Nach dem Nein zum CO2-Gesetz und den Trinkwasser- und Pestizidinitativen steht die Schweiz umweltpolitisch wieder mit leeren Händen da. Am 23. Juni verabschiedete der Bundesrat nun einen Aktionsplan für die kommenden zwei Jahre sowie einen Strategieplan für 2030. Sie sollen die Schweiz in Sachen Nachhaltige Entwicklung auf den richtigen Kurs bringen.
Ob die neue Strategie aber wirklich federführend in der Schweizer Umweltpolitik sein wird, ist fraglich. Laut dem Hilfswerk Helvetas, das die neue Strategie des Bundesrates für nachhaltige Entwicklung bis 2030 analysierte, ist das nicht der Fall: Sie stehe für «Bedächtigkeit und schöne Worte», die Strategie «umschifft heisse Eisen, wie etwa die Regelung des Finanzmarkts».
Nachhaltige Entwicklung 2030
Schon die Erarbeitung der Strategie für nachhaltige Entwicklung war langsam und bedächtig. Der Bundesrat liess zunächst die alte Strategie 2019 auslaufen, ohne eine neue zu präsentieren. Erst ein Jahr später, Ende 2020, wurde der Entwurf einer neuen «Strategie Nachhaltige Entwicklung 2030» (SNE 2030) in die Vernehmlassung geschickt. In dieser legt der Bundesrat in drei Schwerpunktthemen Ziele sowie nationale und internationale Stossrichtungen für unsere Politik fest. In den Bereichen «nachhaltiger Konsum und nachhaltige Produktion», «Klima, Energie und Biodiversität» sowie «Chancengleichheit und sozialer Zusammenhalt» sieht der Bundesrat besonderen Handlungsbedarf. Leitlinien für die Agenda sind dabei die 17 nachhaltigen Entwicklungsziele (Sustainable Development Goals) der Vereinten Nationen.
Nachhaltiger Konsum und nachhaltige Produktion
Laut Bundesbericht hat der Schweizer Konsum seit Mitte der 1990er-Jahre doppelt so stark zugenommen wie das Bevölkerungswachstum. Zudem fallen in der Schweiz jedes Jahr zwischen 80 und 90 Millionen Tonnen Abfälle in den verschiedenen Phasen der Produktion, der Verpackung, des Transports, der Verteilung und des Verbrauchs von Produkten an. Ein zunehmender Anteil der in der Schweiz konsumierten Güter wird dabei aus dem Ausland geliefert oder aus importierten Rohstoffen oder Zwischenprodukten hergestellt. Es bedarf deshalb an Massnahmen sowohl im Inland als auch im Ausland, um die Förderung nachhaltiger und transparenter Lieferketten sicherzustellen.
Der Bundesrat strebt in diesem Bereich an, das Bewusstsein der Bevölkerung über die wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Auswirkungen ihres Lebensstils zu stärken. Die Konsumentinnen und Konsumenten sollen Zugang zu den nötigen Informationen erlangen, um Kaufentscheide zu fällen, die zu einer Reduktion des Verbrauchs von natürlichen Ressourcen und einer Minderung ihrer negativen sozialen und ökologischen Auswirkungen beitragen. Damit Herr und Frau Schweizer dann auch nachhaltige Güter und Dienstleistungen konsumieren können, soll das Angebot gestärkt werden. Zudem will der Bundesrat bestehende finanzielle Anreize für die Verwendung fossiler Energieträger aufzeigen und «auf deren Vermeidung hinwirken».
Ob diese Appelle an das Bewusstsein der Menschen allein zielführend sind, ist fraglich. Der Bevölkerung ist schon seit vielen Jahren bekannt, dass das individuelle Verhalten eine wichtige Rolle beim Klimaschutz spielt. Dennoch ändern die meisten Menschen ihr Verhalten kaum, denn ihr eigenes Handeln wird von Statusbedürfnissen, Preis, Bequemlichkeit und Werbung beeinflusst. Laut Geer Van Dok, Koordinator der politischen Kommunikation bei Helvetas, und Eva Schmassmann, Geschäftsführerin der Plattform Agenda 2030, braucht es stärkere Massnahmen wie etwa Regeln und Mindestanforderungen seitens des Bunds, der Kantone und Gemeinden.
Klima, Energie und Biodiversität
Bereits heute sind die Auswirkungen des Klimawandels spürbar. Systematische Klimaaufzeichnungen zeigen, dass sich die Schweiz im Vergleich zur Durchschnittstemperatur der vorindustriellen Referenzperiode von 1871 bis 1900 heute schon um 2°C erwärmt hat. Das ist mehr als das Doppelte der durchschnittlichen globalen Erwärmung von 0,8°C. Mit dem ungebremsten Klimawandel nehmen die Häufigkeit und die Intensität von Hitzewellen, Trockenheit, und schneearmen Wintern einerseits, von Starkniederschlägen, Hochwasser, Hangrutschungen andererseits weiter zu. Dazu kommen hitzebedingte Todesfälle, gesundheitliche Beeinträchtigungen — unter anderem eine Verbreitung tropischer Krankheiten — bis hin zu Ernteausfälle, Waldschäden sowie die Ausbreitung von Schädlingen. Es sind deshalb dringlich Massnahmen gefordert.
Die Bereiche Klima, Energie und Biodiversität sind eng miteinander verknüpft und beeinflussen sich gegenseitig. So erhöht der Klimawandel den Druck auf die Biodiversität: Massnahmen zum Klimaschutz beeinflussen die Biodiversität, und Umstellungen im Energiebereich zeigen Auswirkungen auf das Klima. Umgekehrt wirken die Biodiversität und ihre Ökosystemleistungen auf die Klimaentwicklung ein. Der Klimawandel lässt sich kaum mehr aufhalten — wir brauchen deshalb intakte und reichhaltige Ökosysteme, um die Veränderungen bewältigen zu können.
Ein Hauptziel muss zuallererst die Reduktion von Treibhausgasemissionen um 50 Prozent gegenüber 1990 sein; besonders in den Bereichen Verkehr, Gebäude, Industrie, Energie und Landwirtschaft hierzulande, aber auch im Ausland. Denn rund zwei Drittel des Treibhausgasfussabdruckes der Schweiz fallen im Ausland an. Bis 2050 strebt der Bundesrat noch immer das Netto-Null-Ziel an. Das nun versenkte CO2-Gesetz wäre ein wichtiger Schritt hin zu diesem Ziel gewesen — wie dieses nun ohne das Gesetz erreicht werden soll, bleibt abzuwarten. Zusätzlich will sich der Bundesrat stärker darum bemühen, einheimische Arten zu schützen und ihr Aussterben so weit wie möglich zu unterbinden. Das setzt aber die Zusammenarbeit zwischen Konfliktgruppen mit gegensätzlichen Nutzungsinteressen voraus, u.a. der Landwirtschaft und Siedlungsentwicklung. Selten gehen solche Interessenkonflikte zu Gunsten der Umwelt aus.
Die Strategie Nachhaltige Entwicklung 2030 weist die Schweiz zwar in die richtige Richtung, wird wohl aber nicht den strukturellen Wandel erwirken, der so dringend nötig ist. Bis 2030 eine nachhaltige Welt zu schaffen, ist ein nahezu unmögliches Ziel — es sei denn, es kommen radikale Veränderungen.
Quellen und weitere Informationen:
Strategie Nachhaltige Entwicklung 2030
Helvetas (09.07.2021): Keine Eile bei der nachhaltigen Entwicklung
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