Der aufmerksame Beobachter vermutet seit einiger Zeit eine dramatische Veränderung: Nach langen Fahrten auf der Autobahn beispielsweise sind Windschutzscheiben nicht mehr verklebt von Insektenresten wie früher. Eine sehr subjektive Einschätzung zwar – doch heute kann sie durch fundierte Zahlen belegt werden: Forscher dokumentierten einen drastischen Rückgang der Insektenmasse um 76% über weite Teile Deutschlands, gemessen innerhalb der letzten 27 Jahre!
Wie konnte das Insektensterben beobachtet werden?
Lange befürchtete Verluste von Fluginsekten wurden letzte Woche durch eine, im Fachmagazin PLOS ONE veröffentlichte, Studie bestätigt. Ein internationales Forscherteam untersuchte systematisch dokumentierte Daten einer Gruppe von ehrenamtlichen Hobby- und Profi-Entomologen aus Deutschland. Über einen Zeitraum von 27 Jahren sammelten sie an 63 verschiedenen Standorten Daten über die totale Biomasse von Fluginsekten. Zu unterschiedlichsten Jahreszeiten und Wetterbedingungen wurden diverse offene Landflächen wie Heideflächen, Sandmagerrasen und Ödland in Naturschutzgebieten mit Fallen bestückt, um danach ein ganzheitliches Bild über Jahre hinweg zu erhalten. Die Zahlen sind dramatisch. Nur die Sommermonate der jeweiligen Jahre betrachtet, betrug der Rückgang an Insekten sogar 81%. Erstmals zeigt die Studie erhebliche Verluste an Biomasse über unterschiedliche Insektengruppen hinweg. Die Ergebnisse können als repräsentativ für Offenlandbiotope des deutschen Tieflands betrachtet werden und zeigen, dass es sich um ein flächendeckendes Problem handelt.
Welches sind die Ursachen?
Die Ursachen eines solch dramatischen Verlustes waren nicht primäres Ziel der Studie und müssen nun in der Forschung diskutiert werden. Der Klimawandel konnte von den Wissenschaftlern vorerst weitgehend ausgeschlossen werden, da keine Veränderungen in den klimatischen Aufzeichnungen zu bemerken waren. Als wahrscheinlicher sehen die Forscher die Intensivierung der Landwirtschaft als Hauptverursacher des Rückganges der Insektenmasse. Damit einhergehen gesteigerte Einsätze von Pestiziden, ganzjährige Bewirtschaftung, Verlust von artenreichen Ackerrändern und starker Nährstoffeintrag durch Düngemittel. Nahezu alle untersuchten Schutzgebiete waren in einem typischen mitteleuropäischen Landnutzungsgefüge hauptsächlich von landwirtschaftlich genutzten Flächen umgeben und somit möglicherweise von Verinselung betroffen.
Was bedeutet das für die Zukunft?
Insekten sind die grösste Gruppe im Tierreich, sowohl in ihrer Vielfalt als auch Masse und somit ein essenzieller Bestandteil des Ökosystems. Vögel, Fledermäuse, Amphibien und viele andere nutzen sie direkt als Nahrung und sind auf sie angewiesen. Aber auch wir Menschen sind direkt vom Vorhandensein der Insekten abhängig. Als Bestäuber von Feldern, Obstbäumen und Plantagen verrichten sie ungefragt eine enorme Menge an Arbeit für die Landwirtschaft. Jetzt besteht dringender Handlungsbedarf, denn als Gegenleistung sollten wir uns um den Schutz dieser Arten bemühen, um ein tragisches Aussterben zu verhindern. Einerseits muss selbstverständlich die Landwirtschaft in die Verantwortung gezogen werden. Andererseits können auch Privatpersonen für die Insekten etwas tun. Vielfach kommen grosse Mengen an Pestiziden in Privatgärten zum Einsatz. Um die Insekten zu unterstützen, gilt es, auf Pflanzen- und Insektenschutzmittel zu verzichten und den Insekten ausreichend Lebensraum und Nahrungsangebot zur Verfügung stellen.
Weiterführende Informationen:
Fachartikel im PLOS ONE Journal
Spektrum-Artikel zum Thema
Der Naturschutzbund Deutschland bezieht Stellung
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