Seien wir ehrlich
Der Journalist Marco Meier brachte es in seinem Kommentar am Schluss der Tagung auf den Punkt; sagte, was wohl so mancher während den vorangegangen Vorträgen heimlich gedacht hatte: „Seien wir ehrlich: Die Sicht beispielsweise von Weggis auf den See ist atemberaubend, vom See aus ist die Sicht auf Weggis hingegen wenig vorteilhaft.“ Die Schweiz ist geprägt von landschaftlicher und bauhistorischer Schönheit. Gleichzeitig ist diese Schönheit latent gefährdet: Durch Eingriffe in das Landschaftsbild mit grossen Bauprojekten und fehlgeleiteter Siedlungsentwicklung. Diese führen allzu oft zu baulichen Erscheinungen wie in Weggis. Doch was ist gegen die Zersiedlung und fragwürdige Bauten zu unternehmen? Diese Fragen beschäftigen viele Schweizerinnen und Schweizer nicht erst seit Abstimmungen wie über das neue Raumplanungsgesetz oder die Ecopop-Initiative. Schon vor dreissig Jahren, als der Landschaftsschutzverband Vierwaldstättersee (LSVV) gegründet worden ist, hätten sich viele über die Zerstörung der Landschaft beklagt, erörterte Reto Wehrli, Präsident des Verbands an der Tagung „Bauen im Landschaftsraum Vierwaldstättersee“. Diese hatte der LSVV aus Anlass seines 30-jährigen Bestehens am 2. Dezember in Brunnen veranstaltet.
Die Frage nach der Identität eines Ortes
Was, wo und wie gebaut wird, hängt von verschiedenen Faktoren ab, wie die Tagung eindrücklich aufgezeigt hat. An jeglichem Anfang steht der Landschaftsraum, die Umgebung und ihre Wirkung auf Mensch, Kultur und Umwelt - also die Identität eines Ortes. Dieser Raum ist durch die historische Nutzung geprägt, durch Gesetze geordnet und geschützt; oder wie der Raumplaner Hans-Georg Bächtold an der Tagung sagte: „Was draussen entsteht, ist so geplant.“ Trotz oder gerade wegen dieser Planung: Verschiedene Referenten drückten ihr Bedauern aus, dass sich Schweizer Städte und Dörfer zunehmend glichen, dass Charakteristik und Differenzierung verloren gingen. Einer, der einen besonders geschärften Blick für Landschaften, Häuser und Menschen hat und sich mit philosophischem Feingespür damit auseinandersetzt, ist der Bündner Architekt Gion A. Caminada. In seinem Referat zeigte er, dass es bei der Gestaltung des Landschaftsraums auch auf den Einbezug unserer Sinne ankommt. Wir müssten Orte für gute wie schlechte Zeiten schaffen, damit wir nicht nach Teneriffa fliegen müssen, wenn es hier kalt wird. Gleichzeitig müssen wir uns bewusst sein, dass eine Landschaft auf einen Touristen anders wirkt als auf einen Einheimischen; oder wie es Caminada ausdrückt: „Nur die zweckfreie Landschaft kann idyllisch und romantisch sein.“ Er zeigte damit auf, dass die Behörden zwar planen und lenken können, doch im Kern sind es die Bauherren und ihre Architekten, die letztlich ein Gebäude ausdefinieren; und damit entscheiden auch deren finanziellen und ästhetischen Ansprüche und Fähigkeiten mit. Ein zentraler Bestandteil seien dabei aber auch unsere Wohnansprüche, wie Raimund Rodewald von der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz an der Podiumsdiskussion klarmachte. Wenn alle möglichst hohe und grosse Räume wollten und unsere Ansprüche stetig stiegen, so müssten wir uns tatsächlich überlegen, unsere Bauernhäuser und andere historisch wertvollen Gebäude irgendeinmal abzureissen. Gleichzeitig kritisierte er die oft überforderten und passiven Gemeindebehörden. Diese müssten lernen, öfters auch Nein zu sagen zu ungeeigneten Projekten. Mit der Ästhetikklausel hätten sie ein Instrument dazu in der Hand, wie Lukas Bühlmann, Direktor der Schweizerischen Vereinigung für Landesplanung (VLP-ASPAN), erklärte.
Einfluss auf Qualität von Siedlung und Landschaft
Die Behörden verfügen aber noch über weitere Werkzeuge, um die Qualität von Siedlung und Landschaft zu beeinflussen. Bühlmann verortete an der Tagung drei zentrale Mittel zur Einflussnahme. 1. Das Instrument der Planung, das bereits angesprochen wurde. 2. Das Instrument der Bauordnung: Das kantonale Baugesetz und auf Gemeindeebene der Nutzungsplan und das Baureglement geben vor, wo und wie gebaut werden darf. Die Raumplanung hat in den letzten vierzig Jahren an Bedeutung gewonnen, und trotzdem wird weiter viel gebaut. „Vieles davon vermag in gestalterischer Hinsicht jedoch nicht zu überzeugen“, heisst es in der Broschüre zur Tagung. Der Raum Vierwaldstättersee ist dabei durch politische Heterogenität geprägt: Fünf Kantone und 34 Gemeinden teilen sich das Gebiet rund um den See. Oder wie der Schwyzer Regierungsrat Kurt Zibung an der Tagung schön versinnbildlichte: Das Wort Bauen wird in jedem der fünf Kantone etwas anders ausgesprochen und damit auch etwas anders wahrgenommen.
Das dritte Instrument ist dasjenige des Objektschutzes. Das Natur- und Heimatschutzgesetz kennt dazu drei Bundesinventare: Dasjenige der Landschaften und Naturdenkmäler von nationaler Bedeutung (BLN), dasjenige der schützenswerten Ortsbilder (ISOS) und dasjenige der historischen Verkehrswege (IVS). Die Eidgenössische Natur- und Heimatschutzkommission (EHNK) wacht über diese Inventare. Allerdings ist die Fachkommission nur beratend tätig, wie Mitglied Monika Imhof-Dorn an der Tagung betonte; sie ist also keine Entscheidungsbehörde. Das erklärt vielleicht auch teilweise, weshalb selbst in BLN-Gebieten wie dem Vierwaldstättersee noch immer „vieles in gestalterischer Hinsicht nicht zu überzeugen mag“. Zudem sind die Orte der Waldstätten teilweise aus dem BLN-Gebiet ausgeklammert. Dass im ländlichen Raum nur selten gegen innen verdichtet wird, verortet die Raumplanerin Heidi Haag unter anderem auch in den grossen Bauzonenreserven, den tiefen Baulandpreisen, den bisher zu einfach bewerkstellbaren Neueinzonungen von Bauland und in den Milizbehörden, die mit den komplexen Aufgaben an ihre Grenzen stossen. Das neue Raumplanungsgesetz sei eine Chance, um Baulücken zu füllen, Gebäude umzunutzen oder zu sanieren und Land aufzuzonen, sodass zum Beispiel die bebaubare Bruttogeschossfläche erhöht wird. Der Dialog der Nutzungsgruppen ist aber unumgänglich; und es braucht Werte, die Journalist Meier eingefordert hatte; und es braucht visionäre Architekten vom Schlage eines Gion A. Caminada.
Adressverzeichnis – LSVV, Landschaftsschutzverband Vierwaldstättersee, Luzern
Weitere Informationen:
Webseite des Landschaftsschutzverbands Vierwaldstättersee
Charta Vierwaldstättersee
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