„Als antikoloniale Kritik an der Fremdbestimmung von Staaten durch die internationalen Handelsregeln der WTO“ – so präsentierte die internationale Kleinbauernorganisation „La Via Campesina“ das Konzept der Ernährungssouveränität am Ernährungsgipfel in Rom 1996. Staaten sollen ihre Agrar- und Ernährungspolitik eigenhändig und auf demokratische Weise definieren können; sie sollen souverän – vom mittellateinischen superanus ‚darüber befindlich‘, ‚überlegen‘, also selbstbestimmt – wirtschaften dürfen.
Am 23. September entscheidet das Schweizer Stimmvolk über die vom Schweizer Bauernverband lancierte Initiative für Ernährungssouveränität.
Lokal, gerecht und gesund
Bauern können immer weniger von ihrer Arbeit leben, und Konsumenten mit kleinem Portemonnaie haben nur begrenzten Zugang zu einheimischen Bio-Produkten. Schuld daran ist unter anderem die durch Freihandel ermöglichte Auslagerung der Nahrungsmittelproduktion in Länder, in denen die Löhne tiefer sind als hier in der Schweiz. Die Initiative kämpft gegen das Bauernsterben und die damit schwindende Ernährungssouveränität. Die entworfenen Massnahmen laufen im Endeffekt alle auf mehr einheimische Landwirtschaft und weniger Importe von Produkten internationaler Konzerne hinaus. Indem wir uns auf die eigenen Ressourcen konzentrieren, schliessen wir Kreisläufe enger und produzieren unsere Nahrung wieder nachhaltiger, so die „Allianz für Ernährungssouveränität“.
So soll der Bund Exporte landwirtschaftlicher Erzeugnisse nicht weiter subventionieren, sowie deren Import - falls nicht den schweizerischen Normen entsprechend - verbieten oder zumindest mit dem Erheben von Zöllen begrenzen können. Ausserdem soll die Zahl der in der Landwirtschaft tätigen Personen gesteigert und ein besonderes Augenmerk auf deren schweizweit einheitliche und gerechte Entlohnung gerichtet werden. Ausserdem betonen die Initianten, dass sich durch den Ausbau von Strukturvielfalt sowie das Verbot von Gentechnik die Produktion und damit automatisch unsere Ernährung ausgewogener gestalten würde.
Ein Recht auf Billigprodukte
Der Bundesrat und das Parlament lehnen die Initiative ab. Primär, weil sie Lebensmittel verteuere, die Schweiz isoliere und damit der Wirtschaft schade. Zölle auf landwirtschaftliche Importprodukte würden den Freihandel gefährden; das dadurch verkleinerte Angebot zu höheren Preisen, zunehmendem Einkaufstourismus und einer reduzierten Konkurrenzfähigkeit auf dem internationalen Markt führen. Der geforderte Zuwachs an landwirtschaftlichen Arbeitsplätzen schüfe zwar mehr Höfe - da diesen aber nicht automatisch mehr Fläche zustände, würden sie kleiner ausfallen und deswegen nicht mehr kostendeckend produzieren können. Alles in allem hätte dies – so Bundesrat Johann Schneider-Ammann – eine unbezahlbare „Subventionitis“ zur Folge.
Ähnlich wie bei der Fair-Food Initiative kritisieren die Gegner den Staatsintervenismus: Von einer Bevormundung der selbstbestimmten Bürger spricht Schneider-Amman; für eine freie Wahl zwischen Discounter-Produkten und einheimischen Bio-Produkten plädieren die Befürworter in zahlreichen Kommentarspalten. Diese Wahl sei allerdings bereits heute mit den bestehenden Produkte-Labels bestens gewährleistet – die Initiative somit unnötig und die zusätzliche Bürokratie viel zu teuer.
Quellen
Ernährungssouveränität
Initiativtext
Initiative für Ernährungssouveränität: Schneider-Amman warnt vor Annahme
Abstimmungs-Arena (srf)
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