Der Nachtzug im Sandwich
„Der heutige Nachtzug sieht sich eingeklemmt in einer ungünstigen 'Sandwichposition' zwischen den Hochgeschwindigkeitszügen des Tagesverkehrs und den Low-Cost Fluggesellschaften“, schreibt die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) zu einer Studie im Auftrag des Internationalen Eisenbahnverbands (UIC). Doch mit den beiden Brothälften nicht genug: Dem Sandwich wurde auch noch ein Gurkenstück beigelegt; Fernbusse, welche durch günstige Tarife zusätzlich auf die Nachtzüge drücken. In der Folge streicht insbesondere die Deutsche Bahn in letzter Zeit fast monatlich Nachtzuglinien aus dem Programm. Mit dem Fahrplanwechsel Mitte Dezember mussten die Nachtzüge von Berlin, Hamburg und München nach Paris sowie von Warschau und Prag nach Amsterdam dran glauben. Auch die Schweiz ist von den Streichungen betroffen: Ende Oktober verliess der letzte City Night Line (CNL) Basel Richtung Kopenhagen. Die Nachtverbindungen nach Rom, die Talgo-Nachtzüge Zürich-Barcelona und die Fernverbindung Basel-Moskau werden schon länger nicht mehr bedient. Immer mehr Leute wehren sich, wenn auch noch zaghaft, gegen die Streichungen: Die letzte Abfahrt des Paris-Berlin-Zugs am 11. Dezember und am 12. Dezember in der Gegenrichtung war von Protestaktionen begleitet. Rund 9000 Personen hatten eine Petition gegen die Abschaffung des Nachtzugs Basel-Kopenhagen unterschrieben.
Ökologisch weit voraus – steuertechnisch hintendrein
Seit über 150 Jahren verkehren in Europa Nachtzüge. Neben ihrer nostalgischen Bedeutung sind sie auch eine bequeme Alternative zu den Billigflügen, die Fahrt kann zum Arbeiten oder Schlafen genutzt werden. Zudem ist die Bahnfahrt deutlich weniger umweltverschmutzend als der Flug. Nehmen wir die eben gestrichene Verbindung von Basel nach Kopenhagen: Während der Flug rund 160 Kilogramm CO2 pro Person verursacht, hat die Zugfahrt mit dem CNL nach Hamburg, von dort mit dem ICE nach Kopenhagen, nur knapp 60 Kilogramm CO2 zur Folge (berechnet mit dem SBB Umweltrechner). Europas Nachtzüge seien „ein bewährtes, effizientes und viel genutztes Mittel des europäischen Radtourismus“ schreiben daher auch die Delegierten von Pro Velo Schweiz in einer Resolution. Sie haben Anfang November das Papier verabschiedet, in dem sie den Bundesrat auffordern, sich für den Erhalt der Nachtzüge einzusetzen. Die SBB sollen für den Erhalt der Nachtzüge einstehen und eine CO2-Abgabe auf Kerosin müsse eingeführt werden.
„Wenn das Angebot stimmt, kommen auch die Leute.“
Stefanie Stäuble, Verkehrsclub der Schweiz (VCS)
Stefanie Stäuble vom Verkehrsclub der Schweiz (VCS) sieht ebenfalls die steuertechnische Bevorzugung des Flugverkehrs als einer der Hauptgründe für die Probleme der Nachtzüge. Sie fordert Politik und Bahngesellschaften zum Handeln auf, ein Effort sei nötig, wie sie gegenüber umweltnetz-schweiz sagt. Gleichzeitig ist sie überzeugt: „Wenn das Angebot stimmt, kommen auch die Leute.“ Dies habe der Ausbau des öffentlichen Verkehrs immer wieder gezeigt. Die Nachtzüge seien nämlich gar nicht so schlecht ausgelastet. Die Bahngesellschaften drückten sich allerdings davor, die Wagen zu erneuern, da sich dies für sie nicht lohne.
Bundesrat sieht sich kaum in der Pflicht
Die Nationalrätin Aline Trede (Grüne) hat im April 2013 dazu eine Interpellation eingereicht. Sie fordert darin ebenfalls den Bund zum Handeln auf. Er solle als Eigner der SBB seinen Einfluss geltend machen, damit die Nachtzugverbindungen nicht verschwinden und die, welche bereits gestrichen wurden, wieder eingeführt werden. Doch der Bundesrat sieht sich kaum in der Pflicht, viel eher scheint er ob der Konkurrenz der Nachtzüge durch die neuen Hochgeschwindigkeitsstrecken zu resignieren. Die Nachfrage nach entsprechenden Nachtzugverbindungen nach Südfrankreich, Spanien und Süditalien sei rückläufig, eine Wiedereinführung gestrichener Verbindungen nicht anzustreben, schreibt der Bundesrat in der Antwort auf die Interpellation. Der Grund: Durch den Flugverkehr günstig angeschlossene Destinationen könnten gemäss SBB mit Nachtzügen nicht rentabel betrieben werden.
Die Verantwortlichen in Politik und Bahngesellschaften wirken wenig motiviert, etwas zu unternehmen. Der Bundesrat vermerkt in seiner Antwort auf die Interpellation Trede: „Angesichts der beschleunigten Tagesverbindungen und der gewachsenen Angebote im Bus- und Flugverkehr haben Nachtzüge die Bedeutung von begrüssenswerten Nischenangeboten.“ Noch desolater tönt es von Seiten des SBB-Chefs Andreas Meyer. Er sagte gegenüber dem VCS: „Wahrscheinlich müssen wir uns eingestehen, dass ein schöner Teil unserer Bahngeschichte zu Ende geht.“
Das Hochgeschwindigkeitsnetz als Chance nutzen
Ist also alle Hoffnung für die Nachtzüge verloren? Die eingangs erwähnte UIC-Studie zeigt, dass mit den beiden Broten um das Sandwich – Hochgeschwindigkeitszügen und Billigfliegern – auch ein schmackhaftes „Eingeklemmtes“ entstehen kann. Die Studie schlägt nämlich vor, das ständig ausgebaute Hochgeschwindigkeitsnetz als Chance zu nutzen. Mit entsprechenden Hochgeschwindigkeits-Nachtzügen mit Spitzengeschwindigkeiten von bis zu 300 km/h wären plötzlich auch Destinationen in 2000 Kilometer Entfernung über Nacht erreichbar. Heutige Nachtzüge fahren maximal 200 km/h. Ob die passenden Hochgeschwindigkeitszüge einen ähnlichen Nostalgiewert wie die alten Wagen hätten, sei dahingestellt – den Fünfer und das Weggli gibt’s leider nicht – auch nicht, wenn daraus ein Sandwich entstehen soll.
Kommentare (0) anzeigenausblenden