Wir haben in den letzten neun Wochen in unserer Artikelserie zur Textilindustrie die beträchtlichen Schäden bemessen, die diese in der Umwelt hinterlässt. Obwohl das doch schon eine weite Reise war, haben wir dabei noch verschiedenes ausgelassen. Die Schuhproduktion etwa, die wiederum ihre eigene ökologische Relevanz hat, oder die schleichende Rückkehr der Pelzmode. Perfluoride, Nanomaterialien und Mikroplastik. Und ganz gewiss wäre es auch noch lohnend gewesen, einen psychologischen bzw. soziologischen Blick in jenes emotionale (oder möglicherweise gesellschaftliche?) Loch zu werfen, in das wir in immer schnellerem Rhythmus Mode stopfen? Stoff gäbe es also noch genug, aber was wir uns vorgenommen hatten, haben wir hoffentlich erreicht: Einen etwas weiterreichenden Überblick zu schaffen und dabei aufzuzeigen, wo und wie wir als Konsumentinnen hier Einfluss nehmen können. Obwohl…
Die Konsumentin ist schuldig/unschuldig/in der Verantwortung. Unzutreffendes streichen.
Nachdem anfangs dieses Jahrzehnts die Fabrikkatastrophen in Asien für Schlagzeilen sorgten und die Bilder von toten, purpurnen Flüssen ebenda mehr Aufmerksamkeit fanden, sahen sich die Kleiderkonzerne plötzlich an den Pranger gestellt. Sie reagierten darauf im ersten Schock wie zu erwarten; mit Abwiegelung, Leugnung oder schlichter Ignoranz. Oder mit der Umschichtung des Schwarzen Peters. Was schon längst als ein liebgewonnenes Getuschel im Hintergrund raunte, wurde jetzt mantraartig heruntergebetet: Die Konsumentinnen haben es in der Hand!
Das ist ja auch nicht ganz falsch. Die Erfolge, die sich eine ökologisch verantwortungsbewusste Textilproduktion in den letzten Jahren errungen hat, wären ohne die Bereitschaft einer relevanten Käuferschaft, den Zusatznutzen nachhaltiger Produkte auch finanziell zu vergelten, kaum möglich gewesen. Gut möglich zudem, dass die Liaison von Konsumgewohnheiten mit Nachhaltigkeitsansprüchen mehr ökologisches Bewusstsein geschaffen hat als vierzig Jahre Umweltbildung in den Schulen.
Doch die Macht der Konsumentinnen reicht nur soweit, und dort, wo die Problematiken systemisch werden, bedarf es meist mehr als nur der Stimmabgabe mit dem Portemonnaie. So las sich das forcierte Geplauder der Regierungen und Konzerne von der Verantwortung der Konsumentinnen dann verschiedentlich als eine Ausflucht, aus eigenem Ethos politisch oder wirtschaftlich aktiv zu werden. Oder gar als eine Leugnung, dies überhaupt zu können; was als Eingeständnis der "Machtlosigkeit" solcher Stellen eine gewisse, bittere Komik hat.
Grüne Embleme in der Einkaufmeile
Von zwölf ausgesuchten Textilproduzenten, die der WWF im letzten Jahr auf ihre Nachhaltigkeitsbemühungen abklopfte, zeigten sich vier im "grünen Bereich": Einer davon als ambitioniert, die ökologischen und sozialen Herausforderungen in seinem Geschäftszweig aktiv und systematisch anzugehen, die drei anderen im bewussten Prozess einer Umformung von Teilen ihrer Produktionskette nach nachhaltigen Standards. Da es sich bei diesen vier unter anderem um einige der marktmächtigsten handelt, kann ein Fortschritt hier nicht kleingeredet werden. Bleiben dennoch acht, die sich bestenfalls als Nachzügler, oft auch als gleichgültig beschreiben lassen. Weiter zeigt sich, dass von den vier "Ökos" im Rennen keiner die Zuschreibung "visionär" erreichte, die in der Begriffsfassung des WWF anzeigen würde, dass eine substantielle Umformung des Status Quo angestrebt wird. Die Einfügung des Nachhaltigkeitsgedankens in die praktizierte Markt- und Konsumlogik kommt denn auch verschiedentlich an ihre Grenzen und zeigt sich anfällig für allerlei bewusste oder unbewusste Praktiken des Greenwashing.
Doch bei aller aufzuwendenden Kritikfähigkeit: Wenn wir heute durch eine Einkaufsmeile flanieren, begegnen uns in den Schaufenstern der Textilketten wiederkehrende Bekenntnisse zur Nachhaltigkeit. Und die sind dann erfreulich oft ein ganzes Stück mehr als nur Marketing-Stunts. Geschweige der Tatsache, dass der Anteil von Bio-Baumwolle global immer noch nur ungefähr 1% beträgt, steigen dieser Anteil und die Nachfrage doch beständig. China mag, so scheint es, die Wasserverschmutzung durch Textilzulieferer nicht weiterhin still billigen. In Tadschikistan konnte unserer eigener Dr. Hans-Niklaus Müller letzten Monat den Mischanbau von Baumwolle und Bohnen bewundern. Abkommen und Vereinbarungen zur Sicherung von Arbeitsrechten und ökologischer Verantwortung wurden unterzeichnet - nie völlig zufriedenstellend, nie ganz unbefriedigend -, und mit dem Global Organic Textile Standard GOTS etabliert sich fortschreitend ein internationales Nachhaltigkeitslabel am Textilmarkt, das die weitesten Teile der Produktionskette ins Auge fasst. Das alles würde sich ohne nachfragendes Interesse der Konzerne und anhaltende öffentliche Aufmerksamkeit bald im Sand verlaufen. Insbesondere auch die Clean Clothes Campaign CCC mit all ihren Ablegern - in der Schweiz ist das Public Eye - hat diesbezüglich viel bewegt.
Zur Besinnung kommen
Diese Beweihräucherung soll uns jetzt nicht davon ablenken, dass der neue Weg erst mit ein paar wenigen ersten Schritten begangen ist. Was der Textilindustrie weiterhin recht allgemein mangelt - wie wir bei der Recherche dieser Artikelserie oft mit Seufzen feststellten - ist Transparenz. Auch das akademische Interesse am Thema erblüht erst in recht zarten Pflänzchen. Dennoch können wir aus unseren Nachforschungen der letzten Wochen ein paar Schlüsse ziehen. Den beispielsweise, dass unter den Textilketten die Grössten nicht unbedingt die Bösesten sind - was nicht zuletzt daran liegen mag, dass auf ihnen die meisten Augen ruhen. Dass nun aber diese Grossen sich auf freche Innovationen oder Neuvermessungen des Marktgefüges einliessen, ist weniger zu erwarten. Die Stimmungslage dort bleibt das konsumlogische "Schneller! Mehr!". Und dass dieser Gedanke mit fundamentaler Nachhaltigkeit zusammenkomme, ist bei allen Träumen von geschlossenen Kreisläufen noch ein Weilchen hin.
Indessen gehen von den Schulen eine Vielzahl Designerinnen und Unternehmerinnen mit einer tiefen Leidenschaft für Mode ab, denen der aktuelle Zustand ein Stachel im Gewissen ist. Zeugnis davon geben die zahlreichen Start-Ups und kleinen und mittelständischen Textilfirmen, die sich im engen Modemarkt mit innovativen Nachhaltigkeitskonzepten zu etablieren suchen. Da gehen dann zwar die vielfältigen Ansprüche an eine zukunftsfähige Mode gern etwas chaotisch durcheinander - regional oder vegan, kein Plastik oder welches, fair oder klimaneutral oder wiederverwertbar? - so dass man sich als Kunde schnell mal fühlt, als würde einem gerade das persönliche Gewissen vermessen. Doch neben all diesen ja grundsätzlich löblichen Ansprüchen findet sich da dann bemerkenswert oft auch die Idee, Qualität vor Quantität zu stellen, die Freude am hochwertigen, verantwortungsbewussten Kleidungsstück vor die Profitmaximierung.
Und diese letzte Idee ist es, die sich im Rahmen all der nachverfolgten Nachhaltigkeitsbemühungen als die dringlichste stetig wiederholte. So naiv, so langweilig, so idealistisch sie auch sein mag. Dass nämlich eine echte ökologische und soziale Nachhaltigkeit unter den Produktionsbedingungen einer Fast Fashion nicht zu haben ist. Dass der nicht endende Nachstrom von billiger Konfektion spürbar gedrosselt sein muss, soll er ökologisch vertretbar, sprich zukunftsfähig werden. Dass wir, sorry, uns vor dem Kauf der nächsten, übernächsten Jacke wie Hose fragen sollten: Brauch ich das? Jetzt?
Weitere Infos und Quellen:
WWF: Mode verändern
Kirsten Brodde: Bio-Baumwolle nicht knapp
Evelyn M. Weidenhausen: Globalisierungsprozesse in der Textilwirtschaft
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