20. Lifefair Forum: Alle Länder sind Entwicklungsländer

Alle Länder sind Entwicklungsländer Alle Länder sind Entwicklungsländer

Ende Jahr werden am Klimagipfel in Paris die neuen 17 globalen Nachhaltigkeitsziele (SDGs = Sustainable development goals) unterschrieben. Dank der intensiven Mitarbeit der Schweiz ist auch die Nummer 16 mit dabei: Frieden und Gerechtigkeit. In diesem Ziel sind die Menschenrechte verankert.

Die Schweiz hat entschieden, sich noch auf drei weitere Ziele zu fokussieren: Gesundheit, Geschlechtergleichstellung sowie Wasser und Sanitation. Von den 169 ineinandergreifenden Unterzielen hat sie sich für die Nachhaltigkeit in Konsum und Produktion, die Reduktion der Katastrophenrisiken sowie Migration und Entwicklung entschieden. Ausser dieser Dreidimensionalität stellt sie auch noch die Finanzierung sowie das Monitoring (Beobachtung) und die konsequente Überprüfung in den Fokus. Aber Achtung: All diese Transparenz nützt nichts, wenn es den Konsumenten nicht interessiert.

Im Gegensatz zu den Millenniumszielen, die auf die Entwicklungsländer ausgerichtet waren, richten sich die SDGs an alle 193 UNO Staaten. In den Zielen ist der Wortlaut jeweils sehr klar. <Applicable to all> (<Anwendbar auf alle>) und <we commit…>, also <wir verpflichten uns>, sind nur zwei Beispiele dafür, wie bestimmt die Ziele formuliert sind.

Der Sonderbeauftragte für globale nachhaltige Entwicklung des EDA, Botschafter Michael Gerber…

sieht die SDG-Verhandlungen als ein visionäres Projekt. Sie sind kein rechtlich verbindlicher Vertrag. So stimmen auch weder Volk noch Parlament darüber ab. Die aussenpolitische Kommission des Parlaments hat es hingegen beraten und für gut befunden. Der Bundesrat wird die Papiere im Dezember in Paris unterschreiben. Der Botschafter ist überzeugt, dass die Wirkung so in hohem Mass positiv ausfallen wird. Wären es rechtlich verbindliche Verträge, würden sie vor der Zeichnung durch die Staaten so verwässert, dass sie zum reinen Papiertiger verkämen.

Auch in den Augen von Thomas Vellacott, CEO von WWF Schweiz…

sind die SDGs eine riesige Chance. Er setzt den Fokus auf die rasante Entwicklung von heute. Wir hätten die Angewohnheit das Schlechte aus der Vergangenheit gedanklich zu extrapolieren, obwohl sich in der neueren Vergangenheit sehr vieles rasant verbessert habe. Da aber nichts von selber passiert, sei es wichtig, am Ball zu bleiben. Nach wie vor werden ¾ der Energie, die die Schweiz braucht, importiert. Über 13 Milliarden Franken werden jährlich für fossile Brennstoffe ausgegeben. Zudem sind die Schweizer Banken die weltweit grössten Geldgeber in der Kohleförderung.

Ian Roberts, CTO - also technischer Direktor - der Bühler Gruppe…

betonte die positive Wirkung des privaten Sektors. Der Markt für nachhaltige Investitionen sei in der Schweiz seit 2005 um 23 % gestiegen auf knapp 57 Mia. Schweizer Franken. Trotzdem ist es nur ein Anteil von 4 % am gesamten Markt. Bis anhin haben insgesamt 220 Firmen und Organisationen – vorwiegend Familienunternehmen - erkannt, dass man längerfristig nur dann grüne Zahlen schreiben kann, wenn man die Nachhaltigkeit beachtet.

Ein Beispiel: Die Bühler Gruppe stellt Maschinen für die Nahrungsmittelverarbeitung her. Weltweit werden 1/3 allen Maises und 70 % des Mehls mit ihren Maschinen verarbeitet. Ihr ultimatives Ziel ist das Gleiche wie das jeder anderen Firma: Gewinn zu erzielen.Der Weg dahin setzt allerdings Massstäbe. Ihre Zielsetzung ist es, die Versorgungssicherheit zu gewährleisten, die Nährstoffqualität zu erhalten und dabei energetische sowie organische Abfälle möglichst zu vermeiden; eben eine möglichst nachhaltige Produktionskette. Sie und drei weitere Firmen haben sich auf Bitten einer NGO zur sehr engen Zusammenarbeit und kompletten Transparenz entschieden. Die Firma Bühler baut ihre Fabriken vor Ort. Reis wird beispielsweise in Indien verarbeitet. Seine Verarbeitung ist eine Wissenschaft für sich, doch lokal hat sie eine lange Tradition. So geschieht, was heute viel schwieriger ist als die reine Finanzierung: der Wissenstransfer. Die SDGs, meint er, können eine grossartige Chance sein für weitere solche Kollaborationen.

Business as usual geht nicht mehr.“ Botschafter Michael Gerber

Dr. Jan Atteslander von der economiesuisse…

streicht die Eigendynamik heraus, die entstehen kann, wenn Knowhow vor Ort genutzt wird. Er findet die SDGs sehr ambitioniert und wünschte sich, dass vermehrt auch wissenschaftlich geforscht und nicht einfach umgesetzt wird, was irgendwer mal behauptet hat. Er betonte auch die Wichtigkeit des Zugangs zu den Weltmärkten. Das heutige Handelssystem schliesst Kleinbauern häufig vom Weltmarkt aus und bevorzugt grosse Industrienationen. Reiche Länder können ihre eigenen Märkte recht effizient abschotten, während sie beispielsweise afrikanische Märkte mit ihrem subventionierten Billiggemüse überfluten und so die Strukturen der lokalen Landwirtschaft zerstören.

Auch Antoinette Hunziker-Ebneter sagt…

<Verantwortung ist nicht delegierbar>. Sie ist überzeugt, dass jeder einzelne von uns mit gesundem Menschenverstand erkennen kann, wenn Firmen nur so tun, als ob sie grün wären. Gerade in der Reaktion auf Krisensituation erkenne man ‘Greenwashing‘ meist schnell.

In der Schweiz seien gut 50 Milliarden Franken nachhaltig angelegt. Alleine die Pensionskassen verwalten ein Vermögen von 700 Milliarden Franken. Wenn man kein grosses eigenes Vermögen hat, welches man in nachhaltige Projekte investieren kann, so kann doch jeder bei seiner Pensionskasse nachhaken und sie bitten, in Nachhaltigkeit zu investieren.

Frau Hunziker-Ebneter ist sich übrigens gewiss, dass nach dem US-Konzern Walmart nun auch die Volksrepublik China rasant auf den Bio-Zug aufspringen wird und in 15 Jahren, wenn die SDGs offiziell ersetzt werden, Vorreiterin in Nachhaltigkeit sein wird. Weltweit ist es zudem unerlässlich, dass man die externen Kosten internalisiert. Dass also beispielsweise die Entsorgungskosten für Atommüll in den Stromkosten und der CO2- Ausstoss der Flughimbeeren in den Kilopreis integriert werden.

Empfehlung: Der am 20. Lifefair Forum gezeigte Film von David Syz <Hunger - genug ist nicht genug>
Der Film startet in Rom bei der FAO (Food and Agriculture Organisation der UNO), wo deutlich wird, dass die Regeln des Markts in der Vergangenheit von den reichen Ländern diktiert wurden. Er erzählt, dass ein eher kleiner Farmer in den USA eine Fläche von 850 ha bewirtschaftet; das ist fast die 50-fache Fläche des durchschnittlichen Schweizer (18.3 ha) und das 500-fache des durchschnittlichen Afrikanischen Bauern.
Er verurteilt auch das Landgrabbing, das er als <Neokolonialismus> bezeichnet. Er sieht die drei Hauptprobleme fremder Grossgrundbesitzer darin, dass sie kein Geld in die lokale Wirtschaft pumpen, keine Kooperation mit der lokalen Bevölkerung anstreben und ihre Anlagen Fremdkörper in der Landschaft sind.
In Senegal hat ein einzelner Visionär – Bassum – mit Hilfe von Brot für Alle mittlerweile 1000 Dörfer dazu gebracht, zusätzlich zu den eigenen noch ein gemeinschaftliches Feld zu beackern, welches als Notvorrat für die Trockenzeit bestellt wird. Anfangs hat er dafür sein Leben riskiert. Die Kleinbauern waren nicht bereit zusammenzuarbeiten, da sie aus Gewohnheit lieber auf die Hilfe von oben warteten. <Heute sind die Dörfler Stolz darauf, ihre Würde zu behalten>. In den Köpfen vieler Afrikaner sind der Glaube an Hierarchie und die Resignation, mit ihrem Platz zufrieden zu sein, offenbar tief verwurzelt. Erst wenn genügend Menschen ihre Mentalität ändern, werden Diktatoren abgesetzt. Erst wenn die Bevölkerung neu gelernt hat, dass nicht alles Gute von Oben kommt, wird sie ihr Schicksal selber in die Hand nehmen.

Weitere Informationen:
LifeFair Forum
David Syz Dokumentarfilme

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