Beim Wort „Erdöl“ zuckt jeder Naturfreund und Umweltschützer zusammen. Der Begriff ist in den letzten Jahrzehnten zum Inbegriff für Klimawandel, Umweltzerstörung und Dekadenz geworden. Obwohl seit längerem klar ist, dass die Ölreserven endlich sind, sinkt der Ölpreis derzeit in kaum gekanntem Masse. Ein Fass der Rohölsorte Brent kostete heute Morgen ziemlich genau 50 US-Dollar. Brent ist die wichtigste in Europa verwendete Rohölsorte; sie stammt aus einem Ölfeld in der Nordsee. Der Ölpreis liegt damit so tief wie seit 2009 nicht mehr. Der Grund liegt hauptsächlich darin, dass es mehr Erdöl gibt als gekauft wird.
Ein Kommentar in der Süddeutschen Zeitung zeigt: Investitionen in die Exploration von Öl haben neue, vor Jahrzehnten noch undenkbare Quellen verfügbar gemacht. Der Autor spricht von Fortschritten in der Fördertechnik von Schieferöl, Ölsanden, die besser verarbeitet werden können und Bohrungen auf hoher See, die immer tiefer reichen. Genau diese schwächeren Marktteilnehmer, die von einem genügend hohen Ölpreis abhängen, könnte der Tiefpreis zur Aufgabe zwingen. Saudiarabien und andere Golfstaaten hingegen kommen laut Tagesanzeiger auch mit einem tiefen Ölpreis noch lange gut aus. Sie waren denn auch mitverantwortlich dafür, dass sich die Organisation Erdöl exportierender Länder (Opec) nicht darauf einigen konnte, die Förderquoten zu senken.
Öl auf hoher See lagern
Ölhändler, aber auch Ölkonzerne wie Shell, haben des tiefen Ölpreises wegen begonnen, günstig Öl aufzukaufen und dieses in gemieteten Tankern auf hoher See zu lagern. Laut Süddeutsche Zeitung zum Beispiel wurde dieses Öl schon verkauft, allerdings nicht zum Tiefpreis von heute, sondern zum hypothetisch höheren Preis in einem Jahr. Da die Miete der Tanker vergleichsweise günstig ist, machen die Händler einen satten Gewinn, ohne grosse finanzielle Risiken einzugehen. Schon beim letzten Ölpreiszerfall 2009 wendeten Staaten und Händler diese Praktik an. Damals lagerten über 100 Millionen Barrel Öl auf See.
„Es wird weniger auf den Verbrauch geschaut als bei einem hohen Preis. Es wird unbedacht konsumiert und weniger gespart, was für die Umwelt ungünstig ist.“
Florian Brunner, Schweizerische Energie-Stiftung SES
Laut Handelsblatt hat zum Beispiel Vitol, der grösste unabhängige Ölhändler, einen der grössten Supertanker weltweit gebucht. Die „TI Oceania“ fasst drei Millionen Barrel, also fast eine halbe Milliarde Liter Rohöl. Tanker stellen dabei eine vergleichsweise günstige Lagervariante dar. Dem Handelsblatt zufolge konnten die Händler günstige Mieten aushandeln. Ein Tanker schlägt allerdings immer noch mit bis zu 40‘000 Dollar am Tag zu Buche. Dass sich dies lohnt, liegt daran, dass die Händler darauf spekulieren, dass Rohöl in einem Jahr mehr kosten wird als heute. Bei der Nordseemarke Brent liegt der Preis für die Lieferung Ende 2015 zum Beispiel acht Dollar höher als der derzeitige Preis. Gleichzeitig nehmen die Händler mit der Lagerung auf hoher See Öl vom Markt, was das Überangebot reduzieren und den Preis stabilisieren könnte. Kommt das Öl dann auf den Markt, könnte es potentiell eine Mangelsituation entschärfen, die dann wieder herrschen könnte.
Folgen für die Umwelt
Der tiefe Ölpreis wirkt sich allerdings direkt negativ auf die Umwelt aus. Der Preis für Heizöl ist in der Schweiz im letzten Jahr ebenfalls zusammengebrochen. Gleichzeitig ist auch der Benzinpreis in der Schweiz so tief wie seit Ende 2009 nicht mehr. Der Grundsatz „für die Umwelt ist der höchste Ölpreis der beste“, wie er auf der Website der Schweizerischen Energie-Stiftung (SES) zu lesen ist, wiegt daher aktueller denn je. Oder wie Florian Brunner von der SES präzisiert gegenüber 20 Minuten, was bei sinkenden Preisen passiert: „Es wird weniger auf den Verbrauch geschaut als bei einem hohen Preis. Es wird unbedacht konsumiert und weniger gespart, was für die Umwelt ungünstig ist.“ Laut einem Bericht vom Schweizer Fernsehen SRF füllen viele Kunden bereits jetzt ihre Heizöl-Tanks wieder auf. Dies wird zur Folge haben, dass für den Winter 2015/16 die Nachfrage entsprechend tiefer ausfallen wird; was wiederum zu Rückkoppelungen führt.
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