Die Landwirtschaft in Entwicklungsländern ist durch kleinbäuerliche Strukturen geprägt. Diese basieren grossenteils auf einem informellen System zur Saatgut-Gewinnung; dies im Gegensatz zu den Industrienationen mit ihrem kommerzialisierten Landwirtschafts- und Saatgutsystem. Diese begannen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts Pflanzensorten zu schützen (kurz PVP), unter anderem mit dem Internationalen Übereinkommen zum Schutz von Pflanzenzüchtungen (UPOV). Sie sind aber nur indirekt mit dem Patentschutz auf genmanipulierten Pflanzen verbunden. „Es handelt sich quasi um eine parallele Schiene“, erklärt Thomas Braunschweig, Handelsexperte der Erklärung von Bern (EvB), gegenüber umweltnetz-schweiz. Die EvB ist Herausgeberin der Studie „Owning Seeds, Accessing Food“. Der Ansatz mit Patenten, der tiefergreifender wirkt als Sortenschutzgesetze, wird bis jetzt allerdings hauptsächlich in den USA verfolgt.
„Bahnbrechende Menschenrechtsanalyse“
Erst später wurde dieses Sortenschutz-System auch in Entwicklungsländern eingeführt, angestossen vor allem durch das TRIPS-Abkommen der WTO von 1995. In den Ländern des Südens stellen Bauern und Bäuerinnen aber oft Saatgut selbst her. „Auch in alte Sorten fliesst dabei Erbgut neuer, geschützter Züchtungen“, erklärt EvB-Experte Thomas Braunschweig. Diese informellen Saatgutsysteme bilden die Basis für die kleinbäuerliche Produktion und seien unabdingbar für die nationale Nahrungssicherheit. Zentral für dieses Saatgutsystem: Die Bauern müssen über das aus ihrer Ernte gewonnene Saatgut frei verfügen, um es wiederverwenden, austauschen und verkaufen zu können. Die Pionierstudie , eine „bahnbrechende Menschenrechtsanalyse“, wie die EvB in einer Medienmitteilung schreibt, zeigt nun auf: Wird diese traditionelle Saatgut-Vermehrung durch strenge internationale Sortenschutzgesetze eingeschränkt, kann dies das Menschenrecht auf Nahrung gefährden.
Handelsverträge als Druckmittel
„Mit dem Beitritt zum Internationalen Verband zum Schutz von Pflanzenzüchtungen (UPOV) verpflichtet sich ein Staat, kommerzielles Saatgut (z.B. von Syngenta) gesetzlich stärker zu schützen“, schreibt die EvB. Dies schränkt Kleinbauern in Entwicklungsländern massiv ein bei der Verwendung von geschütztem Saatgut aus eigener Ernte. Häufig werden Entwicklungsländer mittels Handelsverträgen zum UPOV-Beitritt gedrängt. Auch die Schweiz habe in ihren bilateralen Freihandelsabkommen wiederholt entsprechende Forderungen formuliert, heisst es in der Mitteilung. EvB-Experte Braunschweig meint: „Zweifellos findet im Hintergrund massives Lobbying durch die Agrokonzerne statt.“
Schweiz soll auf Forderungen verzichten
Der Fokus der Studie liegt auf marginalisierten Gruppen in Entwicklungsländern. Die Menschenrechtsanalyse stützt sich auf drei Fallstudien in Kenia, Peru und den Philippinen. Sie kommt zum Schluss, dass aus einer Menschenrechts-Perspektive die Einschränkung traditioneller Praktiken und Saatgut-Systeme (z.B. durch ein UPOV 91 basiertes PVP-Gesetz) nicht nur negative Auswirkungen auf das Recht auf Nahrung haben kann, sondern auch die Bauern-, Indigenen- und Frauenrechte gefährdet sowie die Agrobiodiversität bedroht. Solche Einschränkungen könnten auch zu einer verstärkten Abhängigkeit der Bauern vom formellen Saatgut-Sektor führen. Thomas Braunschweig: „Damit geraten aber auch die informellen Saatgutsysteme unter Druck.“ Es gehe nicht zuletzt um grundsätzliche Fragen. „Zum Teil ist den für die Studie befragten Bauern das Konzept des Saatgutschutzes völlig fremd, und sie verstehen gar nicht, dass man Saatgut nicht einfach frei verwenden können soll.“
Aufzeigen, was möglich ist
Die EvB fordert von der Studie ausgehend unter anderem, dass vor der Übernahme von UPOV-Standards in nationales Recht Menschenrechtsanalysen durchzuführen seien; zudem solle die Schweiz in Freihandelsverträgen auf jegliche Forderungen betreffend Sortenschutzrechten verzichten. „Eine wichtige Erkenntnis der Studie ist nicht zuletzt, dass solche Menschenrechtsanalysen tatsächlich machbar sind“, erklärt Thomas Braunschweig. Dies sei bisher vom in Handelsfragen federführenden Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) in Abrede gestellt worden.
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