Wer sich hier auf dieser Seite rumtreibt, wird – so setzen wir einfach mal voraus – auch dem eigenen Konsumverhalten kritische Aufmerksamkeit widmen. Sie oder er wird deshalb auch schon auf die eine oder andere Frage gestossen sein, die sich aufdrängt, nachdem der Entschluss zum verantwortungsvollen Konsum gefasst ist. Da wäre beispielsweise schon die grundsätzliche, ob wir nun dem ökologischen oder dem sozialen Mehrwert unserer Konsumgüter den Vorzug geben: Bio oder Fair Trade? Und weiter: Achten wir insbesondere auf den Schutz der Regenwälder oder auf jenen der Meere? Versuchen wir es plastikfrei, oder gleich Zero Waste, oder legen wir verstärkten Wert auf Energieeffizienz oder Reparierbarkeit? Da mag durchaus vieles zusammengehen, aber dann im Detail halt doch nicht alles. Schlimmer noch, es mag sich verändern: Im globalen Markt zeigt jeder Anstoss irgendwo ungewollte Wirkung. Wie sich da noch entscheiden, wie den Überblick behalten, ohne alle mentale Kapazität darauf zu verschwenden? Schauen wir mal:
Wenn etwas eine Reise tut
Beschränken wir uns in unserer kurzen Erörterung des nachhaltig verantwortungsvollen Konsums einfach mal auf Lebensmittel. Hier stehen wir öfter vor Entscheidungen als etwa betreffs Flachbildschirmen. Ins breite Themenfeld der nachhaltigen Ernährung fliessen mancherlei Leitmotive ein: Bioproduktion natürlich, aber etwa auch der Schutz alter Sorten, Food Waste, Tierwohl. Ein weiteres, das sich breiter Zustimmung erfreut, ist die Regionalität. Es leuchtet ein: Das kann ja kaum klimaschonend sein, den Apfel aus Australien nach Europa zu verfrachten, während er ebenso gut vom Obstbauern aus dem Thurgau stammen kann. Nährstoffe aus der Region sind also zu bevorzugen… wahrscheinlich… manchmal… Seufz. Wie immer wird es schnell vertrackt.
Ganz allgemein wird der Anteil des Transportwegs an den Klimagasemissionen eines Produkts gerne überschätzt. Er macht meist empfindlich weniger und selten mehr als 10% aus, ganz gleich, ob die Tomate einmal um die halbe Welt gereist ist. (Die Ausnahme macht hier allenfalls der Flugzeugtransport, der die CO2-Emissionen eines Schiffstransports von demselben Ursprungsort um mehr als das Zehnfache überflügeln kann. Flugtransporte sind aber im Zeitalter der Containerschiffe nicht die Regel.) Der Grund für diese konterintuitive Tatsache ist die Effizienz des Massentransports, und sie zeichnet dann ebenfalls dafür verantwortlich, dass sich fast die Hälfte dieser Transportemissionen während der Autofahrt vom Laden nach Hause anhäufen. Schwerer als die Transportaufwände wiegen ganz insgesamt die Art der Nahrungsmittels, die wir zu uns nehmen, und der Energiebedarf ihrer Produktion. Tierprodukte etwa, in denen sich die Emissionen der Futtermittel und der Pflege der Nutztiere kumulieren, schneiden da schlecht ab. Und so kommt es, dass, wer samstags mal zum nahen Biobauern rausfährt, um sich ein gutes Stück Bio-Fleisch zu holen, in aller Regel mehr Klimaschäden verantwortet, als wer sich ein einmal um die halbe Welt geschippertes Pfund Quinoa in den Küchenschrank stellt.
Apropos Quinoa
Doch auch die Quinoa ist damit nicht aller Einwände enthoben. Nachdem die Kulturpflanze über die Jahrtausende von Andenbewohnern geschätzt wurde, denen die Höhenlage ihrer Anbauflächen die Pflanzung von Mais verwehrte, wurde sie von einer breiteren Weltöffentlichkeit “entdeckt“. Die erhöhte Nachfrage nach der insbesondere bei Vegetarierinnen und Veganern beliebten Eiweissquelle führte in der Folge dazu, dass sich ihr Preis auf dem Weltmarkt um bis das Dreifache erhöhte. Die arme Bevölkerung der hauptsächlichen Produktionsländer Peru, Bolivien und Ecuador konnte sich – so berichtete es 2013 zumindest die New York Times - plötzlich ihr wertvolles Grundnahrungsmittel nicht mehr leisten. So weit, so schlecht. Andererseits bedeutete das, dass viele bis dahin unter Druck stehende Kleinbauern wieder ein vernünftiges Einkommen erzielten und so manche Arbeiter aus den Städten wieder hinaus in die Felder zogen. (Eine später angestellte Studie zeigte dann, dass die Situation sich längerfristig nicht gar so dramatisch darstellte.)
Hierzulande floss diese Problemlage in die Diskussion um die sogenannten Superfoods ein. So manche problembewusste Konsumentin besann sich auf den ebenfalls für die längste Zeit vergessen gegangenen Buchweizen – ein gleichfalls höchst wertvolles und förderungswürdiges Pseudogetreide, das hier in Mitteleuropa recht problemlos gedeiht und somit auch in der Erzählung von der Regionalität sein Plätzchen findet. Auch Leinsamen kamen wieder stärker ins Gespräch. Stellt sich nur wiederum die Frage, wie befriedigend das im globalen Geschehen sein kann. Denn für die Bio- und Fair-Trade-Bauern des Globalen Südens zweigt sich von ihren Exportmöglichkeiten ihr kleines, aber relevantes Stück vom kapitalistischen Kuchen ab… Das dort möglicherweise effektvoller angelegt ist als in unserer eigenen, subventionierten Agrarwirtschaft? Das fragen wir nur: Eine eindeutige, alle Ansprüche befriedigende Antwort ist hier kaum zu geben.
Zweideutige Antworten
Unser Los als ökologisch und/oder sozial verantwortungsbewusste Konsumentinnen ist es, von solchen zweideutigen und unbeständigen Zusammenhängen ganz konfus zu werden. Da mag es uns jetzt etwas beruhigen, dass Perfektion hier – wie wir uns gerade aufzuzeigen bemühten – schlicht unmöglich ist. Die Forderung danach können wir getrost all jenen überlassen, die sie von uns nur verlangen, um darüber ihre eigene Untätigkeit zu rechtfertigen. Das nimmt uns indessen nicht aus der Pflicht, kritikfähig zu bleiben. Ob es sich nun um Quinoa, um Sneaker oder um Handys dreht; die Welt bleibt in Bewegung, und eine Revision liebgewonnener Entschlüsse kann nötig werden. Das kann dann eine ungemütliche Angelegenheit sein. Gerade unsere Konsumgewohnheiten gehen mit dem eigenen Selbstbild oft eine liebevolle Allianz ein, die sich ungern herausgefordert sieht. Doch wenn es uns ernst ist mit dem verantwortungsvollen Konsumverhalten, sollten wir uns dem stellen. Und ernst darf uns das mit dem verantwortungsvollen Konsum durchaus sein. Der ethisch und ökologisch bedachtsame Konsum hat vielleicht nicht die Macht, die Welt sofort und grundsätzlich umzukrempeln. Die Macht, sie mittelfristig wirksam zu verbessern, hat er wohl.
Quellen und weitere Informationen:
swissveg: Transportwege
Tom Philpott (Guardian): Quinoa: Good, Evil, or Just Really Complicated?
Towson University Maryland: Food and Fads. The Welfare Impacts of rising Quinoa Prices in Peru
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