„Zu wenig Hirsche erlegt“ – Hintergründe zur Bündner Rothirsch-Jagd

Rothirsche beim Äsen Rothirsche beim Äsen

3229 Rothirsche wurden auf der schweizweit grössten Jagd in Graubünden geschossen. Damit ist der Abschussplan nur zu zwei Dritteln erfüllt worden. Um die geplante Abschussquote von 4655 Rothirschen zu erreichen, hat das Kantonale Amt für Jagd und Fischerei die Sonderjagd auf weitere 1426 Rothirsche angeordnet. Diese ist nicht unumstritten. Gleich zwei bündnerische Volksinitiativen wollen deren Abschaffung. Viele Fragen bleiben offen. Wie kommen Abschussquoten zustande? Was ist die Sonderjagd und weshalb ist sie gemäss dem Kantonalen Amt für Jagd und Fischerei Graubünden nötig? Welche Volksinitiativen fordern eine Abschaffung?

Wie werden Abschussquoten festgelegt und wozu?

Im Frühling zählen im Kanton Graubünden Jäger, Wildhüter und Förster nachts die Rothirsche. Die erhobenen Daten dienen dazu, den Bestand der Bündner Rothirsche zu erfassen und die Abschussquoten für die Jagd im Herbst festzulegen. Der Rothirsch weist eine hohe Fortpflanzungsleistung auf: So wächst der Rothirschbestand im Kanton Graubünden jährlich um etwa 5000 Tiere an und beträgt derzeit rund 15‘000 Tiere. Der Zuwachs soll von den Jägern gejagt werden. Warum braucht es die Jagd überhaupt? In der Schweiz fehlen grosse Raubtiere wie Wolf und Bär weitestgehend, welche die Rothirsche natürlicherweise regulieren würden. Der Mensch übernimmt diese regulierende Aufgabe. Weshalb müssen die Bestände von Wildtieren überhaupt reguliert werden? Die Populationen würden Jahr für Jahr anwachsen, während der Lebensraum gleich gross bleibt und gleich viel Nahrung bietet. So werden die Tiere zu einem Problem für die natürliche Verjüngung des Waldes, denn sie haben eine Vorliebe für junge Baumtriebe. Wenn Rothirsche auf ihrer Suche nach Nahrung in landwirtschaftliche Kulturen einwandern, richten sie dort grosse Schäden an. Besonders gravierend wird in einem Lebensraum eine zu grosse Zahl im Winter. In der kargen Jahreszeit gibt es wenig Futter. Entweder wandern sie ab, werden krank oder verhungern. Solche Überlegungen führen zur Festlegung einer Abschussquote, die im Jahr 2014 im Kanton Graubünden insgesamt 4655 Hirsche beträgt.

Was ist die Sonderjagd?

Die Bündner Jagd findet in zwei Phasen statt. Im September findet während 21 Tagen die sogenannte Hochjagd statt. Es dürfen Rothirsche, Rehe, Gämsen, Murmeltiere, Füchse, Dachse und Wildschweine geschossen werden. Jäger mit Wohnsitz in Graubünden, können ein Patent für die Hochjagd erwerben. Wie die Neue Luzerner Zeitung schreibt, wurden dieses Jahr während der Hochjagd 1426 Hirsche zu wenig gejagt. Es gibt mehrere Gründe, weshalb die Abschussquote nicht erreicht wurde. Insbesondere rund um den Nationalpark wurden zu wenig Hirsche erlegt. Dieser ist ein optimales Rückzugsgebiet für die Rothirsche und liefert gute Äsungsplätze, sodass die Tiere das Schutzgebiet für die Nahrungsaufnahme nicht verlassen müssen. Die Jäger hätten zwar versucht, grosse Ansammlungen von Hirschen in Wildschutzgebieten aufzulösen, doch sei ihnen das nur teilweise gelungen, wie das Amt für Jagd und Fischerei Graubünden schreibt. Um die festgelegte Abschussquote für das Jahr 2014 dennoch zu erreichen, wird bei der Sonderjagd im November und Dezember noch einmal zur Jagd geblasen.

„Unsere Initiative zur Abschaffung der Sonderjagd richtet sich nicht gegen die Jagd als solche, denn es braucht eine Hochjagd zur Regulierung der Wildbestände.“
Renatus Casutt, Mitglied des Initiativkomitees

Die Sonderjagd ist umstritten

„Aus der Sonderjagd, die zur Feinregulierung der Wildbestände dienen sollte, wurde eine Jagd mit gelockerten Vorschriften im November und Dezember“, kritisiert Christian Mathis, der Initiant der Volksinitiative zur Abschaffung der Sonderjagd (Sonderjagdinitiative). Er beanstandet, dass die Wildtiere in ihren Wintereinstandsgebieten gestört werden. Es ist bekannt, dass winterliche Freizeitaktivitäten Wildtiere stören und an ihren Energiereserven nagen, denn die Flucht kostet sie jedes Mal grosse Mengen Energie, mit der sie in der kargen Jahreszeit sparsam umgehen müssen. Vanessa Gerritsen, Rechtsanwältin und stellvertretende Geschäftsführerin der Stiftung für das Tier im Recht (TIR), findet es bedenklich, dass führende Muttertiere oder Kälber während der Sonderjagd geschossen werden dürfen. Mit der Sonderjagdinitiative sollen die Abschussquoten innert möglichst kurzer Zeit während der ordentlichen Hochjagd erreicht werden mit dem Ziel, die Wildtierbestände ohne Sonderjagd regulieren zu können. Die Initianten zeigen zwei Möglichkeiten auf, wie dies erreicht werden kann: Einerseits soll die Hochjagd auf 25 Tage verlängert werden und bis Oktober dauern, andererseits sollen die Regelungen der Wildschutzzonen gelockert werden sodass in diesen Zonen während der Hochjagd teilweise die Jagd erlaubt würde.

Die zweite Initiative fordert die Abschaffung der Sonderjagd und aller tierquälerischen Jagdmethoden. Hinter dieser Volksinitiative steht der Verein Wildtierschutz Schweiz. Dieser Verein ist der Meinung, Wildtiere seien weder Nutztiere noch Jagdtrophäen, und die heutigen Jagdmethoden in Graubünden hätten mit Hege nichts zu tun. Sie prangern an, die Jagd sei lediglich ein blutiges Hobby. Die Anzahl Verstösse gegen die Jagdgesetzgebung und die zahlreichen Anzeigen an die Kreisämter haben dem Verein den Anstoss gegeben, die Initiative ins Leben zu rufen. Sie fordert unter anderem, dass Muttertiere ihre Hirschkälber „ohne Hatz und Todesangst aufziehen“ können. Des Weiteren verlangt sie, dass Fallen zum Töten und Anfüttern von Tieren zu verbieten sind. Auch soll den Wildtieren eine generelle Winterruhe gewährt werden, damit diese ihre Energie in der kargen Jahreszeit sparen können. 

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