Bereits im 19. Jahrhundert dienten die Formen und Farben auf der Müllhalde dem Maler Vincent Van Gogh als Inspirationsquelle. Seine Faszination für die Ästhetik des Weggeworfenen drückte er in Bildern und Gedichten aus. Offensichtlich stellte für ihn und seine Zeit der Müll noch kein Problem dar. Das hat sich geändert. Heute setzen sich viele Künstler kritisch mit dem Thema auseinander und sehen im Abfall nicht nur ein Potenzial für ästhetisch anmutende Kunst, sondern auch ein grosses Problem für Umwelt und Gesellschaft.
Einer dieser engagierten Abfall-Künstler ist der Brasilianer Vik Muniz. Der Dokumentarfilm „Waste Land“ (2010) zeigt sein Kunstprojekt in einer der weltgrössten Mülldeponien, dem “Jardim Gramacho” in Rio de Janeiro. An diesem Ort leben Hunderte von Menschen unter prekären Bedingungen. Sie suchen die Müllberge tagtäglich nach rezirkulierbarem Material ab und verdienen sich so ihren bescheidenen Lebensunterhalt. Muniz hat sich auf die Müllberge begeben und das Leben der Leute, die dort wohnen und arbeiten in Form von Foto-Portraits festgehalten. Anschliessend stellte er die Fotografien mit Materialen aus der Deponie nach (Gallerie). Entstanden sind eindrückliche Werke, die uns daran erinnern sollen, dass die Art und Weise, wie wir konsumieren und wegwerfen die Welt formt – sozial und ökologisch.
Die Strukturen unserer Konsumgesellschaft und unseres Konsumverhaltens lassen sich weder vom Ökosystem, noch von uns Menschen getrennt betrachten.
Während Millionen von Menschen täglich unbeschwert grosse Mengen an Müll produzieren, mühen sich andere in den stinkenden Abfallbergen ab, um wiederverwertbare Bestandteile herauszupicken und sich so ihr tägliches Brot zu verdienen (siehe dazu den Artikel über den Elektroschrott in Ghana). Die grossen Mülldeponien belasten die Umwelt und die Gesundheit der Menschen. Muniz zeigt so mit seinem Projekt, dass sich die Strukturen unserer Konsumgesellschaft und unseres Konsumverhaltens weder vom Ökosystem, noch von uns Menschen selbst getrennt betrachten lassen. Heute haben sich in Rio dank seinem Projekt Recyclingfirmen den Müllbergen angenommen und die ehemaligen Müll-Arbeiter konnten neue, bessere Jobs finden.
Neben den vielen Künstlern und Designern, die sich mit dem Thema beschäftigen, hat sich die kreative Wiederverwertung von Abfall vielerorts auch regelrecht zum Volkssport entwickelt. In Brasilien und in anderen Ländern in Südamerika oder Asien ist die Recycling-Kunst schon seit langem im Trend. Slum-Kinder basteln sich ihre Spielautos aus Pet-Flaschen und die Rapper fertigen ihre Halsketten aus Aludosenlaschen. Was anfangs ein Mittel zum Zweck der unteren sozialen Schichten war, ist heute auch bei teuren Designerlabels gefragt. Paradoxerweise floriert die künstlerische Recycling-Praxis aber auch deshalb, weil in den betroffenen Ländern der Müll oft in sehr grossen Mengen und überall verfügbar ist. Er liegt auf den Strassen oder sammelt sich am Strand oder auf offenen Mülldeponien. Viele europäische Recycling-Künstler kaufen hingegen das gesuchte Material sogar bei Entsorgungsunternehmen auf. Dennoch wird auch hier viel mit dem alltäglichen Haushaltsabfall gearbeitet: Plastiktüten oder Aluverpackungen sind sehr beliebt. Einige Hobbykünstler aus England haben sich zum Ziel gesetzt, so viel wie möglich des Mülls, den sie produzieren, zu Kunst und nützlichen Gegenständen, wie z.B. Taschen oder Portemonnaies zu verarbeiten (http://www.recyclingexpert.co.uk/theartofrecycling.html). Dabei sind sie jedoch sehr schnell an ihre Grenzen gestossen: Die Abfallberge waren schlicht zu gross, die räumlichen Kapazitäten zu klein.
Die künstlerische Praxis kann uns so helfen, zu realisieren, wie viel brauchbares Material wir jeden Tag wegwerfen. Durch die kreative Wiederverarbeitung wird der Abfall symbolisch (und praktisch) aufgewertet. Die Kunst deckt das grosse Potential auf, das in wertvollen Ressourcen steckt, die wir als Abfall abtun und auf Deponien oder in Verbrennungsanlagen „abschieben“, wo sie die Umwelt schwer belasten. Natürlich kann die künstlerische Form von Recycling nicht mit der industriellen, grossflächigen und effizienten Recycling-Praxis konkurrieren, aber umso mehr dazu ermutigen, im Kleinen vieles zu bewirken. Auf eindrückliche Weise macht sie den „letzten Dreck“ zum Wertgegenstand oder sogar zum edlen, teuren Kunstwerk und hinterfragt so die materialistischen Wertvorstellungen der Konsumgesellschaft.
Weitere Informationen:
Trailer „Waste Land“ (2010)
(Foto: enchiladaplate)
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