Besonders zu Beginn der Pandemie glaubten Experten, dass das gründliche Desinfizieren häufig berührter Oberflächen das beste Vorgehen gegen das Coronavirus sei. Vor allem in China, Südkorea, Italien, Frankreich und Spanien wurden deshalb LKWs, Drohnen und Roboter eingesetzt, die die chemischen Mittel auf Strassen, Spielplätzen und in Parks verteilten. Laut National Geographic wurden Wohnhäuser in Indonesien mittels Drohnen mit Desinfektionsmitteln überschüttet; in Spanien wurde ein Strand mit mehreren LKW-Ladungen regelrecht überflutet.
Grossflächige Desinfektionen sind sinnlos und gefährlich…
Während es hilfreich ist, häufig berührte Oberflächen regelmässig zu desinfizieren, weiss man heute, dass sich die meisten Menschen über das Einatmen von virenbeladenen Tröpfchen in der Luft mit dem Coronavirus anstecken. Deshalb rät die World Health Organisation (WHO) bereits seit Mai, von Desinfektionsaktionen im öffentlichen Raum abzusehen.
Gesundheitsexperten stufen dieses Vorgehen gar als «ineffektiv» und «möglicherweise gesundheitsschädlich» ein. Die Inhaltsstoffe der meisten Desinfektionsmittel seien ätzend und könnten primär für Menschen mit Atemproblemen eine grosse Gefahr darstellen. Besonders die Kombination von Bleichmitteln und Ammoniak könne tödliche Gase freisetzen.
…nicht nur für Menschen
Dass sich der menschliche Umgang mit dem Coronavirus auf die Umwelt auswirkt, zeigte sich in China. So meldete die Forstschutzbehörde in Chongqing bereits im Februar diesen Jahres 135 Todesfälle bei Wildtieren unterschiedlicher Arten, darunter Wildschweine, Feuerwiesel und Amseln. Die Todesfälle wurden allesamt auf den Kontakt mit Desinfektionsmitteln zurückgeführt.
Basierend auf dem Bericht der chinesischen Forstschutzbehörde warnt eine Gruppe von Wissenschaftlern im Journal Environmental Research vor den Folgen von grossflächigen Desinfektionen in urbanen Räumen. Besonders chlorhaltige Desinfektionsmittel sind äusserst giftig sowohl für Land- als auch Wasserlebewesen, berichten die Forscher. Wegen der Quarantänemassnahmen wagen sich wilde Tiere tiefer in die Städte und halten sich vermehrt in den leeren Strassen, Parks und Kanälen auf. Dort kommen sie in Kontakt mit den gefährlichen Chemikalien. Werden diese Mittel eingeatmet oder eingenommen, führen sie zu Verletzungen der Atemwege und der Verdauungssysteme und in manchen Fällen gar zum Tod. Zudem können diese giftigen Chemikalien in die Nahrungskette gelangen und so weiteren Tieren, aber auch Menschen indirekt Schaden zufügen. Die Forscher befürchten deshalb weitreichende Konsequenzen für die Tierwelt. Ob und wie sich die grossflächigen Desinfektionsaktionen in anderen Ländern auf Tiere auswirken, muss noch erforscht werden.
Mehr Regelung gefordert
In Spitälern und Laboren gibt es strikte Vorschriften und Regeln für das Desinfizieren. Diese fehlen bezüglich des Grosseinsatzes von Desinfektionsmitteln im öffentlichen Raum. Die Forscher fordern deshalb Richtlinien und Überwachungsmassnahmen, um die Umweltbelastung möglichst zu minimieren.
Quellen und weitere Informationen:
WHO: Coronavirus disease (COVID-19): Cleaning and disinfecting surfaces in non-health care settings
Nabi et al. (2020): Massive use of disinfectants against COVID-19 poses potential risks to urban wildlife
National Geographic: Wildlife deaths from coronavirus disinfectant use alarm scientists
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