Es kommt ja nicht von ungefähr, dass sich die Natur- und Tierschutzorganisationen sofort und geschlossen gegen den Revisionsentwurf des Jagdgesetzes positionierten. Und nein, das war vorgängig nicht abgesprochen. Auch sind sich die verschiedenen Gruppierungen von der Vogelwarte Sempach über WWF bis zum kantonalen Naturschutzverein längst nicht in allen Detailbelangen derart einig wie hier. (Ebensowenig übrigens, wie sich Naturschützer einzig aus weltfremden Schwärmern und naturfernen Städtern rekrutieren… Aber das nur am Rande.) Was also war es, was all diese aktiven Naturschützer daran – trotz der Zusage höherer Ausgaben für den Artenschutz – alarmierte?
Das war jetzt eine rhetorische Frage: Natürlich waren es die Abtretung der Bestandsregulierung geschützter Wildtiere an die Kantone und die neu hinzugetretene Möglichkeit, regulierbare Wildtiere schon bei Verdacht „wahrscheinlicher“ Schäden abzuschiessen. Dass es sich bei diesem Wildtier mehrheitlich um den Wolf dreht, ist klar. Die Diskussion um das Grossraubtier gab ja, mit der Motion Engler, unter anderem den Anstoss zur Revision. Ob eine solche überhaupt nötig gewesen wäre, kann schon bezweifelt werden: Das alte Jagdgesetz bot Handhabung, problematische Wölfe zu schiessen und sogar ganze Rudel zu regulieren; sie also über mehrfache Abschüsse auszudünnen. Doch irgendwie verbreiterte sich dann dieser Fokus im Beratungsprozess über den Wolf hinaus auf die bedrohte und geschützte Tierwelt, so dass man nun sagen muss: Es geht nicht nur um den Wolf. Voraussagbar werden auch andere Wiederzuzüger mit den menschlichen Interessen gelegentlich in Konflikt geraten. Ihr langfristiger, von einer breiten Bevölkerung gewünschter Schutz darf aber keinen temporären, kleinräumigen Launen geopfert werden.
Pragmatismus…
Bundesrätin Simonetta Sommaruga verteidigte erst letzthin die Revision des Jagdgesetzes gegenüber verschiedenen Netz- und Tageszeitungen. Sie folgte dabei der üblichen Argumentationslinie: „Pragmatisch“ nannte sie den Gesetzesentwurf also, und einen „Kompromiss“. Nun sind sowohl Kompromissfähigkeit wie Pragmatismus Tugenden, die einer Demokratie wohl anstehen. Bleiben wir also, mit Blick auf den Wolf, pragmatisch:
Von den jährlich 4700 Todesfällen von Schafen auf den alpinen Sömmerungsweiden verschuldet der Wolf zwischen 300 und 500. Die restlichen 4200 – 4400 Schafe fallen Krankheiten, Blitz- und Steinschlägen sowie anderen Unfällen zum Opfer. Für Wolfsrisse werden die Halter grosszügig entschädigt, die anfallenden Kosten aus Steuergeldern hierfür liegen bei 150‘000 – 200‘000 Franken jährlich. Die Anzahl der in der Schweiz lebenden Wölfe nimmt zu, die Schafsrisse hingegen bleiben überwiegend stabil. Der einzelne Wolf hält sich demnach zunehmend von Schafherden fern. Diese Entwicklung verdankt sich gewiss auch dem subventionierten Herdenschutz; die diesbezüglichen Programme und Massnahmen erweisen sich als erfolgreich. (Dennoch ist noch rund die Hälfte aller Schafherden auf den Alpweiden ungeschützt.)
Pragmatisch lässt sich, dies überschauend, ein dringender Handlungsbedarf verneinen. Entsprechend zielte selbst die Motion von Stefan Engler einstmals nur auf Tiere, die sich trotz Herdenschutzmassnahmen an die Herden trauten oder ihre Scheu vor dem Menschen verloren.
…und Kompromiss
Im Hinblick auf den verlautbarten Kompromiss stellt sich andererseits ernsthaft die Frage, zwischen welchen Interessengruppen ein solcher überhaupt hergestellt werden musste. Denn entgegen geläufiger Erzählung sind Jäger und Naturschützer keine natürlichen Feinde. Sie konnten unter den Kompromissen des alten Jagdgesetzes – trotz gelegentlicher Querelen – durchaus konstruktiv zusammenfinden. Der Revisionsentwurf des Bundesrats ging dann gleichwohl über die angestrebten Anpassungen weit hinaus und formulierte sich in zentralen Punkten auch noch alarmierend vage. Wo beispielsweise liesse sich in der dicht besiedelten Schweiz ein Wolfsrudel finden, das nicht „in der Nähe“ einer Siedlung oder Schafherde lebt? Der Entwurf forderte jedenfalls seinen „Kompromiss“ hauptsächlich von den Tier- und Umweltschützern: Sich nämlich angesichts des Zückerchens etwa einer zielvolleren Förderung und Vernetzung von Wildtierreservaten mit einer allgemeinen Aufweichung des Artenschutzes abzufinden.
Tatsächlich ist ja nicht alles an diesem neuen Jagdgesetz schlecht. Die gerade genannten Massnahmen, der Schutz der Wildenten oder auch die verstärkte finanzielle Förderung des Artenschutzes sind nötig und zielführend. Sie mit einer Ablehnung der Revision gleich wieder „vom Tisch“ zu fegen (Sommaruga), wäre wenig sinnvoll. Mit ihrer Biodiversität kann die Schweiz im transnationalen Vergleich keineswegs auftrumpfen. Zu lange liess man hier die Zügel schleifen. In diesem Sinne lässt sich deshalb festhalten, dass es halt auch in einer altbewährten Demokratie manchmal nicht zuvorderst um Kompromisse, sondern um erfolgversprechendes Handeln geht. Der Start in einen entschlosseneren Biodiversitätsschutz bedarf in der gegenwärtigen Situation finanzieller Förderung, innovativer Schutzraumkonzepte und des breit abgestützten Schutzes der ansässigen Wildtiere. In der Revision des Jagdgesetzes verliert sich letzterer im weit geöffneten Interpretationsspielraum.
Damit sind wir jetzt spätestens an dem Punkt angelangt, an dem es nicht mehr nur um den Wolf geht. Luchs, Biber, Steinadler, Graureiher, Kormoran… Alles Tiere, die einem vereinzelten menschlichen Anliegen schon mal quer kommen können und deren fortgesetzten Schutz wir deshalb keinen gehauchten Versprechen überlassen sollten. Die Umwertung einer verletzlichen Art zu einer regulierbaren, also bejagten, ist aber im neuen Jagdgesetz überaus flexibel angelegt. Und siehe da: Einer diesbezüglichen Attacke mussten wir nicht mal bis zur Abstimmung harren. Der Walliser Staatsrat gab Mitte dieses Jahres seine Unterstützung der Initiative „Für einen Kanton Wallis ohne grosse Raubtiere“ bekannt. Ob das bereits unter der Verheissung des revidierten Jagdgesetzes geschah… Wer weiss? Es bestätigt aber punktgenau die Erfahrungen und Befürchtungen der Naturschützerinnen und Naturschützer, wie weit denn der gute Wille zum Tier- und Artenschutz im kurzfristigen Einzelfall reicht.
Quellen und weitere Informationen:
Interview mit Simonetta Sommaruga
Schafe. Herdenschutz und Wolfsrisse
Bafu: Revision des Jagdgesetzes
Jagdgesetz-nein: Antworten auf Argumente der Befürworter
Bauernzeitung: Walliser Regierung unterstützt Grossraubtier-Initiative
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