Die zersiedelte Schweiz

26 Feb 2013

Die Bekämpfung der zunehmenden Zersiedelung in der Schweiz ist eines der wichtigsten Argumente für die Revision des Raumplanungsgesetzes, über die am 3. März 2013 an der Urne abgestimmt wird. Doch was bedeutet „Zersiedelung“ genau und weshalb ist die Schweiz so stark davon betroffen? 

Bereits vor knapp 60 Jahren haben Max Frisch, Lucius Burckhard und Markus Kutter mit ihrem Werk Achtung: die Schweiz vor einem unkontrollierten Siedlungswachstum in der Schweiz gewarnt. Zum Städtebau schrieben sie:

"...es ist ein allgemeines Problem; jeder Schweizer muss wohnen, jeder Schweizer muss zur Arbeit gehen oder fahren, jeder Schweizer ist sterblich und hat somit den Wunsch, nicht überfahren zu werden, und er möchte auch nicht täglich eine Stunde in Verkehrsstockungen verbringen. Er möchte leben, und zwar so, wie es ihm gefällt, ein Leben, wie es ihm lebenswert erscheint."

Mit dem Entwurf einer Musterstadt wollten die Autoren den Herausforderungen einer wachsenden Schweizer Bevölkerung mit zunehmenden Mobilitätsansprüchen durch einen vorausschauenden Bauplan gerecht werden. Tatsächlich wurde aber erst im Jahr 1979 das erste Schweizer Raumplanungsgesetz (RPG) in Kraft gesetzt, welches die Bodennutzung besser regulieren und damit auch die Zersiedelung stoppen sollte.

Dennoch ist die Siedlungsfläche auch in den letzten Jahren stetig gewachsen. Im letzten Jahrzehnt hat sie um rund 13% zugenommen, was deutlich über dem durchschnittlichen Bevölkerungswachstum von 5% liegt. Die Zunahme der Siedlungsfläche allein bedeutet aber noch keine Zersiedelung. Davon spricht man, wenn das Wachstum unstrukturiert verläuft, die Gebäude weit gestreut sind und die Ausnützung der Siedlungsfläche für Wohn- oder Arbeitszwecke gering ist (vgl. WSL, 2011). Um die eher intuitive Wahrnehmung der Zersiedelung messbar zu machen, wurde im Rahmen des Nationales Forschungsprogramm nfp54 eine mathematische Formel aus dieser Definition abgeleitet. Die Zerstreuung wird aus den folgenden drei Hauptkomponenten berechnet: Grösse der Siedlungsfläche, Streuung (Distanz zwischen allen Siedlungen innerhalb der Fläche) und Flächeninanspruchnahme. Je weniger Fläche pro Einwohner oder Arbeitsplatz beansprucht wird, desto besser ist die Ausnützung der Fläche (vgl. nfp54). Mithilfe der Berechnungen des nfp54 lässt sich festhalten, dass die Zersiedelung in der Schweiz seit 1950 mehr als verdoppelt hat. Wie ist es so weit gekommen?

Beim Vollzug der Raumplanungsgesetzgebung haben die Behörden in den letzten Jahrzehnten in der Schweiz auf allen Ebenen - Bund, Kantone und Gemeinden - versagt.

Hans-Georg Bächtold, Generalsekretär SIA

In der Nachkriegszeit schufen die boomenden Städte neue Arbeitsplätze, doch der immer knapper werdende Wohnraum in der Innenstadt wurde bald unbeliebt. Die Leute, die in der Stadt arbeiteten, bevorzugten zunehmend eine ruhige Wohnlage auf dem Land. So schossen die Vorstädte und Dörfer regelrecht aus dem Boden. Die schnelle Verbreitung des Privatwagens begünstigte diese Entwicklung (vgl. SRF Video: Einstein). Bald stiess auch die Strasseninfrastruktur an ihre Grenzen und musste ausgebaut werden. Infolgedessen nahm die Zersiedelung weiterhin rasant zu. Mit dem Raumplanungsgesetz (RPG) wurde damals erstmals eine Möglichkeit geschaffen, diese Entwicklung zu bekämpfen und wertvolles Kulturland zu schützen: Von nun an sollten Nichtbauzonen und Bauzonen getrennt werden. Doch „jede der 3000 Gemeinden hat für sich geschaut“, betont Hans-Georg Bächtold, Generalsekräter SIA (Schweizerischer Ingenieur- und Architektenverband). Dabei habe eine Gesamtsicht und -planung gefehlt, sodass die Bauzonen ungünstig definiert und viel Kulturland zu Bauland umgezont wurde, und somit die Zersiedelung weiter fortschritt. Insbesondere durch den Bau von Einfamilienhäusern, die im Vergleich zu Reihen- oder Mehrfamilienhäusern sehr viel Platz in Anspruch nehmen, steigt die Siedlungsfläche weiter an.

Die langfristigen Folgen dieser Entwicklungen sind alarmierend: der Raum wird immer enger, das Bauland immer knapper, intakte Landschaften immer seltener und die Artenvielfalt kleiner. Das Wunschziel des bisherigen Raumplanungsgesetztes, den „Boden haushälterisch zu nutzen“ und „eine auf die erwünschte Entwicklung des Landes ausgerichtete Ordnung der Besiedlung zu verwirklichen“ (vgl. Geltendes Raumplanungsgesetz) hat sich in der Praxis bisher leider nicht bewahrheitet.

Weiterführende Links:
SRF Einstein vom 08.11.2012.
Komitee Ja zum Raumplanungsgesetz" .
Eidg. Forschungsanstalt WSL: "Zersiedelung messen und vermeiden" (2011).
Nationales Forschungsprogramm nfp54 zur Zersiedelung.
Verschiedene Artikel zum Thema Raumplanung (Schweizerischer Ingenieur- und Architektenverband).

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