Am Samstag titelte es der Blick, durch die Presse ging es schon einige Tage zuvor: Der World Wildlife Fund for Nature WWF hat ein Problem. Entzündet haben sich die Vorwürfe an Berichten des Nachrichtenportals buzzfeednews.com. Publikumswirksam beschlagzeilt mit "WWF's Secret War" werden der internationalen Umwelt- und Tierschutzorganisation darin schwere Vergehen gegen die Menschenrechte vorgeworfen; von Waffenhandel, Folter, Mord ist die Rede. Wir wagen eine kurze Einschätzung.
Der Fall Shikharam Chaudhary
Der erste Artikel auf Buzzfeed verhandelte im Wesentlichen einen Fall in Nepal aus dem Jahr 2006. Im Nationalpark Chitwan wurde Shikharam Chaudhary, verdächtigt des Verbergens eines gewilderten Horns des dort lebenden Panzernashorns, von den ansässigen Wildhütern gefangengesetzt. In Gefangenschaft wurde der Mann - dem im Übrigen die Tat nicht nachgewiesen werden konnte - so schlimm geprügelt und mit Waterboarding gefoltert, dass er an den Folgen verstarb. Der Chitwan-Nationalpark, ältester Nationalpark Nepals, untersteht grundsätzlich staatlicher Kontrolle. Der WWF kommt ins Spiel, da er den Park mit Finanzmitteln und Know-How unterstützt. Daran allein liesse sich noch keine Mittäterschaft festmachen. Schwerer wiegt, dass er sich aktiv bemüht haben soll, die dem Verbrechen folgende Gerichtsverhandlung in Richtung einer Abweisung der Klage beeinflusst zu haben - was dann im März 2007 auch genau so geschah. Der WWF setzte seine enge Zusammenarbeit mit dem Nationalpark fort und zeigte sich offen erleichtert über das Verhandlungsergebnis.
Wildhüter an der Waffe
Dieser Vorfall steht nicht allein da. Übergriffe von Rangern und Reservatspersonal auf die Zivilbevölkerung wurden schon verschiedentlich vermeldet. Viele der Nationalparks und Wildtierreservate, die der WWF unterstützt, liegen in Krisengebieten. Insbesondere in Zentral- und Ostafrika nimmt der Kampf gegen die Wilderei immer wieder die Züge eines Kleinkrieges an. Die Rolle der bewaffneten Wildhüter in den Konflikten ist unübersichtlich, und ob sie sich in jedem Einzelfall ausschliesslich tierschützerischen und humanistischen Idealen verschrieben haben, darf bezweifelt werden. So kommen die Vorwürfe an die Umweltschutzorganisation nicht aus blauem Himmel. Es gilt sich zugleich zu erinnern, wie sich die Lage vor Ort (in Kamerun, den zwei Kongos, Ruanda, der Zentralafrikanischen Republik…) immer wieder präsentiert: Wechselnde Regierungen ohne demokratische Institutionen, hochgepeitschte Agressionen gegen ausgewählte Volksgruppen, eine Vielzahl von Kriegsparteien, die sich nicht zuletzt über Erträge aus der Wilderei finanzieren, unzimperliche Handelskonzerne mit ihrer jeweils eigenen Agenda, Hunger, sich verschiebende Allianzen. Und mittendrin eine finanzkräftige internationale Artenschutz-Organisation, die ihre Partner mit Hightech und deren Angestellte - die Ranger - mit dem Geld für Waffen versorgt. Probleme sind da programmiert. Als Vorab-Entschuldigung dient das indessen nicht.
Der Fall Baka
Es ist ein erklärtes Ziel des World Wildlife Fund for Nature, Artenschutz nicht gegen, sondern mit der indigenen Bevölkerung und den Anstössern der von ihnen unterstützten Reservate zu betreiben. Diesem Anspruch ist er Rechenschaft pflichtig. Ebenfalls ist einzufordern, dass der WWF genügend Vorkehrung trifft, seine finanziellen oder substanziellen Unterstützungsmittel keiner Zweckentfremdung anheimzugeben. WWF Schweiz hat jetzt eine unabhängige Überprüfung auf den Weg gebracht, die seine Rolle im Zusammenhang mit fortgesetzten, schweren Übergriffen auf das indigene Volk der Baka-Pygmäen in Kamerun durch paramilitärische Kräfte und Wildhüter klarlegen soll. Diesbezügliche Vorwürfe waren Gegenstand eines zweiten Buzzfeed-Artikels der letzten Tage.
Zum Hintergrund ist hier anzumerken, dass die Pygmäenvölker Zentralafrikas schon lange unter schwerer Verfolgung, rassistischen Vorurteilen und befremdlichen Auswüchsen magischen Aberglaubens zu leiden haben. Sie wurden im Weiteren aus ihrer angestammten Heimat, dem dichten Wald, "ausgesiedelt" und ihrer überlieferten Lebensweise, dem Jagen und Sammeln, entfremdet. Dies geschah in einem undurchsichtigen Zusammenspiel verschiedener Kriegsparteien und der allgegenwärtigen Holzkonzerne. Inwiefern hier möglicherweise auch der WWF begünstigend mitgewirkt oder Angreifer ausgerüstet hat, gilt es nun festzustellen. Etwas überrissen scheint es, ihn als eigene Kriegspartei zu betrachten - wie es die Buzzfeed-Schlagzeile mit ihrer Andeutung von "WWF's geheimen Kriegen" suggeriert. Doch auch schon eine Verletzung der Sorgfaltsplicht im Einsatz ihrer einflussreichen Finanzmittel - Vertuschung, Korruption, Ignoranz - wöge in der aufgeheizten Situation sehr schwer.
Artenschutz und Menschenwohl
Im Hintergrund all dessen zündelt eine alte Debatte, die nicht nur den WWF angeht. Der hauptsächliche Ankläger des WWF im Fall der Baka ist bezeichnenderweise Survival International; eine engagierte Non-Profit-Organisation, die sich dem Schutz der indigenen Völker verschrieben hat. Die hier sich manifestierenden Interessenkonflikte drängen sich um die Frage: Tierwohl oder Menschenrechte? Wollen wir, im Interesse der gesamten Menschheit, konsequent dem Artenschutz Vorschub leisten? Oder wiegt dann die Verteidigung der individuellen und gemeinschaftlichen Menschenrechte, hart erkämpft und stets gefährdet, im Härtefall doch schwerer? Ein solcher Härtefall kommt zwar selten in blanker Offensichtlichkeit daher: Ein Beispiel dafür, aus dem Hut gezaubert, wäre da etwa eine Aktion von militanten Walschützern, die eine mögliche Verletzung der Waljäger ausdrücklich antizipiert. Aber der ethische Konflikt entwickelt längst genügend Macht, dass hier zwei Organisationen aneinandergeraten, die sich in Selbstverständnis und humanitärer Zielsetzung so fern gar nicht stehen - begründet einzig in einer leichten Abweichung des jeweiligen primären Augenmerks auf gefährdeten Völkern oder gefährdeter Fauna. (Auch der dritte BuzzFeed-Report dreht sich um einen diesbezüglichen Konflikt, diesmal in der Republik Kongo.)
Diese Zusammenstösse werden sich fortsetzen. Bezüglich dieses Dilemmas zu einem allseits befriedigenden Konsens zu finden, ist schwierig, steht aber mit einiger Dringlichkeit an. Gerade auch diesen ethischen Interessenkonflikt (und die jeweiligen, ehrbaren, dieweil oft selbstgerechten Agenden) gilt es im Blick zu behalten, während wir jetzt die Reaktionen und Aufklärungsbemühungen des WWF, der Medien und der Ankläger verfolgen. Zur Orientierung kann ein kurzer Blick auf die Art der Berichterstattung der verschiedenen Akteure lohnen:
Quellen und weitere Informationen:
BuzzFeedNews: WWF Funds Guards Who Have Tortured And Killed People
BuzzFeedNews: WWF Was Warned Years Ago Of “Frightening” Abuses
WWF: WWF ist bestürzt
SRF Interview: Ist der WWF schuld an der Misere der Baka-Pygmäen?
Survival International: Reaktion auf die BuzzFeed-Reportagen
Frankfurter Allgemeine: Zum OECD-Mediationsverfahren zwischen SI und WWF
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