Im Gespräch mit einem Helden: Interview mit Thomas Niederer

Der Abfalltaucher am Vierwaldstättersee. Der Abfalltaucher am Vierwaldstättersee.

Thomas Niederer gründete 2010 den Schweizer Umwelt- und Abfalltaucher Verein, kurz SUAT. Fast seine gesamte Freizeit steckt der Servicetechniker in die Organisation und taucht selbst ab in die Tiefe, auch bei eisigen Temperaturen. Er wurde nun vom SRF zum Helden des Alltags 2016 gewählt, und wir hatten das Vergnügen, ihn am Vierwaldstättersee zu treffen.

Umweltnetz-Schweiz: Statt mit farbigen Fische und Korallen sieht man Herrn Niederer mit alten Fahrrädern, Autoreifen oder Glasflaschen abgelichtet: Was hat Sie dazu bewegt, sich für die Schweizer Seen einzusetzen, anstatt in Sharm El Sheikh Tauchferien zu machen?

Thomas Niederer: Ich musste mich entscheiden; beides geht nicht. Ich investiere viel Zeit in dieses Projekt, aber auch eigenes Geld, denn es gibt erschreckend viel Abfall in den Gewässern. Wir haben über 1‘000 Seen in der Schweiz, und dazu kommen noch die Flüsse. Was wir bisher geborgen haben, ist nicht einmal 1 % des Abfalls in unseren Gewässern und es kommt immer wieder neuer Müll dazu. Die nächsten 3 bis 4 Generationen könnten nach Abfall tauchen, und sie würden nicht fertig werden.
Man spricht immer von der Verschmutzung der Weltmeere. Aber auch unsere Gewässer fliessen ins Meer. Um das zu versinnbildlichen: Einer der Fische in unseren Gewässern ist der Aal. Er ist kein heimischer Fisch. Der kommt aus dem Meer, bis zu uns. Um sich fortzupflanzen, kehrt er ins Meer zurück. Wir haben eine direkte Verbindung ins Meer, also landet auch ein Teil unseres Abfalls dort. Es betrifft also auch die Schweiz.

Und Ihre persönlichen Beweggründe?

Wenn ich tauche, dringe ich in eine andere Welt ein. Das hier ist unsere Welt, und unter Wasser existiert eine andere Welt. Da haben wir eigentlich nichts verloren. Wir nutzen die Seen zu unserem Vergnügen, für Werbung,  für Profit. Wir stören diese unterirdische Welt - wir zerstören sie. Deshalb haben wir eine moralische Verpflichtung gegenüber der Natur. Und das ist meine eigentliche Motivation. Wenn ich jetzt wieder zum normalen Menschen werden würde - ich hätte ein schlechtes Gewissen, ich könnte nicht mehr ruhig schlafen. Ich bin den Schritt in diese Richtung gegangen und ich muss die Reise fertig machen. Aber es ist schön, ich fühle mich gut.

Hat Ihr Team auch schon einen „Schatz“ gefunden,  der genutzt oder sogar verkauft werden konnte?

In Stansstadt haben wir einmal ein Schmuckköfferchen gefunden, gefüllt mit wertlosem Schmuck. Darunter befand sich auch eine Militärmarke. Mithilfe der Polizei konnten wir herausfinden, wem das gehört hat. Die haben mich dann angerufen und riesige Freude gehabt. Der Schmuck hatte keinen Geldwert aber einen emotionalen Wert.  Das Köfferchen wurde bei einem Einbruch gestohlen und, da es wertloser Schmuck war, in den See geworfen.

300 Tonnen Abfall haben Sie und Ihr Team schon aus den Schweizer Seen gefischt. Welche Gefahren stellen Abfälle unter Wasser für unsere Umwelt dar? Ist das nicht auch gefährlich für unser Trinkwasser, wenn ganze Kühlschränke, Autos und Chemie im See anstatt auf der Entsorgungsstelle landen?

Das Problem ist, dass Sondermüll schnell pro Kilo 15.- kostet. Wenn man 200-400 kg Sondermüll entsorgen will, zahlt man rund 5‘000 Franken. Die ganz Schlauen denken „Jaja, ich fahre abends mal an einen See und schmeiss es rein“.  Das wird leider praktiziert. Farbrückstände, altes Öl, Säuren und so weiter. Medien sagen immer, die Schweizer Seen seien doch sauber - Trinkwasserqualität. Ja, chemisch gesehen schon, auf diese Menge Wasser ist unser Trinkwasser sauber. Tschernobyl war für uns in der Schweiz auch nicht schlimm. Aber es ist in der Atmosphäre. Und so ist es mit den chemischen Stoffen. Wenn jemand was in Hergiswil in den See schmeisst, ist das für die Urner kein Problem, aber für die Lebewesen vor Ort ist es eine Katastrophe…

(Deutet auf die Zigarette in seiner Hand) Auch der Zigarettenstummel wird von gesellschaftlicher und politischer Ebene total ignoriert. Die schlimmste Form von Littering: Er ist dermassen giftig und schädlich - auch für den Menschen. Ich habe schon gelesen, dass ein Kleinkind so einen Stummel gegessen hat und dann starb.

Wie kommt es, dass sie noch rauchen?

Nobody is perfect (lacht). Ich hab mal angefangen als ich jung war und es ist nicht so einfach, davon wegzukommen. Unser Körper ist selbstregenerierend, man blendet es aus. Wie in der Natur. Natur kann sich ein Stück weit erholen von gewissen Dingen, wie wir auch. Aber der Zigarettenstummel ist Sondermüll. In 0.3 m3 können bis zu 2 Milliarden Lebewesen leben. Ein Zigarettenstummel, also der Giftstoff, der von ihm freigesetzt wird,  kann 300 Liter Wasser verseuchen. Der Zigarettenstummel ist also quasi schlimmer für die umliegende Natur als 100 x Fukushima für die Menschheit.

Bei 3 Millionen Rauchern in der Schweiz sind das täglich Millionen Stummel, die im öffentlichen Raum enden. Meiner Meinung nach gibt es nur eine Lösung, die nachhaltig und sofort wirksam wäre: Ein Pfand auf Zigarettenstummel weltweit. In der Schweiz wäre das Päckchen ein „Fünfliber“ teurer, das ergibt 25 Rappen Pfand pro Zigarette. 5 Rappen kriegt der, der die Stummel vernichtet. Die Staaten haben keine Ausgaben, der Raucher finanziert alles. Ich habe meine Idee nach Bern geschickt. Der Bund hat mir geantwortet, dass es Sache der Kantone ist, und die Kantone behaupten, es sei nicht ihr Kompetenzbereich. Was macht man dann? Das Zigarettenstummel-Projekt ist mein persönliches Projekt, nebst dem Abfalltauchen. Der Zigistummel muss weg und die Schweiz könnte eine Pionierrolle einnehmen.

Bei der Titelverleihung sagten Sie, dass aus einer kleinen Flamme ein grosses Feuer entstehen kann. Nun setzen sich schon 100 Taucher mit Ihnen für unsere Seen ein. Was erhoffen Sie sich für die Zukunft?

Das Projekt muss sich entwickeln und wird wachsen. Ich hoffe, dass wir viele Mitglieder, Aktivisten und Helfer motivieren können, damit wir alle Schweizer Gewässer reinigen können. Aber auch die Ufer.  Der öffentliche Raum, die Natur ist unser erweiterter Lebensraum. (Zeigt auf den See hinaus) Wenn jeder 10 Meter Seeufer übernehmen würde, dann wäre das wunderbar.

Das Thema gehört meiner Meinung auch an die Schulen. Ich möchte die Jugendlichen miteinbeziehen. Am Anfang sind sie oft nicht motiviert. Aber sobald sie unter Wasser sind und etwas gefunden haben, suchen sie weiter. Sie haben ein Erfolgserlebnis.

Was geschieht auf politischer Ebene?

Von der Politik kommt noch nichts. Wir haben das Bundesamt für Umwelt und jeder Kanton, jede Gemeinde hat einen Posten für die Umwelt. Doch was tun sie für die Umwelt? Dass sie sich aktiv für den Schutz der Umwelt einsetzen, stelle ich nirgends fest. Beim Alpnachersee gibt es ein Naturschutzgebiet. Wir sammeln seit 2 Jahren im Schilf den Abfall zusammen, und da ist eine Tafel: „Naturschutzgebiet von nationaler Bedeutung“. Es scheint mir bedeutungslos. Wieso pflegt das niemand? Wuchern lassen ist gut, aber der Plastik gehört da nicht rein. Der ganze Naturschutz basiert auf Ehrenamtlichen, ich kenne keine Projekte vom Kanton oder Bund.

Wie sieht Ihre Abfallbilanz zuhause aus?

Ganz normal. Ich achte mich schon, aber ich bin nicht auf der Suche. Die Umwelt schützen kann man ohne viel Aufwand, indem man gewisse Sachen ein wenig anders macht. Zum Beispiel beim Waschpulver: Der Becher, der mit der Packung kommt, ist so gross, damit die Leute viel brauchen und schneller wieder neues Pulver kaufen. Aber es bräuchte nicht den ganzen Becher, um die Wäsche zu reinigen. Es ist bloss so gemacht, um Leute psychologisch dazu zu verführen, mehr zu brauchen. Das ist auch Umweltschutz, wenn man das weiss und anwendet.

Wo und wann ist der nächste Clean-Up-Day, bei welchem Leute Hand anlegen können?

Am Samstag machen beispielsweise einen Give-and-Grow Tag mit Swisscom. Wir haben permanent Events. Wir schreiben es nicht öffentlich aus, damit wir einen Überblick haben, wie viele Leute kommen. Wer auch einmal mithelfen will, kann aber über unsere Homepage ein Formular ausfüllen und als Gasthelfer oder Gasttaucher vorbeikommen. Bei grösseren Events werden nicht nur die Vereinsmitglieder, sondern auch die Gasthelfer auch angeschrieben.

Zur Erfolgsbilanz: Wie schaut es aus, wenn Sie an früheren Tauchstellen wieder abtauchen? Sind Sie dann frustriert?

Im Bellevue in Zürich ist es arg, doch da reissen sich die Tauchklubs förmlich darum, wer dort nach Abfall tauchen darf. Da haben wir uns zurückgezogen. Auch das Luzerner Seebecken hinter dem KKL ist ganz schlimm. Büchsen, Petflaschen, Kaffeebecher, Feuerzeuge, Glasflaschen, Fastfood-Verpackungen sammeln wir mehrere Male im Jahr zusammen. Luzern ist so sensationell gesegnet mit Abfallkübeln. Aber nein, es landet im Seebecken. Viel davon, zuviel. Bei jedem Event, den wir machen, fallen 1-3 Kubikliter Abfall an. Ein Clean-Up-Day in Luzern kostet uns 1‘000 bis 1‘500 Franken; wir brauchen Verpflegung, ein Boot, Tauchausrüstung und so weiter. Das ist also nicht nur ehrenamtlich, sondern wir geben Geld aus.

Bekommt ihr da auch Unterstützung?

Ich brauche die Medien, um die Botschaft, den Zustand an die Öffentlichkeit zu tragen. Ich habe nur die Medien. Die Auszeichnung vom Held des Alltags ist für letztes Jahr. Ich sehe mich jetzt als Botschafter. In diesem Jahr hab ich die Chance damit zu arbeiten. Wenn nicht jetzt, wann dann?

Ich habe schon Reklamation vom Luzerner Tourismus gekriegt, weil eine Reportage über mich erschienen ist, mit der Überschrift „Luzern’s dreckiges Geheimnis“. Dabei habe ich allen vorher Emails geschrieben und um Hilfe gebeten. Nichts. Im Jetzt fehlt das Geld. Da fehlt mir das Verständnis. Ich bin Realist, ich lebe jetzt. Ich höre immer, dass es nicht ganz einfach ist. Es kann ja nicht einfach sein, wenn man mit dieser Einstellung rangeht. Hört auf mit reden. Du musst nur rausgehen und auflesen. Ganz einfach. Danach kannst du reden oder unterdessen kannst du reden.

Besten Dank für das spannende Gespräch und Ihren Einsatz!

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Kommentare (1) anzeigenausblenden 

0 #Sandy I.2019-04-28 15:21
Großartig! Endlich jemand der beginnt etwas zu unternehmen! Es sollte mehr Menschen auf unserem blauen Planeten geben...! Weiter so!
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