Leben und Leben lassen: Ein Interview mit Raphael Neuburger

Raphael Neuhauser vor dem veganen Restaurant Elle'n'Belle. Raphael Neuhauser vor dem veganen Restaurant Elle'n'Belle.

Raphael Neuburger ist Präsident der Veganen Gesellschaft Schweiz. Seit 2011 setzen sich Neuburger und sein Team für Tiere und Umwelt ein. Angefangen haben sie mit sieben Mitgliedern, jetzt, rund 5 Jahre später, sind es schon fast Tausend. Wir haben ihn in einem veganen Restaurant in Zürich getroffen.

umweltnetz-schweiz: Wie lange leben Sie schon vegan und was waren Ihre persönlichen Gründe, vegan zu werden?

Raphael Neuhauser: Ich habe es letzthin nachgerechnet, es sind glaub ich schon 16 Jahre. Ich bin also eher eines der älteren Semester in diesem Trendhaufen, der sich da so entwickelt hat. Für mich gab es kein direkt einschneidendes Erlebnis, sondern es war ein langjähriger Prozess. Angefangen hat es mit der Tierversuchsthematik. Damals hatte ich die Verbindung zum Nahrungsmittelkonsum und zur allgemeinen Tiernutzung noch nicht gemacht. Ich habe mich dann aber im Rahmen meines Studiums -  Umweltnaturwissenschaften - vermehrt mit der Nutztierindustrie und den globalen Auswirkungen und diesen Grössenordnungen auseinander gesetzt. Mir wurde klar, dass die Herstellung von Nahrungsmitteln über den Umweg über das Tier ungeheuer verschwenderisch ist. Man braucht 10- bis 100-mal so viel Fläche, um dieselben Nährstoffe zu produzieren. Das Tier muss ja selbst auch leben und braucht diese Kalorien. Auch beim Wasser sieht man, wie hoch die Verschwendung ist. Solche Aspekte, gerade in einem globalen Kontext, waren schon sehr einschneidend für mich. Und, dass wir das trotz dem Wissen um diese Verschwendung tun. Es ist für mich doch immer noch etwas erstaunlich, wie man einerseits den Anspruch haben kann, sich umweltverträglich und nachhaltig zu verhalten, und beim Essen eine Ausnahme macht.

Die Frage, die ich mir dabei gestellt hatte, war, wie ich es noch rechtfertigen konnte, Tierprodukte zu konsumieren, nur um einen kurzen Gaumenkitzel zu haben und eine Gewohnheit aufrecht zu erhalten. Das war dann wie eine logische Konsequenz. Wenn ich etwas nicht rechtfertigen kann, dann mach ich es auch nicht mehr.

Über Honig, Essig, Daunendecke und Leder: Veganismus umfasst viele, nicht so offensichtliche Produkte. Auf vegan.ch steht, dass Veganismus nicht Perfektionismus ist. Wo liegt denn die Grenze für Sie?

Ich persönlich habe mein Lebensumfeld schon recht konsequent veganisiert. In 16 Jahren kann man bei allen Kaufentscheiden die vegane Variante wählen, und das hab ich konsequent durchgeführt. Trotzdem muss man sich aber auch bewusst sein, dass die Welt nicht vegan ist. Wenn eine neue Banknote in England gedruckt wird, die mit Tierprodukten versehen ist, dann schmeiss ich das Geld nicht auf die Strasse (lacht). Das Vegansein muss also auch irgendwie über die praktische Umsetzung definiert sein. Das ist bei jeder Person etwas anders. Wenn ich im Spital liege und Medikamente brauche, um mein Überleben oder mein Wohlbefinden zu sichern, dann würd ich das sicher nicht verwehren, sofern es keine Alternative gibt. Doch bis jetzt habe ich es eigentlich immer geschafft, dann halt etwas nicht zu essen oder zu kaufen. Aber wenn ich jetzt mit einem Glas Wein anstosse, bei dem nicht klar ist, ob es ein veganer Wein ist, dann werde ich trotzdem damit anstossen. Ich würde aber sicher nicht meinen Weinkeller damit füllen… wenn ich denn einen hätte (lacht).

In der Inhaltsliste von veganen Keksen habe ich schon oft Palmöl entdeckt, welches mit Regenwaldabholzung und somit der Zerstörung des Lebensraums der Orang-Utans in Verbindung steht. Wie setzten Sie hier Ihre Prioritäten?

Idealerweise muss man das ja nicht abwägen: Die Kekse können vegan und palmölfrei sein. Das gibt es auch immer mehr, weil das Bewusstsein gewachsen ist. Und wenn man vegan auch so versteht, dass es die Absicht hat, so wenig Schaden wie möglich an anderen leidensfähigen, empfindungsfähigen Lebewesen anzurichten, dann geht das wie Hand in Hand. Bei jedem Entscheid kann ich mir überlegen: „Kauf ich Fair Trade? Kauf ich Bio?“ Und genauso bei diesem Thema: Zwar hat man durch die vegane Lebensweise die Möglichkeit, seinen ökologischen Fussabdruck deutlich zu verringern, doch sollte man unbedingt auch andere Kriterien anwenden. Nur Vegansein um des Vegansein‘s Willen macht keinen Sinn.

Und wenn wir schon beim Essen sind: Wie feiern Sie Ostern, so ganz ohne „Eiertütschen“?

Ich bin ein Schleckmaul und habe dieses Jahr auch schon ein paar Schokoladenhasen auf meinem Konto. Gerade Schokolade ist natürlich auch ein heikles Thema und ich denke, da kann man auch auf verschiedene Labels schauen. Nicht nur, dass es vegan ist, sondern auch Bio und Fair Trade. Es gibt auch Brunchs zu Ostern, wo die wunderschönsten Ostergerichte ohne Eier präsentiert werden und wo man sehen kann, wie vielfältig und lecker die vegane Küche ist. Ich bin jetzt selber nicht der, der oft in der Backstube steht. Doch wenn ich sehe, was die Leute da hinbekommen, vom Rührtofu über Zöpfe bis zum Osterküchlein und so weiter, alles ohne tierische Produkte, da schmeckt dieses Osterbuffet genauso gut, wie das nicht vegane.

Vegan scheint ein Trend zu sein: Wieso boomt der tierproduktfreie Lebensstil in der heutigen Zeit denn so?

Wir haben keine gesicherten Daten für die Beweggründe, dafür bräuchte es wahrscheinlich eine nationale Studie oder Umfrage. Und da müsste man gezielt fragen, weshalb die Leute sich so ernähren. Was wir wahrnehmen, ist, dass gerade bei der jüngeren Generation die Offenheit dem Thema gegenüber viel grösser ist. McDonalds Filialen schliessen zurzeit ja an verschiedenen Orten auf der Welt, auch in der Schweiz. Die Standard Western Diet im XXL Format wird es weiterhin geben und ist in gewissen Bereichen sogar am Zunehmen. Aber genauso wächst das andere Spektrum, in dem man sich bewusst ernährt und man sich über die Auswirkungen des eigenen Konsums stärker Gedanken macht.

Wir begrüssen das natürlich sehr, dass die Aufmerksamkeit für das Thema so hoch ist, weil wir glauben, dass wir dadurch die positiven Aspekte transportieren können. Leute probieren aus verschiedensten Gründen, vegan zu leben: Weil es jemand im Umfeld macht oder weil es einfacher ist, vegane Produkte zu konsumieren. Wir als Verein sind dazu da, die Inhalte, die positiven Aspekte einzubringen. Wir zeigen auf, welche ökologischen Vorteile es hat, dass es natürlich auch für den Tierschutz die optimale Bedingung erfüllt und dass man auch gesundheitlich etwas für sich tun kann, wenn man es richtig macht.

Denken Sie, dass sich dieser Lifestyle auch nachhaltig in unserer Gesellschaft etablieren kann?

Ich denke, wir haben jetzt die Chance, das Vegane so zu positionieren, dass es positiv wahrgenommen wird. Man kann auch mal das vegane Menü wählen und man kennt Leute, die vegan und gesund leben. Und wir tun natürlich mit der Veganen Gesellschaft Schweiz unser Bestes, um dem Nachdruck zu geben und zu schauen, dass es effektiv auf allen Ebenen - der individuellen, der gastronomischen, auch der politischen - mehr Beachtung geschenkt bekommt. Denn wir erleben es ja, wir erfahren am eigenen Leib, dass es möglich ist. Und wir wissen, dass es möglich wäre, dass sich alle vegan ernähren.

Vor fünf Jahren haben Sie die Vegane Gesellschaft Schweiz gegründet: Was möchten Sie mit dem Verein erreichen?

Wir haben die Vegane Gesellschaft Schweiz gegründet, um dem veganen ein positives Gesicht zu geben oder um dies zu verstärken. Der Trend ist jetzt nicht nur wegen uns entstanden (lacht), aber wir haben genau den richtigen Zeitpunkt getroffen, um das zu begleiten, um für die Pressearbeit da zu sein, um den Leuten eine Austauschplattform über das vegane Thema und fundierte Informationen zu liefern. Damit vermitteln wir das Vegane auf einer rationalen, wissenschaftlichen und seriösen, aber trotzdem lebensfreudigen Weise. Wir unterstützen alle, die mit dem veganen Thema in Kontakt sind: Seien es Hersteller von Produkten, Leute in der Gastronomie, Presseleute oder Leute, die vegan ausprobieren möchten.

Organisiert ihr auch Aktionen?

Wir sind weniger beteiligt an aufmerksamkeitserregenden Strassenaktionen, sondern wir arbeiten mehr im Hintergrund mit seriöser Grundlagenarbeit: Wir wollen die Leute über verschiedene Kanäle informieren, und denen, die auf der Strasse sind, die Unterlagen geben, damit sie das Vegane präsentieren können. Am Tag der Milch, wo die Milch-Lobby grosse Propaganda betreibt, steuern wir mit unseren Unterlagen gegen, um Aufmerksamkeit darauf zu richten, dass Steuergelder eigentlich in die Propaganda von Milchprodukten fliessen. Dasselbe zum Beispiel auch an Ostern: Da zeigen wir, was für Alternativen es gibt und was dahinter steckt, wenn Eier konsumiert werden.  2 Millionen männliche Küken werden pro Jahr in der Schweiz am ersten Tag nach dem Schlüpfen vergast, weil sie männlich sind und keine Eier legen können.

Zudem führen wir das grosse vegane Strassenfest „Vegana“ dieses Jahr zum dritten Mal durch, wo wir das vegane Leben auf einer kulinarischen Ebene vermitteln wollen.

Und zum Schluss: Was empfehlen Sie Leuten, die eine vegane Ernährung ausprobieren möchten?

In England führen sie im Januar den Veganuary durch, und scheinbar haben sich im Februar noch 3000 Leute mehr angemeldet. Die Leute fanden, „Hey ich hab’s jetzt verpasst, aber ich möchte trotzdem mitmachen“. Fast 60‘000 Menschen haben da mitgemacht, und genau das versuchen wir auch - diese Hemmschwelle abzubauen und zu sagen: „Probiert es einmal aus“. Vielleicht ist es für viele eine zu hohe Schwelle von heute auf morgen vegan zu leben. Aber um sich dem Thema anzunähern würd ich das einmal spielerisch für einen Monat ausprobieren, um zu sehen, wie vielfältig das Angebot ist, wie viel Spass man bekommt und wie viele Gedanken man sich über die Herkunft unsere Nahrungsmittel machen kann. Es sollte Freude bereiten, obwohl die Themen dahinter sehr ernst sind. Mit denen kann man sich auch befassen, aber es sollte Hand in Hand gehen. Und deshalb: Ausprobieren! Und sich natürlich bei vegan.ch informieren. Dort kann man auch herausfinden, wo man andere Leute treffen oder an einem Stammtisch oder Brunch teilnehmen kann.

Herzlichen Dank für das tolle Interview!

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