Tiefseebergbau – „eine vermeidbare Umweltkatastrophe“

Schon nächstes Jahr könnte der Startschuss für massive Eingriffe in das bisher unberührteste Ökosystem gegeben werden. Die Gegenstimmen werden jedoch lauter.

Die Tiefsee ist das am wenigsten erforschte Ökosystem der Erde. Wir wissen wahrscheinlich besser über den Mond Bescheid als über die weiten Tiefen unserer Weltmeere. Was wir gleichwohl wissen, ist, dass in den Tiefen des Ozeans eine erstaunliche Artenvielfalt vorzufinden ist. Neben zugleich faszinierenden wie auch aussergewöhnlichen Tieren und Pflanzen beherbergen die Tiefen des Ozeans aber auch Mineralien und Metalle in ungewöhnlich konzentrierten Mengen. Das macht diesen weitgehend unerforschten Lebensraum wirtschaftlich sehr interessant. Rohstofffirmen und staatliche Akteure führen deshalb seit Jahren Expeditionen in die Tiefsee durch, um die Abbaumöglichkeiten von Manganknollen, kobalthaltigen Krusten an Hängen von Seebergen und polymetallischen Sulfiden zu untersuchen. Die Tiefsee-Erkundungen müssen vertraglich genehmigt werden. Ausgestellt werden die Bewilligungen durch die internationale Meeresbodenaufsichtsbehörde (ISA).

Startet der Abbau im 2023?

Abbaugenehmigungen wurden bis heute keine ausgestellt, weil die rechtlichen Grundlagen fehlten. Im Juni 2021 setzte der Präsident des kleinen Inselstaats Nauru die internationale Meeresbodenaufsichtsbehörde (ISA) über Pläne zum Abbau von mineralischen Rohstoffen am Meeresboden in Kenntnis. Eine „Zweijahresregel“ sieht vor, dass die ISA in einem solchen Fall innerhalb einer zweijährigen Frist wirtschaftliche und umweltspezifische Regeln ausarbeiten muss.

Kurz nach Veröffentlichung des Vorhabens unterschrieben 350 Wissenschaftlerinnen aus 44 verschiedenen Ländern eine Petition, welche ein Moratorium für den Rohstoffabbau am Meeresgrund forderte. Der heutige Wissensstand sei nicht ausreichend, um eine solch weitreichende Entscheidung zu treffen. Auch von Seiten der Politik wurden wichtige Zeichen gesetzt. Das EU-Parlament und mehrere Pazifikstaaten sprachen sich ebenfalls dafür aus, mehr fundierte und belastbare Forschungsergebnisse abzuwarten.  Auch am IUCN-Kongress im September 2021 in Marseille stimmten eine klare Mehrheit der Regierungs- oder Regierungsorganisationen für ein Moratorium des Meerbodenbergbaus.
Selbst Unternehmen wie Samsung, BMW und Google gaben bekannt, dass sie für ihre Produktion auf Rohstoffe aus der Tiefsee verzichten wollen. Andere Firmen – darunter die Schweizer Firmen Glencore und Allseas - hoffen hingegen weiterhin darauf, dass die internationale Meeresschutzbehörde bald Lizenzen für den Abbau am Meeresboden ausstellt.

Am 4. August 2022 gingen in Jamaica Verhandlungen zu den Bestimmungen zum Meeresbodenabbau zu Ende – ohne Resultate. Was ein Auslaufen der Zweijahresfrist bedeuten würde, ist unklar. Ursprünglich wurde die Zweijahresregel eingeführt, um eine Blockade einiger weniger Mitglieder zu verhindern. Angesichts der kritischen Haltung sehr vieler ISA-Mitgliedsstaaten ist es denkbar, dass die Frist bei fehlender Einigung verlängert würde und Nauru also nach Ablauf der Frist nicht einfach mit dem Abbau starten könnte. Doch selbst dann wäre aufgeschoben noch nicht aufgehoben. Von verschiedenen Meeresschutzorganisationen wird demnach angestrebt, die Tiefsee als gemeinsames Erbe der Menschheit und des Lebens auf der Erde unter Schutz zu stellen.

Weitreichende Eingriffe in ein sensibles Ökosystem

Die Ausbeutung von mineralischen Rohstoffe in der Tiefsee zerstört die lokale Pflanzenwelt und kann gar zum Aussterben von Pflanzen- und Tierarten führen.

„Tiefseebergbau ist eine vermeidbare Umweltkatastrophe.“
WWF

Alle Varianten des Tiefseebergbaus sind aus Umweltperspektive höchst bedenklich. So etwa der Abbau von Manganknollen (polymetallische Knollen). Die begehrten Knollen dienen als Grundlage für einzigartige Tiefsee-Lebensräume. Ihre Plünderung stellt deshalb einen massiven Eingriff in das Ökosystem dar. Bei der Entnahme wird auf einer riesigen Fläche Sand aufgewirbelt. Nachdem das Sediment aufgewirbelt wurde, setzt es sich auf Pflanzen und sessilen Tieren ab. Schliesslich kommt zu den bereits massiven Eingriffen während der Entnahme der Rohstoffe noch die Belastung durch die Wiedereinleitung des verschmutzten Produktionswassers. Wie sich all diese Eingriffe auf Flora und Fauna auswirken würden, ist nur sehr schwer abzuschätzen: Insbesondere auch, da wir von den Vernetzungen und gegenseitigen Abhängigkeiten der dortigen Artenvielfalt noch kaum eine Ahnung haben.

Ebenfalls schwer abschätzbar ist, was das Jahr 2023 für den Tiefseeschutz bedeuten wird. Die Konferenz diesen Sommer war die letzte Versammlung aller ISA-Mitgliedsstaaten vor Fristende. Die sich ändernde Stimmung in der Politik und die zahlreichen Bedenken verschiedener Staaten werden hoffentlich dazu führen, dass die Entscheidung zu Gunsten der Tiefseebewohner ausfallen wird.

 

 

Quellen und weitere Informationen:
Guardian: Deep-sea mining could start in two years after Pacific nation of Nauru gives UN ultimatum
IASS Potsdam: Tiefseebergbau: Verhandeln über das Schicksal des gemeinsamen Erbes der Menschheit
Umweltbundesamt: Bergbau am Tiefseeboden
WWF: In too deep

 

 

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