Wie funktioniert das Leben? Um in der Komplexität der Biologie vor lauter Ausnahmen auf Regeln zu stossen, bedienen sich die Forscher sogenannter Modellorganismen. Diese eignen sich gut zur Durchführung von Laborexperimenten, denn sie sind leicht zu halten und produzieren schnell und viele Nachkommen. Ausserdem ist ihr Erbgut bereits bekannt. Die gewonnenen Erkenntnisse übertragen Forscher dann auf andere Organismen. Zu den bekanntesten Modellorganismen gehören die Fruchtfliege Drosophila melanogaster, das Bakterium Escherichia coli, die Maus Mus musculus oder die Pflanze Ackerschmalwand Arabidopsis thaliana. Im nordamerikanischen Bundesstaat New Hampshire, mitten im White Mountain National Forest, wächst eine ganz besondere Art von Modellorganismus- ein ganzes Modellökosystem. Seit 1955 dient der dortige Hubbard Brook Experimental Forest zur Erforschung des Ökosystems Wald.
3160 Hektar Freilandlabor
Ein Ökosystem umfasst einen Lebensraum und alle darin lebenden Organismen und beschreibt so das komplexe Zusammenspiel von unbelebten und belebten Komponenten. Durch seine Vielschichtigkeit können Störungen ein Ökosystem auf mehreren Ebenen beeinflussen. Genaue Vorhersagen dazu zu treffen ist deshalb schwierig. Die Hubbard Brook Ecosystem Study (HBES) führt solche Störungen kontrolliert ein, und beobachtet deren Auswirkungen auf das Ökosystem Wald. Der Hauptfokus liegt auf Veränderungen im Klima, der atmosphärischen Zusammensetzung sowie Wechseln in Flora und Fauna. Die HBES ist eine der längsten und umfassendsten Ökosystemstudie weltweit.
Mehr als nur Bäumchen zählen
Die Liste durchgeführter Experimente ist lang und die Methoden erscheinen rigoros. Da werden Landstriche abgeholzt und mit Helikoptern grossflächig Pestizide versprüht; alles im Namen der Wissenschaft. Kürzlich für Aufsehen gesorgt hat die HBES mit der aufwändigen Simulation von Eisregen. Klimaexperten prognostizieren, dass sich solch extreme Wetterereignisse in Zukunft häufen werden. Um deren Auswirkungen auf den Wald zu untersuchen, haben Forscher mithilfe von Feuerlöschgeräten die Bäume des Hubbard Brook Waldes mit tausenden Litern Wasser benetzt. Bei der winterlichen Durchschnittstemperatur von minus neun Grad Celsius gefror dieses sofort, worauf die mit einer zentimeterdicken Eisschicht bedeckten Pflanzen gründlich untersucht wurden. Die Auswertungen der Messergebnisse sind deutlich. Während sich ein leichter Eisregen positiv auf die Ausdünnung überflüssiger Triebe auswirkt, sind Pflanzen unter häufigem und heftigem Eisregen massiv in ihrer Fähigkeit, Kohlenstoff zu speichern, beeinträchtigt.
Ein weiteres Beispiel für die Relevanz der Forschung in Hubbard Brook zeigt der Umgang mit der Problematik des sauren Regens. In Hubbard Brook wurde 1972 saurer Regen nachgewiesen; zum ersten Mal in ganz Amerika. Diese Entdeckung war Anlass für eine Folge von Nachforschungen über die Auswirkungen von saurem Regen auf die Umwelt, und die gewonnenen Erkenntnisse der HBES führten letztendlich zu verschärften Luftreinhaltegesetzen und Überwachungsmassnahmen. Das aktuelle Langzeitprojekt des HBES beschäftigt sich mit den Auswirkungen ansteigender Temperaturen auf die Fähigkeit des Waldes, als CO2-Senke zu dienen.
Die richtigen Konsequenzen ziehen
Es mag fragwürdig erscheinen, zur Erforschung von Katastrophen, ebensolche künstlich herbeizuführen und ein Ökosystem damit wissentlich zu verändern. Das wäre es auch, hätten die daraus gewonnenen Erkenntnisse nicht weitreichende Konsequenzen, und trügen sie nicht zu gezielteren Massnahmen im Umweltschutz bei. Genau darauf sollte aber ein starkes Augenmerk gelegt werden.
Quellen und weitere Informationen
Hubbard Brook Experimental Forest
What An Artificially Heated Forest Tells Us About Climate Change (HBO)
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