Nachdem wir im Rahmen unserer Artikelserie "Einmal um die Welt" erkundet haben, woher die Rohstoffe unserer Kleider stammen, und beobachteten, wie sie dann zu Garnen und Stoffen versponnen werden, wird's uns jetzt zu bunt. Stichwort: Textilfarben.
Aus Wald und Feld in die Fabrik
Der kultivierte Mensch hat den unstillbaren Drang, sich und alles, was ihm in die Hände fällt, zu verzieren. Ist einfach so. Und so sind dann die meisten der ältesten Kulturzeugnisse, Tonscherben zumeist, bereits eifrig mit Linien und Mustern versehen. Weniger gut als gebrannter Ton überstehen organische Stoffe wie Kleider die Jahrtausende, doch die Überreste, die wir haben, geben ebenfalls Zeugnis vom Bedürfnis nach Schmuck - und da nicht zuletzt nach Farbe. Zu deren Gewinnung boten sich Pflanzen an: Die Krappwurzel etwa, für rot, Safran oder die Indigopflanze. Ausserdem Erden - Ocker oder Zinnober - und Tiere wie die Cochenille-Schildlaus (Karmin) oder die Purpurschnecke.
Die erste künstlich hergestellte Farbe war dann ein Mauve. Das gewann der Brite William Henry Perkin 1856 aus Destillaten von Steinkohlenteer - ganz praktisch angesichts der unüberschaubaren Mengen, in denen der giftige Abfall in den Koksfabriken und Gaswerken der Industrialisierung gerade anfiel. Die Farbproduktion stand damit am Anfang der chemischen Industrie und blieb deren wesentlicher Teil bis heute. Giftig blieb sie auch.
Was von der Farbe übrigbleibt
Die Fa. Hoechst gibt an, dass bei der Herstellung eines Kilogramms roten Farbstoffs mehr als acht Kilogramm anderweitig verwertbarer Nebenprodukte anfallen - und dann noch fast sieben Kilogramm definitiver Abfälle, namentlich Salze und Farbschlämme inklusive Schwermetalle und chlorierte Kohlenwasserstoffe. Bei weltweit 250'000 Tonnen eingesetzter Farbstoffe allein zur Veredelung von Baumwolle (2008) kommt da was zusammen. Die Textilindustrie allgemein verwendet geschätzte 800 verschiedene chemische Substanzen zur Herstellung von den gegen viertausend Farben, die sie in ihrem "Colour Index" aufführt. Von diesen Farbstoffen sind wiederum etwa die Hälfte sogenannte Azofarbstoffe, die im menschlichen Organismus in krebsverdächtige Amine zerfallen. Daneben finden sich in Textilfarben und Pigmenten verschiedentlich auch Schwermetalle wie Blei, Cadmium und Quecksilber.
Neben den Farbstoffen fallen in der Textilveredelung noch eine beträchtliche Zahl weiterer bedenklicher Umwelt- und Gesundheitsgifte an. Beim Bleichen etwa Chlor, bei der Imprägnierung die berüchtigten per- und polyfluorierten Chemikalien (PFC), zum Knitterschutz Formaldehyd, und so weiter. Leder weiss durch fortpflanzungsgefährdende Phthalate aufzufallen. Dazu treten zunehmend Nanomaterialen wie etwa Nanosilber, über deren humanphysiologische und ökologische Wirkungen erst wenige Erkenntnisse vorliegen.
Werden wir also von unseren Kleidern vergiftet? Ganz so dramatisch ist es nicht: Nur 1-2 % aller Kontaktallergien werden auf Textilfarben zurückgeführt, die meisten der genannten Azofarbstoffe und viele weitere der offensichtlich gesundheitsgefährdenden Chemikalien und Schwermetalle sind verboten. Auch verzeichnet die auf die globalen Textilketten abzielende "Detox-Kampagne" von Greenpeace seit 2011 fortschreitend Erfolge.
Ein Blick auf unsere europäischen Flüsse kann dann zudem die ökologische Gefährdung unserer Gewässer durch die industrielle Farbproduktion abwiegeln. Darf sie - mit Blick auf die weiterhin anfallenden Abfälle, die irgendwie entsorgt werden müssen - zwar nicht als gelöst gelten, so doch zumindest als handhabbar. Wenn wir jetzt von dieser Entwarnung dennoch gleich wieder ein Stück weit zurücktreten, so liegt das daran, dass nicht alles, was handhabbar wäre, dann auch überall gehandhabt wird.
Tirupur, Indien
Im Jahr 2000 war die Stadt Tirupur im Süden Indiens weitgehend verseucht. Die aus dem Boden geschossenen Textilbetriebe, darunter insbesondere die über 1000 Färbereien, leiteten ihre Säuren, Laugen, Peroxide, Amine, Chloride und Schwermetalle unbehelligt in die zwei müllgesäumten Flüsse der Textilstadt. Dunkel-violett zogen die als eigentliche Kloaken hinaus ins Land, vergifteten Brunnen und Grundwasser und versalzten die Felder, so dass jedes Trinkwasser und Gebrauchswasser der Färbereien wiederum von Tankwagen nach T-Shirt Town gekarrt werden musste. Die immense Gesundheitsgefährdung ergänzte sich mit Kinderarbeit und der Bereitschaft der Textilketten, über soziale und ökologische Missstände hinwegzusehen.
Seit damals hat sich in Tirupur etwas getan. Nachdem die Regierung des Bundesstaats Tamil Nadu 2005 einige hundert Betriebe vorübergehend geschlossen hatte, stellten viele Färbereien ihre Produktion nach ökologischen Standards um. Doch in Reaktion auf die damaligen Nachschubengpässe entstanden anderswo im Land Färbereien alter Machart, deren billigere Dienste offensichtlich gern in Anspruch genommen werden.
Dass dem so ist, darauf geben nicht zuletzt Untersuchungen von Kleidungsstücken in Europa Aufschluss. Da fallen dann regelmässig Verunreinigungen der Textilien mit Umweltgiften und verbotenen Farbstoffen auf, die es über die verschlungenen Produktions- und Vertriebswege der Modeindustrie irgendwie in unsere Boutiquen geschafft haben. Das ist natürlich kein alleiniges Problem Indiens, sondern der Fast Fashion insgesamt. Auch ein Zehntel des industriellen Abwassers Chinas entspringt der Textilindustrie. Insgesamt steuert die bunte Praxis der Textilveredelung zwar nicht das hauptsächliche, aber doch ein nicht zu unterschätzendes Puzzleteil zur Umweltrelevanz der Bekleidungsindustrie bei.
Farbe bekennen
Die Problematik der Textilfarben und Textilveredelung bleibt bei alledem vielfach eine systemische, die sich der zivilen Einflusssphäre entzieht. Was bleibt zu tun? Selber färben? Davon ist gemeinhin abzuraten. Die Gewässerbelastung fällt dabei grösser aus als bei einer professionellen Färbung, und die Klärkraftwerke sind nicht auf Textilfarbe abgestimmt. Dennoch sind wir nicht zur Ohnmacht verdammt. Grundsätzlich bleibt der umweltbewussten Konsumentin, was ihr in solchen Fällen immer bleibt: Weniger Konsument zu sein. Und in diesem Zusammenhang kann dann (im Zuge einer Verlängerung der Tragezeit) auch die handwerkliche Instandhaltung eines Kleidungsstücks ihren Beitrag leisten – inklusive der Färbung. Dann aber mit Naturfarben, wie sie in der Drogerie erhältlich sind. Diese eignen sich ausschliesslich für Naturfasern. Naturfarben können im Übrigen aus Färberpflanzen auch selbst gewonnen werden; immer mehr Workshops und Ratgeber geben Anleitung, wie.
Beim Kleiderkauf selbst kann auf Labels geachtet werden. Das bioRe-Label der Remei-AG (bsp. bei Naturaplan) und das sich zunehmend als ein internationales Öko-Textillabel profilierende Label Global Organic Textile Standard, kurz GOTS, setzen auch auf die Veredelungsprozesse ein angemessenes Augenmerk.
Quellen:
E. M. Weidenhausen: Globalisierungsprozesse in der Textilindustrie
Lutz Stäudel: Fasern und Farben aus der Natur eine ökologische Alternative
Heike Holdinghausen: Dreimal anziehen, weg damit. Westend Verlag
Caspar Dohmen: Sauber oder gar nicht. süddeutsche.de
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