Es steht inzwischen schwarz auf weiss: Die Zahl der Insekten geht zurück. Eine vielbeachtete Langzeitstudie, die im Ruhrgebiet in Deutschland durchgeführt wurde, kam zu einem erschreckenden Ergebnis: Innerhalb von 27 Jahren nahm der Bestand an Fluginsekten um 76% ab. Gemäss der Roten Liste der gefährdeten Arten in der Schweiz sind über 40% der Insekten gefährdet; mehr als 1000 Arten sind in den letzten 30 Jahren verschwunden.
Wir kommen den Insekten in die Quere
Die Gründe für den massiven Rückgang der Insekten sind nicht abschliessend geklärt. Zweifellos ist jedoch der Verlust von Lebensraum für das Insektensterben verantwortlich - immer mehr natürliche Biotope gehen mit der Überbauung und der damit einhergehenden Versiegelung des Bodens verloren. Der Einsatz von Insektiziden (Neonicotinoiden) in der Landwirtschaft ist ebenfalls ein grosses Problem. Da die Biodiversität durch intensive Bodennutzung und Monokulturen abnimmt, ist auch die Insektenvielfalt unmittelbar betroffen. Verstärkt wird dies durch die Verinselung ihrer Lebensräum: Die Insekten werden zunehmend isoliert und können sich nicht ausbreiten. Mit der Abnahme der Artenvielfalt werden sie sich schlechter an veränderte Umweltbedingungen anpassen können. Des Weiteren leiden nachtaktive Insekten unter der Lichtverschmutzung, die insbesondere ihre Fortpflanzung einschränkt. Der Klimawandel spielt für das Insektensterben vermutlich eine untergeordnete Rolle.
Die unterschätzte Bedeutung der Sechsbeiner
Insekten verdienen mehr Respekt, als ihnen in der westlichen Welt oft entgegengebracht wird. Ohne sie würden ganze Ökosysteme zusammenbrechen, denn sie sind zentraler Teil der Nahrungskette. Die Tiere sind Hauptnahrungsmittel vieler Vögel, Amphibien und Reptilien. Auch Säugetiere wie Mäuse, Fledermäuse, Maulwürfe sowie einige Primaten ernähren sich von Insekten.
Für den Menschen unabdingbar ist eine wichtige Funktion von Insekten: Die Bestäubung der Fruchtpflanzen. Sie unterstützen die unbeweglichen Pflanzen bei der Vermehrung, indem sie Pollen transportieren und so männliche und weibliche Exemplare zur Befruchtung vereinen. Dieser Dienst hilft nicht nur den Pflanzen, sondern damit auch uns. Zahlreiche Obstbäume, Gemüsepflanzen und Zwiebelgewächse werden von Insekten bestäubt – eine Ernährungsgrundlage. Ohne Insekten würde auch die Vieh- und Milchwirtschaft leiden, denn Zuchttiere ernähren sich u.a. von Klee, der ebenfalls bestäubt wird. Deshalb sind über ein Drittel aller Nahrungsmittel bei uns auf Bestäubung zurückzuführen.
Von Insekten abhängig ist auch die Baumwolle, die wichtiger Teil unserer Textilproduktion ist. Wolle und Leder könnten ohne ihre Hilfe ebenfalls nicht produziert werden.
Nicht zuletzt zersetzen Insekten organisches Material, lockern den Boden auf und liefern uns direkt Produkte wie Honig, Wachs, Schellack und Seide.
Zeit, zu handeln
Der Wert der Insekten wird glücklicherweise zunehmend erkannt und von vielen Seiten her werden Förder- und Schutzmassnahmen ergriffen. Die Petition „Insektensterben aufklären“ erhielt dieses Jahr über 125‘000 Unterschriften. Sie wurde lanciert von den Naturfreunden Schweiz, Dark Sky Switzerland, dem Schweizer Bauernverband sowie apisuisse, dem Dachverband der Schweizerischen Bienenzüchtervereine. Ziel des Komitees ist es, die Bevölkerung für die Bedeutung von Insekten zu sensibilisieren und Massnahmen zum Insektenschutz politisch durchzusetzen.
Zudem fand am 15. November der erste Tag der Insekten der Schweiz statt. BirdLife Schweiz, BirdLife Aargau und Insect Respect, eine Organisation des Biozid-Herstellers Reckhaus AG, organisierten den Anlass. Über 220 Unternehmer, Forscher, Landwirte, Studierende und Vertreter aus Umweltorganisationen, der Politik und Medien versammelten sich, um sich über das Insektensterben auszutauschen. Es wurden Lösungen gesucht und über mögliche Projekte zum Schutz der Insekten diskutiert. Mitveranstalter Dr. Hans-Dietrich Reckhaus setzte sich zum Ziel, mit der Tagung die „Insekten-Lobby“ in der Schweiz zu etablieren. Für einen wirksamen Insektenschutz ist die Zusammenarbeit aller Parteien gefordert.
Aber auch jeder Einzelne kann die Insekten unterstützen; indem er beispielsweise nachts unnötig brennende Aussenlichter löscht, auf eine hohe Biodiversität im Garten oder auf dem Balkon achtet – und unsere kleinen Helfer schätzt und respektiert.
Quellen und weitere Informationen:
NZZ-Folio: Ohne Insekten würde die Welt ins Chaos stürzen
Spektrum.de: Wir dürfen die Insektenkrise nicht ignorieren (Kolumne)
Insect Respect: Rückblick zum Tag der Insekten
Insect Respect: Zahlen zum Rückgang der Insekten
Insektensterben.ch: Petition „Insektensterben aufklären“
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