Tierversuche – Gibt es Alternativen?

 Das Versuchstier des Jahres 2020 ist der Hund. Das Versuchstier des Jahres 2020 ist der Hund.

In diesem Jahr wurde der Hund zum Versuchstier des Jahres gewählt. Wir nehmen diese zwiespältige Auszeichnung zum Anlass, ein Auge auf die gegenwärtigen und zukünftigen Entwicklungen in der Tierversuchsthematik zu werfen: Mitsamt, natürlich, der Rolle des besten Freundes des Menschen darin.

Die meisten Tierversuche werden in der Schweiz durch Hochschulen (Forschung, v.a. in den biomedizinischen Wissenschaften) und in der Industrie (Forschung, behördlich vorgeschriebene Tierversuche, wie bspw. Wirksamkeitsprüfungen, toxikologische und pharmakologische Unbedenklichkeitsprüfungen) durchgeführt. Die Tierversuche helfen bei der Erforschung von Krankheiten und bei der Verbesserung von deren Behandlung. Vor allem bei Krankheiten wie Diabetes, Krebs, Demenz und Herz-Kreislauferkrankungen erhoffen sich die Forscher, sie durch Tierversuche besser verstehen und Entwicklung von Produkten und Therapieverfahren voranzutreiben zu können. Tierversuche dienen auch der Erforschung von physiologischen Prozessen in der Grundlagenforschung. 

Rechtliche Lage in der Schweiz 

Die Schweiz hat eine der umfassendsten Tierschutzgesetzgebungen weltweit. Tierversuche dürfen in der Schweiz nur durchgeführt werden, wenn keine Alternativen zur Verfügung stehen. Für die Haltung der Versuchstiere gelten ebenso strenge Regeln wie für die Aus- und Weiterbildung der Forschenden, die mit Tieren arbeiten. Die Tierversuchsverbotsinitiative «Ja zum Tier- und Menschenversuchsverbot – Ja zu Forschungswegen mit Impulsen für Sicherheit und Fortschritt» wurde vom Bundesrat im Dezember 2019 abgelehnt. Die Initiative forderte, dass Tierversuche in der Schweiz generell verboten werden. Der Bundesrat entschied, dass die aktuellen Gesetze zum Tierschutz ausreichen, und begründete dies damit, dass die Bewilligungsverfahren sehr streng seien. 

Bewilligungsverfahren in der Schweiz 

Das Schweizer Tierschutzgesetz verbietet ganz allgemein das ungerechtfertigte Quälen von Tieren. Tierversuche brauchen demnach eine Ausnahmebewilligung. Die Wissenschaftler müssen in einem ausführlichen Gesuch ihr Vorhaben darlegen. Dabei müssen die Arbeitsmethoden erläutert, die resultierenden Belastungen für die Tiere eingeschätzt und der Erkenntnisgewinn oder der Nutzen aus diesen Belastungen begründet werden. Dieses Gesuch wird von der kantonalen Tierversuchskommission begutachtet und bei einer Bewilligung an das kantonale Veterinäramt weitergeleitet. Dort werden gegebenenfalls noch einmal Auflagen und Einschränkungen ausgesprochen. 
Je höher der Schweregrad der Belastung bei den Tieren, einen desto grösseren Erkenntnisgewinn sollte der Versuch haben. Diese Güterabwägung mit der Zielsetzung, im Interessenkonflikt zwischen Menschen und Tier einen Konsens zu finden, ist Aufgabe der Kantonalen Tierversuchskommission. Die genannte Schweregrad-Einteilung erfolgt in der Schweiz auf einer Skala von 0-4. Diese Einteilung (und ganz allgemein die Definition davon, was als Tierversuch zu gelten hat) ist von Land zu Land verschieden: Die Schweizer Lösung wird im Vergleich als eine strenge gewertet. 


 
Schweregrad 0: Eingriffe und Handlungen an Versuchstieren, durch die den Tieren keine Schmerzen, Leiden, Schäden oder schwere Angst zugefügt werden und die ihr Allgemeinbefinden nicht erheblich beeinträchtigen. 
Schweregrad 1: Handlungen, die eine leichte, kurzfristige Belastung, also Schmerzen oder Schäden, beim Versuchstier bewirken. 
Schweregrad 2: Eingriffe, die entweder über kurze Zeit eine mittlere Belastung oder für längere Zeit eine leichte Belastung mit sich bringen. 
Schweregrad 3:  Handlungen, die eine sehr schwere Belastung oder eine mittelgradige Belastung über längere Zeit bewirken. 

 
 
2018 kamen in der Schweiz insgesamt 71,1 % der Tiere in nicht oder wenig belastenden Versuchen zum Einsatz (Schwergrad 0 und 1). Rund 26,2 % der Tiere waren einer mittelschweren Belastung (Schweregrad 2) und 2,7 % einer schweren Belastung (Schweregrad 3) ausgesetzt. 
2019 fanden in der Schweiz 488,400 Tierversuche statt, davon 68% mit Schweregrad 0 und 1. 
2020 waren es bisher 161.258 insgesamt, 84% in Schweregrad 0 und 1. Viele der Tierversuche in den höheren Schweregraden fallen in die Bereiche der Krebsforschung und der Neurologie. Vor allem Chargenprüfungen, die zur Sicherheitsüberprüfung und Qualitätskontrolle von Wirkstoffen in Arzneimitteln und Chemikalien vorgeschrieben sind, benötigen schnell einmal tausende Versuchstiere (meist in Schweregrad 1-2, es werden jedoch Tierversuch in allen Schweregraden durchgeführt). 

Erfolge in der Forschung mit Tieren 

Fast alle medizinischen Erfolge der vergangenen 100 Jahre wurden unter Beteiligung von Tierversuchen errungen. So etwa die Entwicklung des Herzschrittmachers. Mit Versuchen am Hund konnte 1930 ein erster externer Herzschrittmacher entwickelt werden. Seit 1958 führten Versuche an Schweinen und Meerschweinen schrittweise zu der Form des Herzschrittmachers, die wir heute kennen. Für die Zukunft träumen die Forscher davon, das Herz aus Stammzellen zu reparieren. Hierzu werden Tierversuche an Schweinen und Zebrafischen durchgeführt. Auch die Tollwut-Impfung nach Pasteur wäre ohne Tierversuche nicht entdeckt worden. Pasteur entdeckte an Hunden und Kaninchen, dass das Tollwutvirus das Nervensystem befällt. Er verabreichte Hunden über eine längere Zeit in immer stärkerer Dosierung eine geschwächte Form des Erregers. Die Tiere wurden resistent. Ab 1885 wurde das Verfahren auf den Menschen übertragen. 

Welche Alternativen gibt es? 

Die Wissenschaft versucht mit dem 3R-Prinzip das Leiden von Tieren bei Tierversuchen zu reduzieren. Die drei R stehen für: Replace (der Tierversuch soll möglichst durch eine andere Methode ersetzt werden), Reduce (soviele Tierversuche bzw. Tiere wie nötig, aber so wenige wie möglich) und Refine (die Belastung der Tiere soll minimiert werden). 
In einigen Bereichen können Tierversuche bereits durch alternative Methoden ersetzt werden. So werden viele Experimente gegenwärtig an Zellkulturen durchgeführt. Diese Versuche werden nicht an lebenden Organismen (in der Biologie In-Vivo-Methode genannt), sondern an Zellkulturen im Reagenzglas (In-Vitro-Methode) ausgeführt. Auch Computersimulationen können bereits die Wirkweisen von Stoffen im Körper vorhersagen. Ein Etappenziel ist damit erreicht: Die Simulation des menschlichen Körpers ist so gut, dass die Wirkung verschiedener Chemikalien bestmöglich vorhersagt werden kann. Viele „regulatorische Tierversuche", die zur Prüfung von Medikamenten und Chemikalien gesetzlich vorgeschrieben sind, wurden bereits durch tierversuchsfreie Testverfahren ersetzt. Das Ziel ist es nun, auch Medikamente in solchen Modellen zu testen. Dennoch meinen einige Forscher, gerade in der Medikamentenforschung sei die Komplexität eines intakten lebenden Organismus nicht künstlich reproduzierbar. 
Das Fachmagazin ALTEX ist ein freizugängliches Magazin, in dem über die Entwicklung von Ersatzmethoden zu Tierversuchen informiert wird. Laut der Chefredakteurin müssen diese Ersatzversuche mindestens ebenso präzise Vorhersagen mit Gewebekulturen oder Computerprogrammen garantieren wie mittels Tierversuchen. Diese Qualitätskontrolle ist sehr langwierig, ausserdem gibt es wenige Forschungsgelder. Aber die Erkenntnis, dass Tierversuche die Gefahren eben nicht richtig vorhersagen, hat einen zusätzlichen Anreiz geschaffen, bessere und aussagekräftigere Testsysteme zu entwickeln.

Ethische Einwände 

Das alles illustriert einen klaren Trend weg vom Tierversuch, sowohl in der Wissenschaft wie in der Gesellschaft. Der Kampf ist damit aber noch nicht gewonnen. Tierversuchsgegner fordern zu Recht mehr staatliche Mittel für Erforschung von Alternativmethoden, um Tierversuche in Zukunft weiter zu reduzieren und möglichst ganz zu verhindern. Die Argumente berufen sich - neben dem starken Leiden der Tiere – auch darauf, dass Versuche an Tieren nicht immer auf Menschen übertragbar sind. Die Aussagekraft von Tierversuchen ist begrenzt, da wichtige Einflussfaktoren in der menschlichen Ätiologie von Krankheiten nicht berücksichtigt werden können und die Ergebnisse auch stets abhängig sind vom jeweils eingesetzten Tier, seinem Alter, Geschlecht usw. 

Versuchstier des Jahres 2020 

Der Hund wurde zum Versuchstier des Jahres 2020 gewählt. Im bisherigen Jahr 2020 kamen in der Schweiz bereits 217 Hunde bei Tierversuchen zum Einsatz. Alle Versuche liegen mit Schweregrad 0 in den Fachdisziplinen der Grundlagenforschung des tierischen Verhaltens, der Veterinärmedizin und der Zoologie sowie in der dermatologische Krankheitsdiagnostik. 
Insbesondere in der Diabetes- und Osteoporoseforschung, der Transplantationschirurgie, in der Forschung zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen und in der veterinärmedizinischen Forschung werden viele Hundeversuche durchgeführt.


Erfolge des Versuchstiers Hund: 
1880 entwickelte Louis Pasteur den Tollwutimpfstoff mithilfe eines Hundes 
Studien an Hunden führten zu erstem Herzschrittmacher 
Entwicklung des Defibrillators: Erstmals wurde beim Hund Kammerflimmer beobachtet. Diese konnten durch Stromstösse unterbunden werden.  
1957 ist Hündin Laika das erste Lebewesen im Erdorbit. Leider überlebt die Hündin nicht. 
Pavloscher Hund: Ivan Pavlov findet in seinen Forschungen heraus, dass Nervensystem und Verdauungstrakt eng zusammenhängen. 
Hunde mit Verletzungen am Rückenmark werden mittlerweile erfolgreich mit Zelltransplantationen behandelt 
Die Wirkung von Insulin auf den Blutzuckerspiegel wurde an Hunden erforscht. 
Bei der Entwicklung der Elektro-Kardiographie (EKG) brachte die Forschung am Hund die entscheidenden Hinweise. 

 

 

 

Quellen und weitere Informationen:
Tierrechte: Versuchstier des Jahres 2020
Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen: Tierversuche
Eine Initiative der Wissenschaft: Tierversuche verstehen
Altex: Alternatives to animal testing

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