Rinder liefern uns seit langer Zeit Fleisch, Milch und Leder. Im Jahr trinken Schweizerinnen durchschnittlich knapp 57 Liter Milch und essen 238,6 Kilogramm Milchprodukte (2017). Damit liegt der Konsum über dem Durchschnitt der europäischen Nachbarn. Der Verbraucher wünscht sich preisgünstige Milch von glücklichen Kühen, und der Landwirt soll auch gut davon leben können. In den letzten 70 Jahren wurde die Milchkuh immer mehr zur Hochleistungsfabrik. Um ihrem Kalb mit genügend Nahrung zu versorgen, produzieren Kühe normalerweise 8 Liter Milch am Tag, heute schaffen es einige auf 50 Liter.
Ein Milchkuhleben verläuft eigentlich immer gleich: 16 Stunden am Tag verbringt die Kuh damit, zu fressen, zu schlucken und wiederzukäuen. Die Unterbringung ist je nach landwirtschaftlichem Konzept verschieden: Bio-Bauernhof, konventioneller Hof oder Grossbetrieb. Die Schweiz ist eines der Länder, in dem die Auslauf- und Weidehaltung bei der Rinderhaltung weit verbreitet ist. Doch agrarpolitische Entscheidungen haben dazu geführt, dass sich auch hierzulande die Milchwirtschaft immer mehr zur industriellen Produktion wandelt. Die intensive Milchproduktion hat zur Folge, dass die Bedürfnisse der Milchtiere und ihres Nachwuchses systematisch missachtet werden und darin so gut wie keine Mensch-Tier-Beziehungen mehr Platz finden. Auch in der bisher bäuerlich geprägten Tierhaltung wird in der Schweiz zunehmend der Einsatz von Kraftfutter gesteigert. Der Trend zur permanenten Stallhaltung hält ebenso an wie die routinemässige Enthornung und die Leistungstreiberei, immer mehr Milch zu liefern.
Tierzucht und Agrarpolitik müssen ein Gegenmodell zur weltweit betriebenen Billigmilch Produktion erstellen. Das Tierwohl ist in der Verfassung und im Landwirtschaftsgesetz festgehalten, besonders tierfreundliche Ställe (BTS) oder regelmässiger Auslauf (RAUS) werden jedoch nur wenig gefördert. Nur 10% der Direktzahlungen werden hier investiert. Der finanzielle Anreiz ist damit nach wie vor zu gering und deckt die Mehrkosten oft nicht ab.
Kaum Tierschutz für die Schweizer Kälber
Damit eine Hochleistungskuh auch 10 Monate lang jeden Tag Milch produziert, muss sie regelmässig schwanger sein. Die Kälbchen werden gleich nach der Geburt von ihrer Mutter getrennt und bekommen lediglich 8 Liter ihrer Milch aus der Flasche. Das Schweizer Milch-Hygienegesetz verbietet es, dass die Kälber am Euter saugen dürfen. Obwohl Kälber mit Auslauf im Freien erwiesenermassen gesünder sind und weniger medizinischer Betreuung bedürfen, erhält nur jedes 4te der 265.000 Mastkälber die Möglichkeit zum Weidegang. Die Einzelhaltung der Kälber auf 3m2 grossen Fläche und in engen Iglus ist als einzige Ausnahme der sonst gesetzlich vorgeschriebenen Gruppenhaltung legal. Das natürliche Mutter-Kind-Verhalten wird vollständig unterbunden. Der fehlende Sozialkontakt führt bei den Jungtieren zu Verhaltensstörungen, beispielsweise zum Saugen an den Zitzen anderer Kälber. Zwar zeigt das sofort von der Mutter getrennte Kalb mildere Trennungssymptome, als wenn es erst nach einer Woche von der Mutter getrennt würde, solche Verhaltensstörungen bleiben jedoch. Das angeborene Sozial- und Bewegungsverhalten wird unterbunden – dies ist klar tierschutzwidrig. 200.000 weibliche Kälber verbringen ihre Kinderzeit so. Diese mutterlose Aufzucht wird seit 100 Jahren betrieben, eine Ausnahme ist die Mutterkuhzucht. Das Forschungsinstitut für biologische Landwirtschaft (FiBl) zeigte, dass Mutterkuhhaltung sich positiv auf die Stressresistenz der Kälber auswirkt.
90% der Kälber werden enthornt. Das, obwohl das Horn eine wichtige Rolle bei der Kommunikation, bei der Festlegung der Rangordnung und der Körperpflege spielt. Da aber die behornten Tiere mehr Auslauf brauchen und sich die Verletzungsgefahr für die Tiere im engen Stall erhöht, muss das Horn ab.
Auch die Mastkälberhaltung ist problematisch: Lange, stressige Fahrten zu Tierauktionen, hoher Antibiotikaeinsatz, da die Jungtiere noch kein eigenes Immunsystem entwickelt haben, und die Fehlernährung führen zu tiefen Hämoglobinwerten. Männliche Kälber werden als wirtschaftliche Belastung angesehen und zur Wegwerfware. Sie bekommen oft wenig Pflege, sind häufig krank und geschwächt. Selbst auf Bio-Höfen wird den männlichen Kälbern kein tierwürdiges Leben gewährt: Sie werden oft an konventionelle Mastbetriebe abgegeben.
9000 Kälber werden in der Schweiz direkt nach der Geburt und teils illegal getötet. Die Weiterzucht der aus der extremen Milchleistungszucht stammenden Kälber ist für die Grossviehmast und selbst die Kälbermast uninteressant. Die Tierverkehrsdatenbank verzeichnete bei der Milchvieh-Rasse Red Holstein in den Jahren 2010 bis 2014 einen Anstieg um 17% bei den Totgeburten und Verendungen innerhalb der ersten drei Tage – ein doppelt so hohe Rate im Vergleich zu anderen Rindviehrassen.
Die Mastviehhaltung
Während der Aufzucht und im Mastbetrieb haben die Tiere kaum freie Bewegung: Den bis zu 500 kg schweren Kühe wird gesetzlich einen Lebensraum von 3m2 zugesichert. Das reicht zum Abliegen, jedoch nicht für eine artgerechte Fortbewegung. Die Liegequalität wird zusätzlich durch harte Gummimatten anstatt Einstreu geschmälert. Ein Teil dieser Tiere verbringt ihr Dasein zusätzlich in Anbindehaltung. 275 Tage sind sie permanent fixiert, lediglich an 90 Tagen haben sie den Anspruch auf eine Stunde Auslauf. Ein normales Sozial- und Körperpflegeverhalten ist so nicht möglich. In der Schweiz haben drei Viertel der Aufzuchtrinder Zugang zur Weide, der Rest verbleibt bis zur Schlachtung in engen und kahlen Stallbuchten.
Dabei wäre das Weiden von Mastvieh die natürlichste und klimafreundlichste Tierhaltungsform. Mit Ausnahme der Mutterkuhhaltung und einigen Weide-Rinder-Programmen wird es in der Schweiz hingegen kaum noch praktiziert. Die 90.000 Tiere aus der Mutterkuhhaltung zeigen damit als einzige noch ein Sozialverhalten, wie es Rindern annäherungsweise entspräche. Sie dienen der Fleischerzeugung (Naturabeef) .
Das Problem bei den Milchkühen
Den 600.000 Tieren fehlt es an Kuh-Kalb-Beziehungen, und 2 von 3 Kühen können sich nicht frei in der Herde bewegen. Kuhfreundschaften, die oft ein Leben lang halten, werden oft durch die Selektion des Menschen vorzeitig beendet, wenn die Kuh aufgrund von Krankheit oder Alter nicht mehr die geforderte Milchmenge liefert. 65% der Milchkühe leben in Anbindeställen. 100.000 haben keinen regelmässigen Auslauf, sie verbringen 99% ihrer Lebenszeit auf einer Fläche von 110X185cm.
In Schweizer Grossbetrieben leben die Kühe aus arbeitswirtschaftlichen Gründen oft in Freilaufställen mit wenig Weidegang. Die reine Stallhaltung nimmt auch in der Schweiz immer mehr zu. Es wird angenommen, dass in der EU (mit Ausnahme Irlands) in 20 Jahren alle Milchkühe in Ställen untergebracht sein werden. In den USA und China ist das für den Grossteil der Kühe heute schon Realität. Dabei wäre auch für die Milchkühe im Grasland Schweiz die Weide die natürlichste und ökonomischste Haltungsform.
Nicht zuletzt die hohe Milchleistung, die sich von Jahr zu Jahr steigert, führt zu Krankheiten bei den Tieren: Euterentzündungen, Stoffwechselstörungen, Lähmungen und Verhaltensprobleme. In den 1950er Jahren lieferte eine Kuh 3000kg Milch pro Jahr. Im Jahr 2010 schaffte es das Holsteinvieh auf 8400kg, mit Spitzenwerten bis zu 12000kg. Bei der Zucht wird nichts dem Zufall überlassen. Die nächste Generation soll noch besser an den Viehstall angepasst sein, gesundheitlich stabiler werden, die Fruchtbarkeit soll erhöht und die Verletzungsgefahr verringert werden. Das wichtigste Zuchtziel ist die Steigerung der Milchleistung. Die beträgt in den ersten Tagen nach der Geburt bis zu 40 Liter Milch täglich, die Milchleistung nimmt dann im Idealfall bis zur nächsten Schwangerschaft in einer flachen Kurve ab.
Ein durchschnittliches Kuhleben wird aufgrund der „Berufskrankheiten“ und der abnehmenden Milchproduktion bei fortschreitendem Alter immer kürzer. Fünf Jahre werden die Kühe im Durchschnitt, dann geht’s zum Schlachthof. Bio-Kühe leben im Schnitt ein Jahr länger, sie geben 15% weniger Milch. Das liegt am Futter: Ganzjährig wird wenig Kraftfutter gegeben, die Kühe ernähren sich von Gras, Heu und Silage. Das Kraftfutter versorgt die Kuh mit zusätzlichen Kalorien, um noch mehr Milch aus ihr heraus zu holen.
Die möglichen Verbesserungen liegen damit nahe. Anstatt Massentierhaltung sollten die Tiere in überschaubaren Herdengrössen mit möglichst geringem Kraftfuttereinsatz und mit täglichem Weidegang gehalten werden. Die Zuchtziele der Milchviehzucht sollten sich weg von der Wegwerfkuhhaltung hin zu einem langen, gesunden Leben der Tiere entwickeln. Das erforderte dann aber ein Umdenken nicht nur bei den Bauern, sondern vor allem auch bei den Konsumenten.
Quellen und weitere Informationen:
SRF: Veränderes Konsumverhalten
WDR: Einblick ins Leben der Kühe
STS: Milchproduktion
SwissMilk: Fleissige Kühe
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