Die Strassenlobby vergleicht Besitzer von Autos und Lastwagen mit Milchkühen. Diese gäben mehr Milch respektive zahlten mehr Treibstoff- und andere Steuern, als der Staat für den Bau und Unterhalt der Schweizer Strassen ausgibt. Darum fordert sie mit ihrer «Initiative zur fairen Verkehrsfinanzierung (Milchkuh-Initiative)», alle Steuereinnahmen, die der Bund von den Strassenbenutzern kassiert, seien für die Finanzierung der Strassen zu verwenden.
Auf den ersten Blick stimmt der Befund: Die Einnahmen aus dem Strassenverkehr (Treibstoffsteuern, Motorfahrzeugabgaben, Schwerverkehrsabgaben etc.) belaufen sich laut neuster Schweizer Strassenrechnung fürs Jahr 2012 auf 9,9 Milliarden Franken. Diese überschreiten die Strassenausgaben von Bund, Kantonen und Gemeinden (zusammen 8,4 Mrd.) um 1,5 Milliarden Franken.
Ungedeckte Verkehrskosten
Doch diese Rechnung ist nicht vollständig. Denn die automobilen Kühe, um beim Bild zu bleiben, liefern nicht nur Milch. Sie hinterlassen auch Mist in Form von Abgasen, Lärm und Unfällen. Die Umwelt-, Lärm-, Krankheits- und Unfallkosten, die der Strassenverkehr verursacht, aber nicht selber bezahlt, sondern auf die Allgemeinheit abwälzt, bezeichnet der Bund als «externe Kosten»».
Diese externen Schweizer Verkehrskosten lässt das Bundesamt für Raumentwicklung periodisch erfassen. Laut jüngster Erhebung summierten sich diese im Jahr 2012 auf 9,8 Milliarden Franken, Tendenz leicht steigend. Davon entfallen 8,0 Milliarden allein auf den Strassenverkehr; der Rest auf den Schienen-, Luft- und Schiffsverkehr. Zieht man die externen Kosten des öffentlichen Strassenverkehrs (Tram und Busse) sowie des sogenannten Langsamverkehrs (Unfälle von Fussgängern und Velos) ab, so bleiben 6,9 Milliarden Franken an den motorisierten «Milchkühen» (Auto, Töff, Lastwagen, etc.) hängen.
Dem Infrastruktur-Gewinn von 1,5 Milliarden aus der Strassenrechnung steht damit ein Verlust von 6,9 Milliarden externen Kosten gegenüber. Unter dem Strich bleiben damit Kosten von 5,4 Milliarden Franken, die der Schweizer Strassenverkehr verursacht, aber nicht bezahlt. Diese ungedeckten Kosten entsprechen einem Anteil von elf Prozent an den Gesamtkosten des Schweizer Strassenverkehrs (51,5 Milliarden, inklusive von den Besitzern bezahlte Fahrzeugkosten).
Keine exakte Wissenschaft
Zurück zu den externen Kosten des privaten Motorfahrzeugverkehrs. Vom Total von 6,9 Milliarden Franken entfallen je 1,5 Milliarden auf abgasbedingte Krankheiten und auf Beeinträchtigungen durch den Lärm. Die Folgen des Klimawandels, welche die verkehrsbedingten CO2-Emissionen verursachen, kosten 1,3 Milliarden, die Unfälle 1,0 Milliarden. Die verbleibenden 1,6 Milliarden verteilen sich auf verkehrsbedingte Schäden an Gebäuden, Böden, Natur und Landschaft.
Die Berechnung dieser Beträge basiert auf einer Vielzahl von Studien im In- und Ausland. Trotzdem handelt es sich bei der Monetarisierung und Zuordnung von Lärm-, Klima- oder Krankheitskosten nicht um eine exakte Wissenschaft. Vertreter von Verkehrsträgern, die sich von der Überwälzung dieser Kosten bedroht fühlen, werten die Erfassung der externen Kosten darum gerne als «Polit-Arithmetik» ab.
«Auch Nutzen berücksichtigen»
«Wenn man den Automobilisten externe Kosten anrechnen will», sagt etwa Andreas Burgener, Direktor der Vereinigung Schweizer Automobil-Importeure, «muss man auch den volkswirtschaftlichen Nutzen des Autoverkehrs berücksichtigen.» Auf den Einwand, dieser Nutzen sei nicht extern, sondern internalisiert (denn ohne Nutzen würde niemand herumfahren), antwortet Burgener: «Wenn der Strassenverkehr still steht, steht die ganze Volkswirtschaft still.»
Der Streit um die verursachergerechte Anrechnung aller Kosten betrifft auch den öffentlichen Verkehr. Zwar sind die Umwelt- und Unfallkosten von Bahnen, Trams und Bussen mit rund einer Milliarde Franken pro Jahr viel geringer als jene des motorisierten Strassenverkehrs. Doch die Tarife des öffentlichen Verkehrs decken nur etwa die Hälfte aller Infrastruktur- und Betriebskosten der Verkehrsbetriebe, zeigt etwa die Eisenbahnrechnung. Liberale Ökonomen fordern darum volle Kostenwahrheit für alle Verkehrsträger.
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