Anfang November dieses Jahres fiel in Argentinien ein Gerichtsentscheid, der uns aufhorchen liess. Die Richterin María Alejandra Mauricio sah sich der Frage ausgesetzt, ob die offensichtlich leidende Schimpansin Cecilia aus dem Zoo von Mendoza entlassen werden sollte. Sie entschied, dass sie hier nicht über eine "Sache" urteile, sondern über ein Wesen mit Persönlichkeit und einem Recht auf Selbstentfaltung, und sprach der Schimpansin einen Status als "nicht-menschliche Person" zu: Cecilia sei mehr Mensch als Sache. Sie verfügte auf "Freispruch"; Cecilia wird jetzt in ein offenes brasilianisches Menschenaffenrefugium überführt. Kaum war diese Meldung eingesickert, folgte die nächste: Das Projekt "Sentience Politics" reichte in Basel-Stadt die Volksinitiative "Grundrechte für nichtmenschliche Primaten" ein.
Es kommt also Bewegung in die Sache, die feine Rede von der Würde der Tiere in konkretere Bandagen zu fassen. Im Rahmen unserer Freitags-Artikelserie haben wir in den letzten Wochen verschiedentlich Positionen der Tierethik angetippt. Wir konzentrierten uns dabei auf Wildtiere und auf jene Orte, wo wir ihrer mit Vorbedacht ansichtig werden: In Zoos, Zirkussen oder Wildtierreservaten. Das potentielle Tierleid in diesen Einrichtungen ist, rein quantitativ bemessen, natürlich nur eine Marginalie gegenüber dem milliardenfachen Leiden unserer domestizierten "Nutztiere". Man kann also durchaus berechtigt die Ansicht verfechten, der fruchtbarste Einsatz tierrechtlicher Bemühungen wäre die Abschaffung und Umwandlung des "Schweinesystems" (Matthias Wolfschmidt). Doch Zoo und Zirkus bieten sich andererseits als Bühne der Debatte auch an: Kaum etwas versinnbildlicht unseren Umgang mit Tieren so kontrovers wie das Gitter zwischen uns und der exotischen, "wilden" Kreatur. Die ethischen Fragen und auch die rechtlichen Problemstellungen lassen sich daran vergleichsweise überschaubar aufhängen.
Ein verschlepptes ethisches Problem
Descartes machte es sich bezüglich dieser Fragen und Probleme der Tierethik damals recht einfach, als er die Tiere kurzerhand zu instinktgesteuerten Automaten erklärte, und zeitgleich sah auch Francis Bacon jenseits des Kanals "die Natur zum Nutzen des Menschen geschaffen". Zumindest Descartes wurde schon bald widersprochen, doch das Bild hielt sich; einerseits, weil es dem wissenschaftlichen Zeitgeist mit seiner mechanistischen Vorstellung des Universums als fein abgestimmtem Uhrwerk entsprach, aber wohl auch, weil es das Selbstverständnis der Menschen als Majestätinnen der Schöpfung tröstlich-behaglich stützte. Die Fragen nach den individuellen Charakteren, Gefühlen oder gar Rechten der Tiere waren damit erst mal vom Tisch.
Das war vordem auch schon mal anders. Aus dem Mittelalter sind uns tierische Charakterzuschreibungen ebenso wie Tierprozesse überliefert. Da wurden dann Feldmäuse oder Maikäfer in ihrer Gesamtheit in Acht und Bann gesetzt, wenn sie der menschlichen Lebenshaltung oder auch dem christlichen Moralkanon allzu quer kamen. Ihre Ausrottung war dann kein Zeitvertreib mehr, sondern Pflicht... Wir erwähnen das hier nur, um aufzuzeigen, wie sich eine Unterordnung von Tieren unter menschliche Gerichtsbarkeit den Absichten von uns Tierschützern auch konträr entwickeln kann.
„Ihre Schmerzensschreie bedeuten nicht mehr als das Quietschen eines Rades“
René Descartes
Die zu klärenden Fragen einer zielgerechten ethischen Berücksichtigung des nicht-menschlichen Lebewesens haben sich jedenfalls seit Descartes aufgestapelt. Eine Auswahl: Wovon soll ein eigener Rechtsstatus von Elefanten, Quallen, Delfinen oder Schwalben abhängen? Von ihrer Fähigkeit, sich im Spiegel selbst zu erkennen, oder doch von ihrer Leidensfähigkeit? Dann die Grenzziehung: Wenn es ethisch fragwürdig ist, ein Kälbchen zu schlachten, auf dass es uns nicht die begehrte Milch seiner Mutter wegtrinke, gilt das dann auch für die Heuschrecke, die sich am Getreide gütlich tut? Darunter liegen grundsätzlichere Fragen: Hat das spezifische Tier überhaupt Gefühle? Welche? Fühlt es sich in seinem natürlichen Habitat wohler, vielleicht "heimischer" als im künstlichen? Hat es irgendeine Art von (Selbst-)Bewusstsein, und wenn ja, wieviel davon? Würde es ernsthaft die mannigfache Bedrohung durch Krankheiten und Raubfeinde in freier Wildbahn dem Schutz eines Zoogeheges vorziehen? Da es uns das nicht sagen kann, schwebt darüber zusätzlich das Problem des Anthropomorphismus: Unserer Neigung, allen möglichen Dingen - dem Wetter, der Nachbarskatze, dem Computer - menschliche Gefühle und Absichten zu unterstellen. Betreffs einer angemessenen Beurteilung der tierischen Bedürfnisse und Lebensart kann diese Gewohnheit uns - aber vor allem auch das jeweilige Tier - in Teufels Küche führen. Siehe Tierprozesse.
Empfinden Tiere Schmerzen?
Wir sehen uns nun gänzlich ausserstande, all diese Probleme hier gebührend zu diskutieren. Wir wollen stattdessen auf einige kompetente Publikationen verweisen; hier, hier oder auch hier. Nur bezüglich einer ärgerlichen, immer wieder angeführten Frage wollen wir uns an einer Antwort versuchen: Leiden Tiere? Oder anders: Empfinden sie Schmerz? Wir können da, wie wir meinen, sogar die Fallstricke der Anthropomorphisierung einigermassen elegant umgehen, wenn wir nur eine Unterteilung der gängigen Gefühlswelten in zwei grundlegende Prinzipien vornehmen, die da wären; Anziehung und Abstossung.
Im Spektrum der Anziehung irrlichtern die begehrlichen Gefühle, Stimmungen und Sinneseindrücke wie Lust, Süsse, Selbstbestätigung. Von ihnen wollen wir mehr. In jenem der Abstossung liegen ihre Kontrapunkte Schmerz, Ekel oder Verzweiflung. Davon wollen wir in aller Regel weniger bis nichts. Abgesehen von ihrem publikumsbindenden Wert für Literatur und Fernsehen erfüllen diese Sinneseindrücke auch eine evolutionäre Funktion, indem sie uns das Überleben erleichtern und uns etwa in den Zähnen des Löwen einen drohenden Quell qualvoller Empfindungen erahnen lassen. Der nicht-menschlichen Tierwelt diese Erlebnisfähigkeit abzusprechen, wäre absurd. Dahingestellt, ob die Meise, die am winterlichen Futterhäuschen einen Stromschlag erhält, den Schmerz genau so erlebt wie wir: Er muss in jedem Fall eine reichlich unangenehme Empfindung sein, um seine warnende Funktion zu erfüllen. Der Selbsterhalt der Lebensformen ist ohne diesen Kontrast in der Sinneswahrnehmung - angenehm; das wiederhol *ich* gern mal wieder: unangenehm; das lass *ich* erst mal bleiben - schwer vorstellbar. Und anzunehmen, dass trotz der gemeinschaftlichen evolutionären Herkunft von Mensch und Meise das Nervensystem eigens für uns eine neue Aufgabe der Selbstzüchtigung erfunden habe, ist bestenfalls keck. Also, nach bestem Gewissen: Ja, Tiere empfinden Schmerz, und es ist davon auszugehen, dass sie in unausgesetzt unbefriedigender Umgebung auch leiden.
Nun haben selbstredend auch wir Menschen kein explizites Recht auf ein schmerzfreies, sondern nur auf ein menschenwürdiges Leben. Was in diesem Zusammenhang bedeutet, dass wenigstens eine willentliche und vermeidbare Schmerzzufügung nach Möglichkeit zu unterbleiben habe. Ob wir jetzt den Tieren innerhalb unseres Einflusskreises - der ja derweil ziemlich weit reicht - ein ähnliches Recht zugestehen wollen? Ob wir einige von ihnen sogar aus ihrer rechtlichen Gegenüberstellung mit Nachtkästchen und Playstation herausheben sollen und ihnen den Status einer irgendwie gearteten juristischen Person (die abstraktere Konstrukte wie Firmen längst innehaben) verleihen könnten? Die Basel-Städter werden in absehbarer Frist darüber abstimmen können. Wir drücken allen nicht-menschlichen Primaten im Kanton - und jenen von "Sentience Politics" - die Daumen.
Weiterführende Informationen/Quellen
Freiheit für Cecilia
Sentience Politics
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