Ein Vertrag, sie zu knechten und ewig zu binden

Alle Macht den Grosskonzernen, Handel um jeden Preis ? Alle Macht den Grosskonzernen, Handel um jeden Preis ?

Das Freihandelsabkommen TTIP hat aufgescheucht: Versteckt vor der Öffentlichkeit graben die EU und die USA einen Tunnel unter Umwelt-, Sozial- und Menschenrechtsstandards. Die TTIP peilt die weltgrösste Freihandelszone an; das Ziel ist aber weniger, Zollschranken abzubauen, als vielmehr Unternehmen weitreichende Rechte einräumen. Der Investorenschutz ist der umstrittenste Punkt des Abkommens. Die Schweiz ist bisher bei den Verhandlungen nicht dabei, doch wird die TTIP auch am Fuss der Alpen Grabspuren hinterlassen.

Wer zahlt schon gerne!

Grosskonzerne zahlen selber nur sehr ungern Schadenersatz; Dow Chemicals weigert sich zum Beispiel nach wie vor, die Kosten für die Räum- und Reinigungsarbeiten der Chemiekatastrophe in Bhopal zu übernehmen. Das Freihandelsabkommen TTIP (Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft) zwischen der EU und den USA will nun aber Grosskonzernen ermöglichen, selber einen Staat auf Schadenersatz zu verklagen. Nämlich dann, wenn dessen Gesetze die „erwarteten künftigen Profite“ eines Unternehmens schmälern. „Klimaschutz? Schlecht fürs Geschäft mit Kohle; Kohle her!“, könnte es dann bald aus den grossen Büros mit den grossen Tischen klingen. Seit die EU und die USA über die TTIP verhandeln, ist dieser sogenannte Investorenschutz der umstrittenste Punkt des Regelwerks. NGOs befürchten, Demokratie, Rechtsstaat, Umwelt- und Verbraucherschutz auf ewig den Interessen der Wirtschaft unterzuordnen. Das Abkommen könnte nämlich nur unter Einbezug aller Partner wieder angepasst werden. Das Ziel der TTIP wäre eigentlich ein einfaches: Die grösste Freihandelszone der Welt (Tafta) schaffen.

„TTIP wird dazu führen, dass umweltpolitische Fortschritte sehr viel schwieriger zu erreichen sein werden.“
Umweltinstitut München

Mit durchschnittlich drei Prozent sind die Zölle zwischen der EU und den USA bereits heute sehr tief. Die TTIP konzentriert sich daher vor allem auf den Abbau nichttarifärer Handelshemmnisse. Das sind zum Beispiel technische Normen oder Verpackungsvorschriften.

Ausserhalb des Rechtssystems

Dies ist an sich noch nicht problematisch, NGOs wehren sich denn auch am meisten gegen den bereits beschriebenen Investorenschutz. Dieser würde transnationalen Konzerne erlauben, Staaten vor internationale Schiedsgerichte zu zerren; ausserhalb der bestehenden Rechtssysteme angesiedelt, sind die Gerichte vor der Öffentlichkeit verborgen. Basierend auf früheren Freihandelsabkommen gibt es solche Verfahren schon heute. Bekanntes Negativ-Beispiel ist die Klage von Vattenfall gegen Deutschland. Der schwedische Energiekonzern fordert 5 Milliarden Euro Schadenersatz; der deutsche Atomausstieg schade dem Unternehmen.

127 Klagen haben Unternehmen in den letzten 20 Jahren gegen EU-Länder eingereicht; rund 3,5 Milliarden Euro Schadenersatz sind an Investoren und Konzerne geflossen – wahrscheinlich ist die Summe aber noch viel grösser! Fast zwei Drittel der Fälle betrafen Umweltfragen, wie eine Studie von Friends of the Earth Europe aufzeigt. Der Umweltverband befürchtet, Klagen durch Investoren könnten mit der TTIP rasant ansteigen. Die Zahl der Schiedsgericht-Fälle hat sich seit 2000 sowieso schon mehr als verzehnfacht.

Ein ganzes Schiff voller Gründe

Lobby-Organisationen hoffen, ihre Regeln jeweils ennet des Atlantiks aufzwingen zu können: Die US-Schweinefleischproduzenten wollen zum Beispiel das Verbot von Ractopamin in der EU aufheben. Wegen des Gesundheitsrisikos ist dieses Wachstumshormon selbst in Russland und China verboten oder eingeschränkt. Auf der anderen Seite wollen EU-Konzerne das US-Gesetz über die Modernisierung der Lebensmittelsicherheit wieder kippen. Dieses ermöglicht seit 2011, kontaminierte Nahrungsmittel vom Markt zu nehmen, wie die amerikanische Konsumentenschützerin Lori Wallach in einem Artikel in Le Monde diplomatique schreibt.

Die Idee, den Streit zwischen Staat und Investoren mittels Schiedsgerichten zu schlichten und Grosskonzerne auf eine Stufe mit Staaten zu heben, sei angeblich für Entwicklungsländer ohne verlässliches Justizsystem ersonnen worden, schreibt Lori Wallach. Würden zum Beispiel Plantagen enteignet, könnten die Investoren vom verantwortlichen Staat Entschädigungen einfordern. Diese Taktik auf hochentwickelte Staaten zu übertragen, scheint fragwürdig. Die Macht der dreiköpfigen Kammern der Schiedsgerichte ebenfalls: Sie wären unter Aufsicht von UNO und Weltbank, gegen ihre Entscheide könnte keine Berufung eingelegt werden.

Auf seiner Website zeigt das Umweltinstitut München weitere Folgen für die Umwelt auf: Der Landwirtschaft drohe eine Schwemme mit billigem US-Fleisch sowie Rückschritte beim Verbraucher- und Tierschutz. In den USA könnte die TTIP verunmöglichen, dass lokale, nachhaltige Anbieter bevorzugt würden. Gentechnisch veränderte Organismen (GVO) könnten leichter zugelassen werden; GVO-Lebensmittel im Verkauf landen, ohne gekennzeichnet zu sein. Gleichzeitig würde die TTIP den europäischen Markt für problematische fossile Energieträger öffnen: Erdgas aus Fracking und Öl aus Teersanden.

Die Rolle der Schweiz

Die TTIP-Vision klingt nach Albtraum, und auch die Schweiz wird davon betroffen sein: weil mehr als die Hälfte der Schweizer Exporte in die EU und rund 10 Prozent in die USA gehen. Die Schweiz hat aber keinen Zugang zu den laufenden Verhandlungen. Es sei daher noch nicht möglich, die Folgen auf die Schweizer Umwelt-, Verbraucher- und Sozialstandards abzuschätzen, schreibt der Bundesrat. Die Grünen fürchten, die Schweiz würde unter TTIP leiden, auch wenn sie dem Abkommen selbst nicht beitreten sollte. Das Cassis-de-Dijon-Prinzip erlaube zum Beispiel schon heute, dass die EU Produkte in die Schweiz liefern darf, die hiesige Standards nicht erfüllen, schreiben sie in einer Interpellation im Nationalrat. Das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) macht den Verhandlungspartnern derweil schöne Augen, wie ein Artikel der WOZ enthüllte. Das Seco bekunde Interesse daran, der TTIP beizutreten; bereits seien dazu Gespräche aufgenommen worden.

Vielleicht bekommen Europas Verbände also bald Unterstützung aus der Schweiz. Am 18. April findet auf jeden Fall ein weltweiter Aktionstag gegen die TTIP statt. Die Europäische Bürgerinitiative „Stop TTIP“ organisiert den Anlass; bis heute hat sie fast 1,4 Millionen Unterschriften gegen die Abkommen gesammelt. Lori Wallach zeigt sich zum Ende ihres Artikels optimistisch: „Alle bisherigen Versuche, internationale Handelsabkommen als trojanisches Pferd zum Abbau des Sozialstaats und die Rückkehr zu einem neoliberalen Nachtwächterstaat zu benutzen, sind jämmerlich gescheitert.“ Das werde auch dieses Mal so kommen, wenn die Bürger, die Medien und auch einige Politiker endlich aufwachten und die klammheimlichen Versuche, die Demokratie zu untergraben, zum Scheitern brächten.

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