Ein Grossteil der Menschen lebt dank Industrialisierung, Globalisierung und Ausbeutung der natürlichen Ressourcen im Wohlstand. Doch in den letzten 150 Jahren hat unser Handeln immense Probleme heraufbeschworen. Wir sind an einem Punkt, an dem es neue Gedankenansätze, Ideen und Technologien braucht, um etwa der Klimakrise oder dem Verlust der Biodiversität substantiell etwas entgegen zu setzen. Doch erst einmal – und leider immer noch – muss dafür ein gebührendes Problembewusstsein geschaffen sein. Wie weit darf der Umwelt-, Klima- und Tierschutz dafür gehen? Ist der Einsatz von Gewalti im Kampf für die gute Sache legitim? Und hört überhaupt noch jemand hin, wenn sich die Aktivistinnen keine besonders spektakulären Aktionen einfallen lassen?
militant
Definition: Mit bewusst kämpferischem Anstrich für eine Überzeugung eintretend.
Herkunft: lateinisch militare = Kriegsdienst leisten
Synonyme: aggressiv, angriffslustig, draufgängerisch, gewalttätig
Als seit jeher besonders militant gelten einige Tierschutzaktivistinnen. Viele von ihnen sehen im sogenannten Speziesismus den Grund, aus dem Tiere vom Menschen gequält, missbraucht und getötet werden. Er liefert die Rechtfertigung, ganz selbstverständlich und legal über das Leben unserer Haus- und Nutztiere, der Wildtiere oder auch der Pflanzenwelt zu bestimmen: Der Mensch versteht sich als wertvoller als andere Spezies. Dieses Selbstverständnis führte bis dahin, nichtmenschliches Leben zum reinen Gegenstand zu erklären. Doch unsere Katzen und Hunde, Kühe, Schweine und Hühner sind keine Dinge. Sie sind einzigartige Individuen, die genauso eine Lobby verdient haben wie all die gewinnbringenden Wirtschaftszweige. Verletzungen dieser Rechte der Tiere – die indessen auch die Justiz wieder zunehmend anerkennt – können aber oft nur über illegale Videoaufnahmen aufgezeigt werden. Ist es also verwerflich, in einen Stall, ein Labor oder eine Pelzfarm einzudringen, oder geht dieser Hausfriedensbruch in Ordnung?
Definition Gewalt:
Handlungen, Vorgänge und soziale Zusammenhänge, in denen oder durch die auf Menschen, Tiere oder Gegenstände beeinflussend, verändernd oder schädigend eingewirkt wird.
Illegale Aktionen von Aktivistinnen werden oft als gewalttätig oder destruktiv bezeichnet, sie selbst verstehen sie als zivilen Ungehorsam. Als Erklärung führen die Tierschützerinnen an, dass Gewalt, sofern nicht exzessiv betrieben und nur gegen Gegenstände gerichtet, als notwendiges Übel in Kauf genommen werden muss. In Notwehrsituationen ist Gewalt in der Gesellschaft durchaus akzeptiert. Da Tiere sich nicht selbst wehren können, verstehen sie ihre Aktionen als Akte der solidarischen Notwehr. Man kann sich nun über die rechtliche oder moralische Gültigkeit dieses Arguments prächtig streiten, sollte sich dabei aber immer auch gewahr bleiben, dass die Gewalt an unseren Nutztieren üblicherweise keine Empörung auslöst: Ausser eben, wird bekommen sie plastisch vor Augen geführt.
„Wo Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht.“
Bertolt Brecht
Aktivistinnen – ob sie sich nun für die Rechte der Tiere oder die Rettung des Klimas und der Biodiversität einsetzen – ergreifen also Partei gegen das, das normalerweise als gegeben, normal und akzeptabel empfunden wird. Das ist eine gewaltige Hürde, die es zu überwinden gilt. Im Rahmen des Rechtsstaates sind die legalen Formen des Protestes jedoch begrenzt. Angemeldete Demonstrationen mit selbstgemalten Plakaten rütteln kaum so sehr auf wie illegal gefilmte Grausamkeiten in Tierställen, Schlachthöfen oder Versuchslaboren. Für die diesbezügliche Aufklärungsarbeit können meist nur durch Hausfriedensbruch oder Whistleblowing beschaffte Beweisstücke dienen.
Vandalismus, Sachbeschädigung und Hausfriedensbruch sind gleichwohl Straftaten. Die Aktivistinnen müssen sich der Konsequenzen ihrer illegalen Handlungen bewusst sein. Sie nehmen eine mögliche Verhaftung durch die Polizei und eine gerichtliche Verurteilung in Kauf. Die Verständigung darüber, inwiefern ihre Aktionen ethisch gerechtfertigt sind, ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, nicht nur die ihre.
Definition Pazifismus:
Weltanschauliche Strömung, die jeden Krieg als Mittel der Auseinandersetzung ablehnt und den Verzicht von Rüstung und militärische Ausbildung fordert.
Synonyme: Friedensbestrebungen, Friedensliebe, Gewaltlosigkeit, Kriegsablehnung
Im Gegenzug finden sich unter den Umweltbewegten auch viele Pazifisten. Ihnen gilt auch Sabotage an Gegenständen als Gewalttat. Sie akzeptieren überhaupt keine Gewalt, nicht einmal zur Verteidigung von Unschuldigen wie zum Beispiel der Tiere. Vermehrt gelangen aber auch viele von ihnen zum Punkt, da sie ihre gewaltfreien Mittel als ausgeschöpft sehen. Dann werden auch extremere Aktionen organsiert, um Aufmerksamkeit zu erlangen.
Zwei Beispiele
Die Tierrechtsbewegung Animal Liberation Front (Tierbefreiungsfront) fordert laut eigenen Angaben die Befreiung von Tieren aus den Stätten, in denen sie gequält werden (z.B. Laboratorien und Pelzfarmen). Danach sollen die Tiere an Orte gebracht werden, wo sie frei von Leiden bis zu ihrem natürlichen Ende leben dürfen. Dabei sind ökonomische Schäden für all jene, die von der Not und der Ausbeutung der Tiere profitieren, zulässig. Das Aufzeigen der Gräuel, denen die Tiere hinter verschlossenen Türen ausgeliefert sind, findet über gewaltfreie, direkte Aktionen und Befreiungen statt. Dabei sollen alle notwendigen Vorsichtsmaßnahmen getroffen werden, damit weder Mensch noch nichtmenschliches Tier während der Aktion Schaden nehmen. Zu den Aktionen der ALF gehören unter anderem das Ansägen und Umkippen von Jägerhochsitzen, das Zerstören von Pelzkleidung in Kaufhäusern, das Befreien von Frettchen und Nerze aus der Pelzzucht und Katzen und Hunde aus Versuchslaboren, aber auch Brandstiftungen an Fleischtransportern.
Die grosse Angst vor den Konsequenzen der globalen Klima- und Biodiversitätskrise lässt auch den Klimaschutz radikaler werden. Für viele Aktivistinnen der Exctinction Rebellion haben klassische demokratische Mittel wie Petitionen oder bewilligte Demonstrationen nicht zum gewünschten Umdenken geführt. Gewaltfreiheit bleibt dennoch eines ihrer Kernprinzipien. Nach eigenen Angaben handelt es sich bei ihnen um eine friedliche Bewegung, die mittels symbolischer Aktionen und Blockaden politischen Druck ausüben und mediale Aufmerksamkeit erregen will. Ihre Aktionen unterteilen sie in drei Stufen: Legale Aktionen wie angemeldete Demonstrationen oder Stände für Aufklärungsarbeit gehören zur Stufe null. Aktionen der Stufe eins sind zwar teilweise rechtswidrig, den Aufforderungen der Polizei wird aber Folge geleistet. Eine Festnahme wird erst bei Stufe zwei in Kauf genommen. Zu den Aktionen der Gruppierungen gehören Strassenblockaden wichtiger Verkehrsknotenpunkte in Städten wie Paris oder Berlin. In der Schweiz wurde im Herbst vergangenen Jahres unter anderem eine Brücke in Lausanne gesperrt oder die Limmat in Zürich grün gefärbt.
Ob man nun von zivilem Ungehorsam oder Gewaltausübung spricht, ob man dafür oder dagegen ist, eines ist sicher: Den militanten Aktionen wird erst der Boden entzogen, wenn die Verantwortlichen der Fleischindustrie oder der Ölkonzerne Einsicht und verantwortungsvolles Handeln demonstrieren. Bis dahin wird es weiterhin aufsehenerregende Proteste wie jene der Animal Liberation Front oder der Klimaaktivistinnen von Extinction Rebellion geben. Immerhin ist nur allzu offensichtlich, dass nur illegale Aktionen wie Hausfriedensbruch, Strassenblockaden oder die Störung der öffentlichen Ordnung mehr mediale Aufmerksamkeit bekommen, als eine friedliche Fridays-for-Future-Demo noch erzielt. Wichtig ist aber, dass dieser Protest demokratiefreundlich bleibt! Es werden sich kaum mehr Unterstützer finden, wenn die Aktionen immer rücksichtsloser werden. Die wenigsten Menschen sympathisieren mit Brandstiftung, Sachbeschädigung und Gewaltandrohung gegenüber Personen – selbst, wenn sie der gleichen Meinung wie die Protestierenden sind. Ebenso darf die Suche nach Aufmerksamkeit nicht zum Selbstzweck geraten… Ganz allgemein aber müssen wir uns neben der Frage, wie radikal wir den Tier- und Umweltschutz gern haben wollen, auch die Frage gefallen lassen, wie radikal sich unser tägliches Handeln auf den Planeten auswirkt.
Quellen und weitere Informationen:
Tom Regan: Animal Rights and Environmnental Ethics
Tier im Fokus: Aktivitäten
Extinction Rebellion Zürich: Events
Animal Liberation Front: Aktionen
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