Gerade erst wurde das neue iPhone enthüllt. Viele Nutzer „müssen“ nun wohl umsatteln. Meistens gibt es für den Normalverbraucher keine weltbewegenden Veränderungen und trotzdem erreichen die Anbieter ihr Ziel: Das Handy wird bei vielen Nutzern regelmässig ersetzt und durch die neuere Version ausgetauscht. Besonders bedenklich an der ganzen Sache ist, dass für die Herstellung solcher komplexer Elektronikgeräte eine Vielzahl sogenannter Konfliktmineralien benötigt werden. Diese sorgen in den Abbaugebieten für Bürgerkriege. Dazu kommen die unzumutbaren Produktionsbedingungen im Herstellungsland – grösstenteils China. Umso hirnrissiger ist es also, wenn die Geräte bei uns bereits nach kurzer Zeit in den Schubladen verstauben.
Das niederländische Unternehmen „Fairphone“ schlägt in der Elektronikindustrie einen alternativen Weg ein. Die Hersteller versprechen Langlebigkeit und versuchen, die Fairness der Produktion stetig zu verbessern. Kinderarbeit oder das Unterstützen von „blutigen“ Mineralien sollen beispielsweise umgangen werden. Grundsätzlich ist das Ziel aber nicht, einfach ein faires Handy zu bauen – auch Fairphone wird oft für seine Produktion in China kritisiert – sondern auf die Missstände in den Produktionsländern aufmerksam zu machen und sie möglichst zu umgehen. Zudem verspricht die Firma, mit dem Erlös wiederum in Projekte zur Verbesserung der sozialen Missstände in den betroffenen Ländern zu investieren. Des Weiteren soll ein effizienterer Ressourcengebrauch durch die modulare Bauweise des Geräts zu mehr Nachhaltigkeit beitragen. Damit setzt sich Fairphone bewusst von grossen Elektronikherstellern ab, die ihre Geräte gewissermassen „versiegeln“ und keine Reparaturen zulassen. Für dieses Bestreben wurde das Unternehmen unter anderem bereits mit dem Blauen Engel und dem Deutschen Umweltpreis 2016 ausgezeichnet.
Ausnahme in der Elektronikindustrie: Fairphone ist bemüht, die Lieferketten seines Produktes unter Kontrolle zu bekommen. (Bild: Fairphone)
Was der Produzent verspricht
Konfliktfreie Mineralien: Transparenz über die Produktions- und Beschaffungsorte innerhalb der Wertschöpfungskette. Am 20. Juni konnten die Hersteller verkünden, dass mittlerweile sogar Gold, Tantal, Zinn und Wolfram konfliktfrei bezogen werden können.
Langlebigkeit, Reparatur und Recycling: Durch die modulare Bauweise des Handys wird sichergestellt, dass Teile ausgetauscht, repariert und recycelt werden können. Viele dieser Modifikationen können direkt vom Benutzer getätigt werden. Fairphone liefert einige Erklärvideos, wie beispielsweise eine Anleitung, wie man seinen Bildschirm austauschen kann.
Robust & Anpassungsfähig: Das Design ist bewusst robust und die Bestandteile des Handys sollen für den Nutzer variabel sein. Das Handy „stirbt“ somit nicht mehr an einem alternden Akku oder einem kaputten Display. Es besteht die Möglichkeit, 2 Simkarten einsetzen oder die Speicherkapazität mit eine microSD-Karte erweitern. Auch kann das Betriebssystem ohne grosse Mühe ausgetauscht werden. Standartmässig ist auf dem Fairphone Android vorinstalliert.
Durch das modulare Design des Fairphone 2 lassen sich Teile ersetzen, austauschen und reparieren. (Bild: Fairphone)
Technische Daten
Display: 5-inch Full HD LCD Bildschirm, Gorilla® Glass 3
Kamera: 12 Megapixel (Modul austauschbar)
Betriebssystem: Android™ 6.0 (Marshmallow)
Masse und Gewicht: 143 x 73 x 11mm / 148g +20g (externes Gehäuse)
Speicherkapazität: 32 GB, erweiterbar mit externer Speicherkarte
Arbeitsspeicher: 2 GB
Persönlicher Eindruck nach 10 Tagen in Betrieb
Mit dem Design konnte ich mich auf Anhieb anfreunden. Das Gerät ist zwar etwas klobig und schwer, dies ist aber aufgrund der damit einhergehenden Robustheit des Geräts eher Vorteil als Nachteil. Natürlich ist es nicht mit den schlanken Designs der Konkurrenz zu vergleichen, für die im Anschluss auch ein viel grösseres Repertoire an Hüllen, Öhrchen und Täschchen angeboten wird. Da aber für den Nutzer eines Fairphones wohl nicht die ästhetischen Ansprüche im Vordergrund stehen, ist dies verkraftbar. Ähnliches muss man natürlich auch beim Preis anmerken. Für ein Handy mit ähnlicher Ausstattung wird bei den Konkurrenten in der Regel um einiges weniger bezahlt.
Bezüglich der Bedienung ist anzuführen, dass ich mich als „Normalverbraucher“ bezeichnen würde. Übliche Anwendungen wie Mailen, Kalender, WhatsApp, Fotografieren und einige weitere nutze ich täglich. Jedoch keine leistungshungrigen Anwendungen. Eine Kritik, die ich im Vorfeld oft gelesen habe – der Akku halte zu wenig lange – kann ich daher nicht aus eigener Erfahrung bestätigen. Das Handy ist zwar ständiger Begleiter, jedoch lasse ich es während des Tages öfters mal ein bis zwei Stunden liegen. Der Akku hat daher den ganzen Tag gehalten. Da ich bereits ein Android-Handy besitze, war die Umstellung aufs Faiphone 2 in wenigen Minuten erledigt und von der Bedienung her kein Problem. Lautsprecher und Mikrophon funktionierten anstandslos.
Ein Manko zeigte sich allerdings: Das Handy hat sich während der Testzeit von 10 Tagen mindestens dreimal aufgehängt und musste neu starten. Zudem hat sich das Handy gegen Abend verabschiedet, obwohl der Akkustand noch 10% verzeichnete. Weitere Mängel liegen im Touchscreen verborgen. Dieser reagiert zeitweise mit markanter Verzögerung. Ganz allgemein ist die Geschwindigkeit des Handys etwas geringer als gewohnt, jedoch in einem akzeptablen Rahmen.
Etwas enttäuscht haben die Kameras (insbesondere die Frontkamera), dort ist man sich im ähnlichen Preissegment deutlich besseres gewohnt. Dazu ist zu sagen, dass es ein Ersatzmodul zu kaufen gibt, mit der die Hauptkamera erweitert werden kann. Jemandem, der mit einzelnen Teilen der Hardware unzufrieden ist, bleibt also immer noch die Hoffnung, dass eine Erweiterung auf den Markt kommt, die dem Schwachpunkt Herr wird.
Über die Langlebigkeit oder das Austauschen von Modulen kann nach der Testphase von 10 Tagen keine Bilanz gezogen werden. Eines hat sich aber bereits im Vorfeld abgezeichnet: Wer alle Freiheiten und Möglichkeiten des Fairphones (Hardware als auch Software-Modifikationen) nutzen möchte, sollte technikaffin sein. Jemand der genau dies ist, kann sich mit dem Fairphone 2 wahrhaft austoben.
Das hessische Start-up SHIFT hat sich mit der gleichen Motivation an einem Fair Trade Handy versucht. Die dritte und neuste Version ist das Shiftphone 5.3.
Fazit: Kaufempfehlung?
Wenn man das Fairphone 2 mit den geläufigen Produkten auf dem Markt vergleicht, welche Ähnliches bieten, stimmt das Preis-Leistungs-Verhältnis des Geräts nicht. Zählt man die sozialen und ökologischen Komponenten dazu, relativiert sich jedoch der Preisunterschied und man stellt sich die Frage: Wieso kriegen es andere (grössere) Hersteller nicht hin, nachhaltig zu produzieren?
Auch die Produktion des Fairphones 2 ist nicht perfekt, jedoch versucht das Unternehmen seit Beginn, die Probleme in der Elektronikindustrie anzugehen und sich dabei Schritt für Schritt weiter zu entwickeln. All dies wird transparent kommuniziert. Wem eine nachhaltigere Elektronikindustrie und die Arbeitsbedingungen in den Produktionsländern am Herzen liegen, bietet dieses Gerät eine taugliche Alternative. Diejenigen werden dem Gerät dann auch den einen oder anderen Makel verzeihen. Ebenfalls ist es für Technikfreaks, die der Bevormundung der Grosskonzerne entfliehen möchten, eine willkommene Alternative. Das niederländische Unternehmen setzt den Schritt in die richtige Richtung und kommt damit dem Bedürfnis vieler Kunden nach. Bleibt zu hoffen, dass weitere Elektronikfirmen das Potential einer Veränderung in diese Richtung erkennen.
Sollte man nun sofort in den nächsten Shop rennen und sich das Ding besorgen? Besser nicht. Grundsätzlich ist jedes nicht gekaufte Gerät besser als ein neues, faires Handy. Steht jedoch eine Neuanschaffung bevor, lohnt sich der Blick auf die faire Fraktion auf dem Markt!
Wo beziehe ich das Fairphone?
Das Fairphone kann in der Schweiz über verschiedene Verteiler (Sinndrin, Digitec, Faircustomer u.a.) bestellt werden. Im Angebot ist auch eine etwas günstigere „New Life Version“. Dabei handelt es sich um ein restauriertes Modell aus Einzelteilen zurückgegebener oder teilweise defekter Geräte.
Kommentare (1) anzeigenausblenden
Da die Handybenutzung den Bau und die Unterhaltung einer umfangreichen und aufwendigen Infrastruktur voraussetzt und keine Notwendigkeit für den Mobilfunk vorliegt, dürfte es generell mit der "Nachhaltigkeit" dieses Kommunikationsmittels schlecht aussehen.