dieses Jahres. Trotzdem ist die Fragestellung spannend: Wieso steigt der Fleischkonsum noch immer an? Heute, da auch grosse Medienhäuser die Tierhaltung kritisch beleuchten, Dok-Filme über Missstände in der Fleischindustrie keine Seltenheit sind, vegetarische und vegane Kochbücher wie Rhabarber aus dem Boden schiessen, der Sojaverbrauch und die damit einhergehende Abholzung der Regenwälder Dauerthemen sind, immer wieder auf die Gesundheitsrisiken von (übermässigem) Fleischkonsum aufmerksam gemacht wird, heute, da wir die mannigfaltigen negativen Folgen des Fleischkonsums aus dem Stegreif aufsagen können?
Mike Schneider von Proviande meint dazu: „Dies scheint im ersten Moment ein Gegensatz zu sein, das Thema findet Anklang in den Medien.“ Die Vegetarier als Minderheit machten ihr Anliegen erfolgreich lautstark deutlich. Es handle sich aber eben immer noch um eine Minderheit, viele Leute konsumierten noch problemlos Fleisch.
Ein Blick auf den Fleischkonsum seit 1950 zeigt zudem, dass dieser nach dem Krieg steil anstieg. 1980 hatte er seinen Höhepunkt erreicht und sich seit 2000 in etwa eingependelt. „Verschiedene Fleischarten haben in den letzten Jahren Krisen durchgemacht“, präzisiert Mike Schneider. Nach dem BSE-Skandal sei die Vogelgrippe gekommen, später die Schweinegrippe. „Die Leute haben während diesen Krisen einfach ihre Fleischpräferenz gewechselt“, erklärt Schneider. Es sei aber eine grundsätzliche Umverteilung im Gange, vom Schweinefleisch hin zum Geflügel.
Die Frage bleibt im Raum: Wieso essen wir wieder mehr Fleisch? Wieso essen wir eigentlich Fleisch?
Die amerikanische Psychologin und Soziologin Melanie Joy sagte in einem Interview auf spiegel.de, der Karnismus, das System des Karnismus, in dem wir uns befänden, rechtfertige den Fleischkonsum mit drei N: normal, natürlich und notwendig.
Ob wir Fleisch essen sollen oder nicht, ist eine andere Frage, die an dieser Stelle nicht diskutiert werden soll. Den Fleischkonsum in der Schweiz zu reduzieren sollte, unumstritten ein Ziel unserer Gesellschaft sein – die Gründe finden sich mannigfaltig in Artikeln, Filmen und Büchern. Um einen Schritt in diese Richtung zu machen, haben wir einige Tipps zusammengestellt, wie wir unseren persönlichen Fleischkonsum reduzieren könnten. Wichtig dabei: Achten Sie immer auf den Rebound-Effekt! Wenn Sie also z.B. neu einen Tag auf Fleisch verzichten muss, dies nicht bedeuten, dass Sie sich dafür z.B. immer noch als „Belohnung“ ein Stück Sonntagsbraten mehr als üblich „gönnen“.
- Wagen Sie etwas! Probieren Sie ab und an ganz bewusst, auch Ihr Lieblings-Fleischstück durch eine fleischlose Alternative zu ersetzen (z.B. paniertes Schnitzel durch Sellerie-Schnitzel). Sie werden sehen, dass Sie mit der Zeit die Fleischversion gar nicht mehr vermissen werden.
- Besorgen Sie sich ein tolles vegetarisches oder veganes Kochbuch! Lassen Sie sich von den Rezepten inspirieren und erkennen: es gibt leckere, deftige, schmackhafte, gesunde Rezepte, auch oder eben gerade ohne Fleisch.
- Versuchen Sie, von der „Schweizerischen Dreifaltigkeit“ wegzukommen! Fleisch, Gemüse, Beilage; wer dieser Dreifaltigkeit hinterherrennt, macht sich den Fleischverzicht unnötig schwer. Tofu schmeckt nicht wie Fleisch und soll es auch nicht. Immer das Fleisch durch einen Ersatz vergessen machen zu wollen, kann für Frust sorgen. Es kommt nicht so heraus, wie wir es uns gewohnt sind. Wieso also nicht einfach einmal einen Linseneintopf kochen? Da braucht’s weder Fleisch noch Fleischersatz.
- Legen Sie fleischlose Tage fest! Oft ist es einfacher, weniger Fleisch zu essen, wenn Sie bewusst an gewissen Wochentagen auf Fleisch verzichten. Aber auch hier gilt: Den Rebound-Effekt nicht vergessen!
- Machen Sie Ihr Vorhaben öffentlich! Wenn Sie das Ziel „weniger Fleisch essen“ mit Familie, Freunden oder Arbeitskollegen teilen, kann es ein Ansporn sein, dies gemeinsam zu erreichen; z.B. durch ein gemeinsames vegetarisches Mittagessen im Büro jede Woche.
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