Expertenmeinung von Professor Peter Nagel

Ohrenkneifer - Ein Verwandter des nicht mehr existierenden St.-Helena-Riesenohrwurms. Ohrenkneifer - Ein Verwandter des nicht mehr existierenden St.-Helena-Riesenohrwurms.

Peter Nagel ist Professor für Biogeographie an der Universität Basel. In seinem Gastkommentar erläutert er, wieso das Verschwinden des St.-Helena-Riesenohrwurms zwar schlimm und bedauerlich aber auch lehrreich ist. Professor Nagel forscht unter anderem in den Bereichen Biogeographie, Tropenökologie sowie Naturschutz. Sein Spezialgebiet sind die Fühlerkäfer (Paussinae).

„Das Forscherpaar Ashmole macht wenig schmeichelhafte Bemerkungen zur Arbeit der belgischen Expeditionen und unterstellt quasi, dass deren Aufsammlungen mitverantwortlich für das Aussterben des St.-Helena-Riesenohrwurms wie auch des grossen Laufkäfers Aplothorax burchelli gewesen seien. Ich sehe das anders: Ohne die Ergebnisse der belgischen Expeditionen wüssten wir bis heute nichts Substantielles über die Lebensweise des Käfers und des Riesenohrwurms (auch wenn die Informationen zu letzterem immer noch sehr spärlich sind) und wären auch insgesamt nur unzureichend über die Fauna der Insel St. Helena informiert.

„Von Anbeginn den Natur- und Artenschutz als integralen Bestandteil jeglicher Entwicklung etablieren“

Zu kleine Populationen zum Überleben

Die Populationen der beiden Arten waren schon in den 1960er-Jahren, also zur Zeit der belgischen Expeditionen, nur noch Reste ehemals weiterer Verbreitung auf der Insel. Sie lebten bereits in suboptimalen Ersatzhabitaten und waren offenbar schon deutlich unterhalb der „minimum viable population size“, also der kleinstmöglichen effektiven Populationsgrösse, die unter festgelegten Bedingungen noch überlebensfähig ist. Ganz deutlich sieht man das an den Funden von Zangen und anderen Körperteilen toter Riesenohrwürmer an anderen Stellen der Insel als dort, wo die belgische Expedition lebende Tiere gesammelt hat. Mit anderen Worten: Die beiden Arten wären auch ohne zusätzliche Aufsammlungen ausgestorben. Ursachen scheinen die massiven Habitatzerstörungen bereits vor und definitiv seit Beginn der permanenten Besiedlung im 17. Jahrhundert in Verbindung mit der Bejagung durch eingeschleppte Ratten und Mäuse und Konkurrenz durch einen eingeschleppten grossen Hundertfüsser (Skolopender) zu sein. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren bereits viele endemische Pflanzen ausgerottet und die natürliche Vegetation (Ökosysteme), inklusive der "Wälder" (wohl eher lichtere Haine) weitgehend verschwunden. Die Entnahme von Oberflächensteinen für den Hausbau in jüngerer Zeit (im Schutzgebiet!), unter denen die Tiere tagsüber Schutz suchten, hat sicher auch zum Verschwinden beigetragen.

Vorsorgeprinzip entscheidend

 So schlimm das Aussterbeereignis auch ist, so trägt dessen blosse Kenntnis (die meisten Insekten sterben aus, ohne dass sie der Wissenschaft bekannt werden) doch dazu bei, erneut etwas daraus zu lernen: Nämlich, dass ab einem gewissen Punkt der Habitatzerstörung und Einschleppung gebietsfremder Arten keine Massnahmen mehr das Aussterben selbst so robuster Arten wie solcher Insekten verhindern können. Das heisst, man muss dem Vorsorgeprinzip gemäss den menschlichen Einfluss bereits zu einem Zeitpunkt naturverträglich gestalten, zu dem noch mehrere grosse, überlebensfähige Populationen in ihrer naturnahen Umgebung existieren, beziehungsweise von Anbeginn den Natur- und Artenschutz als integralen Bestandteil jeglicher Entwicklung etablieren und diesen Zustand dann über Jahrhunderte hinweg kontinuierlich sichern und fördern - das Aussterben dieser beiden Arten begann mit der Entdeckung der Insel 1502, also vor 500 Jahren!“ 

Kommentar schreiben

Die Kommentare werden vor dem Aufschalten von unseren Administratoren geprüft. Es kann deshalb zu Verzögerungen kommen. Die Aufschaltung kann nach nachstehenden Kriterien auch verweigert werden:

Ehrverletzung/Beleidigung: Um einen angenehmen, sachlichen und fairen Umgang miteinander zu gewährleisten, publizieren wir keine Beiträge, die sich im Ton vergreifen. Dazu gehören die Verwendung von polemischen und beleidigenden Ausdrücken ebenso wie persönliche Angriffe auf andere Diskussionsteilnehmer.

Rassismus/Sexismus: Es ist nicht erlaubt, Inhalte zu verbreiten, die unter die Schweizerische Rassismusstrafnorm fallen und Personen aufgrund ihrer Rasse, Ethnie, Kultur oder Geschlecht herabsetzen oder zu Hass aufrufen. Diskriminierende Äusserungen werden nicht publiziert.
Verleumdung: Wir dulden keine Verleumdungen gegen einzelne Personen oder Unternehmen.

Vulgarität: Wir publizieren keine Kommentare, die Fluchwörter enthalten oder vulgär sind.

Werbung: Eigenwerbung, Reklame für kommerzielle Produkte oder politische Propaganda haben keinen Platz in Onlinekommentaren.

Dazu passende Artikel

Logo von umweltnetz-schweiz

umweltnetz-schweiz.ch

Forum für umweltbewusste Menschen

Informationen aus den Bereichen Umwelt, Natur, Ökologie, Energie, Gesundheit und Nachhaltigkeit.

Das wirkungsvolle Umweltportal.

Redaktion

Stiftung Umweltinformation Schweiz
Eichwaldstrasse 35
6005 Luzern
Telefon 041 240 57 57
E-Mail redaktion@umweltnetz-schweiz.ch

Social Media

×

Newsletter Anmeldung

Bleiben Sie auf dem neusten Stand und melden Sie sich bei unserem Newsletter an.