Der UN-Bericht zur Biodiversität zeigt deutlich: Kein einziges der internationalen Ziele zum Schutz der Biodiversität, welche vor 10 Jahren beschlossen wurden, wurde erreicht. Im Gegenteil, der Arten- und Landschaftsschutz wurde von den Mitgliedstaaten stark vernachlässigt. Schon 2019 erklärte der Weltbiodiversitätsrat, dass die Tier- und Pflanzenarten sowie die Vielfalt der Landschaften weltweit dramatisch zurückgehen.
Zwar ist theoretisch viel beschlossen und unterzeichnet worden, Taten folgten aber wenige. Seit 1992 gibt es die Biodiversitätskonvention, bis Ende 2020 läuft die UN-Dekade der Biodiversität und für die nächsten 10 Jahre soll die UN-Dekade der Renaturierungen folgen. Die 190 Gründungsländer scheitern aber an der Umsetzung der ambitionierten Ziele, auch weil Prioritäten anders gesetzt werden. Gerade auch die Schweiz bemüht sich zu wenig um den Schutz der biologischen Vielfalt. Und das, obwohl die Schweiz den höchsten Anteil an gefährdeten Arten in Westeuropa aufweist.
Während die Gesellschaft, Politik und Wirtschaft mittlerweile die Wichtigkeit des Klimaschutzes erkannt haben, fristet der Schutz der Biodiversität noch ein Schattendasein. Das liegt auch daran, dass der Artenschutz bisher keine neuen und so offensichtlich attraktiven Geschäftsfelder eröffnet wie zum Beispiel die Umstellung auf erneuerbare Energien. In die Natur zu investieren spart aber Kosten! Intakte Schutzwälder sind zum Beispiel billiger und sogar wirkungsvoller als Lawinenverbauungen.
Wohlstand auf Pump
Das Problem liegt laut Experten auch im sogenannten Umweltparadox. Trotz immer deutlicher zu Tage tretender Umweltprobleme ist in den letzten Jahrzehnten die Lebensqualität auf fast der ganzen Erde gestiegen. Dieser Wohlstand stammt jedoch vom Raubbau an der Natur. Um die natürlichen Ressourcen zu regenerieren, die wir Menschen in nur 5 Jahren (zwischen 2011 und 2016) verbraucht haben, bräuchte es 1,7 Erden. Nachhaltiger wäre es, den Wohlstand mit lediglich dem sicherzustellen, was die Natur pro Jahr liefern kann.
Der auf Kosten der Natur geschaffene Wohlstand beginnt derweil weltweit zu bröckeln. Menschen, die direkt von der Natur anhängig sind - wie viele Indigene oder Fischer -, spüren schon jetzt, dass der Artenverlust ihre Existenz bedroht. In der Schweiz macht sich der Artenverlust hingegen noch nicht allzu gross in der Lebensqualität bemerkbar. Dass man mit Massnahmen für mehr Artenreichtum die Qualität der Luft, des Wassers und des Bodens verbessert und somit die Gesundheit und Lebensqualität zunehmen, ist uns noch zu wenig bewusst.
Biodiversitätsschutz auf dem Papier – es gibt viel zu tun
Die Schweiz hat (neben der Ratifizierung der internationalen Biodiversitätskonventionen) den Schutz der biologischen Vielfalt direkt in der Bundesverfassung verankert. Dennoch stehen nach wie vor zu wenig finanzielle Mittel und politische Instrumente für einen nachhaltigen Umgang mit der biologischen Vielfalt zur Verfügung. Auch werden mit verschiedenen Massnahmen, wie beispielsweise der Subventionspolitik in der Landwirtschaft, Ziele der Biodiversitätspolitik verletzt. Werden Subventionen und Massnahmen jedoch nicht umfassend betrachtet und mit Blick auf das gesamte Ökosystem aufeinander abgestimmt, besteht immer die Gefahr, dass der erwünschte Nutzen sich durch unerwünschte Nebenwirkungen ins Negative dreht.
Gerade der hohe Stickstoffeintrag durch die intensive Landwirtschaft ist einer der Hauptgründe für den Biodiversitätsverlust - in der Schweiz und weltweit. Während in der Politik zwischen Landwirtschafts- und Umweltpolitik noch zu stark getrennt wird, zeigt der Verlust der Arten schon jetzt, dass sie zusammenhängen und keinesfalls getrennt zu behandeln sind. Schwindende Biodiversität beeinträchtigt den Schutz vor Naturgefahren, mindert die Grundwasserqualität und begünstigt den Klimawandel. Letzteres im Fall der Stickstoffeinträge übrigens auch ganz direkt.
Um den Erhalt der der Biodiversität und die wichtigen Ökosystemleistungen in der Schweiz für die Zukunft sicher zu stellen, bräuchte es laut Expertenmeinung eine grössere Fläche an Schutzgebieten. Rund ein Drittel der Schweizer Landesfläche müsste geschützt oder extensiv bewirtschaftet sein, um das Artensterben zu stoppen und unseren Wohlstand zu sichern. Doch nur etwa 12,5% der Fläche sind bisher für den Erhalt der Biodiversität ausgewiesen. Das internationale Ziel bis 2020 war es, 17% der Landesfläche als Schutzfläche auszuzeichnen, voraussichtlich wird das Ziel für 2030 auf 30% erhöht werden.
„Um Schutzgebiete und nachhaltig genutzte Flächen sinnvoll auszuweiten, zu vernetzen und anzuordnen, könnte man etwa analog zum Finanzausgleich über einen Flächenquotenausgleich zwischen Kantonen oder auch Gemeinden nachdenken.“
Markus Fischer (Professor für Pflanzenphysiologie an der Universität Bern und Mitglied des Expertengremiums des Weltbiodiversitätsrates)
Für mehr Biodiversitätsschutz in der Schweiz braucht es neben der Ausweitung der Flächen auch eine zweckvolle Vernetzung der Schutzgebiete sowie eine Renaturierungen der degradierten Flächen. Die Biodiversität und die Leistungen der Ökosysteme müssen endlich umfassend in die Zielsetzungen, Rahmenbedingungen und Steuerungsinstrumente der Politik, Wirtschaft und Gesellschaft miteinbezogen werden.
Der Biodiversitätsgipfel im September in New York galt als Vorbereitungskonferenz für die grosse Konferenz im nächsten Jahr, wo einmal mehr über die Zukunft unserer Erde verhandelt wird. Bis dahin bleibt zu hoffen, dass das Versagen der bisherigen Politik die Staats- und Regierungschefs zum Nachdenken und zu ernsthaftem Handeln in Sachen Biodiversitätsschutz anregt. Wir selbst müssen nicht untätig bleiben: Angefangen im Garten, wo wir schon mit einfachen Mitteln artenreiche Biotope schaffen können, bis hin zum nachhaltigen Konsum von Lebensmitteln und Konsumgütern. Damit zeigen wir der Wirtschaft und Politik, dass wir zum Handeln bereit sind!
Quellen und weitere Informationen:
UN: United Nations Summit on Biodiversity
UN Environment: Biodiversity Outlook
EU: UN- Biodiversitätsgipfel
Leaders Pledge for Nature
Tagesanzeiger: Es ist erschreckend wie wenig erreicht wurde
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