Holt’s der Geier, tötet’s den Geier

Der Verzehr kontaminierten Fleisches lässt die Raubvögel an Nierenversagen verenden. Der Verzehr kontaminierten Fleisches lässt die Raubvögel an Nierenversagen verenden.

Bis vor wenigen Jahrzehnten war Indien ein Paradies für Geier. Ihre Fressgewohnheiten haben sie auf dem Subkontinent aber fast an den Rand des Aussterbens getrieben. Rinder, die eines natürlichen Todes sterben, werden nämlich liegen gelassen und stellen somit eine schier unerschöpfliche Nahrungsquelle für Geier dar. Sind die Kadaver aber mit dem Schmerzmittel Diclofenac verseucht, das die Rinder vor ihrem Ableben erhielten, ist das verheerend: Bereits geringe Mengen lassen die Geier an Nierenversagen verenden. Trotz den Beobachtungen aus Indien haben fünf EU-Staaten das Medikament in den letzten Jahren für die Behandlung von Nutztieren zugelassen. Vogelschützer und Forscher warnen: Die europäischen Geier ereile somit dasselbe Schicksal wie ihre südasiatischen Verwandten.

Winzige Mengen bereits tödlich

Geier bevölkerten bis in die Neunzigerjahre zu Millionen den indischen Subkontinent. Heute sind die Bestände der damals drei häufigsten Arten – Bengalgeier (Gyps bengalensis), Indiengeier (Gyps indicus) und Schmalschnabelgeier (Gyps tenuirostris) – um bis zu 99,5 Prozent zurückgegangen. Es waren nicht etwa illegale Jagd oder die zunehmende Bevölkerung entscheidend für diesen dramatischen Bestandsrückgang. Dafür verantwortlich waren die Fressgewohnheiten der Geier: Sie ernähren sich als Aasfresser von toten Tieren, vor allem von Rindern. In Indien werden diese aus religiösen Gründen nicht getötet und so sterben sie eines natürlichen Todes. Das ist für die Geier wie im Schlaraffenland, wären die altersschwachen und kranken Tiere nicht vor ihrem Ableben mit Diclofenac-haltigen Medikamenten gegen Schmerzen behandelt worden. Für Rinder ist das Medikament relativ gut verträglich, erst eine Dosis von 2,5 Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht ist für sie tödlich; für Geier hingegen reichen bereits 0,225 Milligramm pro kg Körpergewicht, um bei ihnen Nierenversagen mit Todesfolge zu verursachen, wie das Magazin Veterinary Times berichtet. Hundertausende von ihnen verendeten, was die Bestände dramatisch einbrechen liess. Ein einzelnes verseuchtes Rind reicht dabei aus, um unzählige Geier auf einmal zu vergiften, denn die Vögel fressen oft in grossen Gruppen an den Kadavern (wie folgendes Video aus dem Jahr 1968 zeigt).

Diclofenac in Südasien verbannt

Forscher um Richard J. Cuthbert fanden in einer im Fachmagazin Philosophical Transactions of the Royal Society B publizierten Studie heraus, dass Diclofenac im Jahr 1994 in Indien das erste Mal zum Einsatz kam. Als Massnahme gegen die massiven Bestandseinbussen verboten im Jahr 2006 Indien, Nepal und Pakistan die Präparate, 2010 zog Bangladesch nach. Cuthbert und seine Forscherkollegen massen Diclofenac-Konzentrationen in Rinderkadavern drei Jahre nach dem Verbot des Präparats. Ihre Studie zeigt, dass nur noch halb so viele Kadaver Diclofenac-Rückstände aufwiesen, dafür fanden sie Rückstände des Ersatzpräparats Meloxicam, das für die Geier ungiftig ist. Mit dem Verbot von Diclofenac verringerte sich also auch die Todesrate der Geier.

„Die Geierbestände sind in Südasien um bis zu 99,5% eingebrochen, nachdem Geier Kadaver von mit Diclofenac behandelten Rindern gefressen haben.“

Die Bestandsabnahme konnte durch das Verbot gebremst und die Bestände stabilisiert werden; dennoch sind sie derart tief, dass die Geier nach wie vor vom Aussterben bedroht sind. Die langsame Fortpflanzungsrate, unter anderem durch eine späte Geschlechtsreife, verhindert zudem, dass die Bestände wieder rasch anwachsen.

Fünf EU-Staaten erlauben Diclofenac

Auch in anderen Weltgegenden sind Geier bedroht, wie Darcy L. Ogada und Kollegen in einer ausführlichen Studie aufzeigen. Neben der direkten Verfolgung durch Jagd und mit Giften ist die Lebensraumzerstörung durch die Ausbreitung menschlicher Siedlungen einer der Faktoren für den Rückgang der Geierbestände weltweit. Nach den massiven Bestandseinbussen in Asien und Afrika befinden sich nun die zahlenmässig grössten Geierpopulationen in Europa, wie Rosa Angela Ragni in der Veterinary Times schreibt. Wiederansiedlungsprojekte und Futterstellen sorgten für Aufwind in den Bestandszahlen, beispielsweise von Bartgeier und Gänsegeier.

Das stimmt optimistisch, hätten da nicht Italien (2009) und Spanien (2013) Diclofenac-haltige Tiermedikamente zur Behandlung von Rindern, Schweinen und Pferden zugelassen. Vogelschutzorganisationen und Forscher wandten sich an die EU, um die Anwendung der Medikamente zu verbieten und Alternativen zu suchen; sie befürchten ähnliche Folgen wie in Südasien. In Spanien werden Geier an Futterstellen mit Tierkadavern, beispielsweise aus der Landwirtschaft, gefüttert. (siehe Video)

Wären diese mit Diclofenac verseucht, tötet man die Vögel anstatt sie zu fördern. Die European Medicines Agency (EMA) veröffentlichte am 12. Dezember 2014 eine Pressemitteilung, in der sie vor dem Einsatz von Diclofenac warnt und die Gefahr für die europäischen Geier aufzeigt. Die Europäische Kommission muss nun entscheiden, ob diese Präparate für den Einsatz an Nutztieren europaweit verboten werden. Übrigens, in der Schweiz sind solche Präparate für die Behandlung von Tieren nicht zugelassen.

Geier als Gesundheitspolizei

Geier sind wichtig für ein gesundes Ökosystem, aber auch für die Gesundheit der Menschen. Als Seuchenpolizei entfernen sie Kadaver innert kurzer Zeit und verhindern so, dass diese zu Erregerherden werden; Ihre starke Magensäure zerstört die Keime. Ogada und Kollegen zeigen in einem Fachartikel auf, dass sich nach dem Bestandszusammenbruch in Südasien Ratten und wilde Hunde massiv ausbreiteten. Diese können im Gegensatz zu den Geiern Krankheiten verschleppen; so hat beispielsweise die Tollwut in Indien massiv zugenommen.

Für die Natur haben Geier eine weitere entscheidende Funktion: Sie ermöglichen durch das Öffnen der Kadaver vielen anderen Tieren den Zugang zum Inneren des verendeten Tiers.

Geier erbringen für den Menschen eine wertvolle Dienstleistung: Würden die Geier die Kadaver nicht fressen, müsste der Mensch diese unter erheblichem Zeit- und Kostenaufwand entfernen, damit sich keine Krankheiten durch Säugetiere wie Füchse, wilde Hunde und Ratten ausbreiten. Die Geier zu schützen, bringt also sowohl eine gesunde Umwelt, als auch gesunde Menschen mit sich.

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