Atomkraft ist grün? Alles andere als!

Atomkraft soll schon bald zu einer „grünen Technologie“ werden Atomkraft soll schon bald zu einer „grünen Technologie“ werden

Die neue Taxonomie für grüne Investitionen der EU-Kommission soll Greenwashing verhindern — und tut es gleich selbst.

Die sogenannte Taxonomie der EU-Kommission sollte eigentlich das Leben für grüne Investorinnen und Investoren leichter machen. Sie legt nämlich fest, welche Unternehmen als nachhaltig gelten und welche nicht. Damit sollte sie Privatinvestorinnen und den Finanzmärkten dabei helfen, nachhaltige Investments zu erkennen.

Mit ihrem Entwurf vom 31. Dezember vergangenen Jahres sorgte die Kommission entgegen ihrer Ziele jedoch für grosse Verwirrung: Sie schlägt vor, sowohl die Atomkraft als auch Erdgas als «grüne Technologie» zu klassifizieren.


Wie kommt es dazu?

Mit dem neuen Klassifizierungssystem will die EU eigentlich verhindern, dass Anlagefonds und Firmen Greenwashing betreiben — sich also als grüner verkaufen, als sie es wirklich sind. Damit soll mehr Geld in klimafreundliche Aktivitäten gelenkt werden.

Weshalb nun plötzlich auch die Atomkraft — trotz all ihrer Risiken — als umweltfreundlich gelten soll, liegt wohl an der Definition dieser Kategorie: Das EU-Recht sieht ab 2022 vor, dass Energie- und Wärmeerzeugungstechnologien, die weniger als 100 Gramm CO2 pro Kilowattstunde (kWh) ausstossen, als «ökologisch nachhaltig» gelten. Diese Kriterien treffen auf erneuerbare Energiequellen wie Sonnen-, Wind- und Wasserkraft zu, aber eben auch auf Atomkraft. Unter der Taxonomie soll Atomkraft bis 2045 als nachhaltig klassifiziert werden, sofern die radioaktiven Abfälle „sicher entsorgt“ werden und die Atommeiler den „neusten technischen Standards“ entsprechen. Einen Plan zur Entsorgung des hoch-toxischen Atommülls müssen Länder, in denen AKWs stehen, aber erst bis 2050 vorlegen.

Etwas anders sieht es mit der Umdeutung von Erdgas aus: Dieses soll als «Übergangsenergie bis 2035» gelten, sofern das Gaskraftwerk weniger als 270 Gramm CO2 pro kWh ausstösst. Heutige Erdgaskraftwerke stossen rund 340g CO2 pro kWh aus. Damit setzt die EU-Kommission schon mal erste Hürden.
Die Grenzwerte für Erdgas sollen jährliche Treibhausgasemissionen von durchschnittlich 550 kg CO2e pro kW installierter Leistung (über 20 Jahre hinweg berechnet) nicht überschreiten, sodass Gaskraftwerke nicht das ganze Jahr durchlaufen können, sondern als Ergänzung zu erneuerbaren Energien eingesetzt werden. Ab 2035 dürften sie dann gar kein CO2 mehr ausstossen; sie müssten also mit Wasserstoff betrieben werden.

 

Warum Atomenergie immer wieder als „nachhaltig“ angesehen wird
Atomkraftwerke werden immer wieder als emissionsfreie Energiequellen angepriesen. Das ist aber ein Mythos, der wohl daher rührt, dass nur die Prozesse im AKW selbst in Betracht gezogen werden. Atomkraftwerke basieren auf einer endlichen Ressource, dem Uran. Die Gewinnung, Aufbereitung und der Transport von Uran verursachen CO2. Uran ist zudem eine sehr seltene Ressource. Es wird geschätzt, dass es noch vor dem Erdöl erschöpft sein wird. Zusätzlich benötigen die Reaktorstilllegung (z.B. für Wartungsarbeiten) und die Atommüllentsorgung sehr viel Energie — praktisch immer fossile Energie, die wiederum CO2 verursacht. Keine Technologie ist so teuer und riskant wie Atomkraft. Eine Kilowattstunde aus einem neuen AKW kostet mindestens dreimal so viel wie die Effizienzmassnahmen, die die gleiche Menge an Energie einsparen würden. Auch erneuerbare Technologien wie Wind- und Sonnenenergie ersetzen eine aus fossilen Quellen produzierte Kilowattstunde an Energie zu einem viel günstigeren Preis. Und damit ist die massive Endlagerproblematik noch nicht einmal angesprochen: Bis heute ist tonnenweise radioaktiver Atommüll angefallen, der „sicher“ gelagert und zum Teil über eine Million Jahre von der Biosphäre abgeschirmt werden muss. Ein geeignetes Endlager dafür gibt es bis heute weltweit nicht.


Greenwashing höchsten Grades

Der Vorschlag der EU-Kommission ist hart umstritten — mit gutem Recht. Die neue Klassifizierung ist nichts anderes als Greenwashing, welches ja eigentlich mit der EU-Taxonomie verhindert werden soll.
Starke Opposition kommt vor allem aus Deutschland und Österreich. Letzteres überlegt sich gar, gegen die Vorlage der EU-Kommission Klage einzureichen. Auch Luxemburg, Dänemark und Spanien haben ihren Widerstand gegen den Vorschlag zum Ausdruck gebracht.

Die EU-Mitgliedsländer hätten zunächst bis zum 12. Januar Zeit gehabt, den Entwurf zu kommentieren. Die EU-Kommission hat jedoch mittlerweile die Frist für die Stellungnahmen auf den 21. Januar verschoben. Es scheint derzeit unwahrscheinlich, dass die Atomkraft-Opposition über eine ausreichende Mehrheit verfügt, um ein Veto gegen den Entwurf zu erheben. Dazu müssten sich mindestens 20 Länder im EU-Rat zusammenschliessen, die gemeinsam mindestens 65% der Gesamtbevölkerung der EU vertreten.

Ein kleiner Trost bleibt, denn die neue Taxonomie bringt mehr Transparenz: Künftig soll offengelegt werden, was in einem Portfolio genau drinsteckt. Zu hoffen bleibt also nur noch, dass ein Ökofonds keine grünen Anlegerinnen anzieht, wenn er Atom- und Gaskraftwerke beinhaltet.


Eine Sache des Geldes

Letztendlich geht es um Geld. Werden Atom- und Gaskraftwerke als „nachhaltig“ eingestuft, können Investoren in Zukunft das zur Verfügung gestellte Kapital in ihrem Nachhaltigkeitsbericht entsprechend ausweisen. Ländern wie Frankreich, die stark auf Atomenergie setzen, kommt die neue Bestimmung sehr gelegen. Damit können sie einen Teil der immensen Kosten, die im Zusammenhang mit AKWs entstehen, auf Privatinvestorinnen abwälzen: EU-Binnenmarkt-Kommissar Thierry Breton sprach in einem Interview mit der Zeitung „Journal du Dimanche“ von einem Investitionsbedarf von 50 Milliarden Euro bis 2030, um bereits existierende Atomreaktoren in Schuss zu halten. Ein grosser Teil des Geldes wird in seinem Heimatland Frankreich benötigt. Dort stehen derzeit 15 von 56 Reaktoren wegen technischer Probleme und Wartungsarbeiten still. Weitere 500 Milliarden Euro werden laut Breton bis zum Jahr 2050 für den Bau neuer AKWs benötigt. Anders sei es unmöglich, dass Europa bis 2050 klimaneutral werde.


Atomkraft ist nicht klimaneutral

Mit der Aufrüstung der Atomkraft ginge es aber in die falsche Richtung, denn AKWs sind nicht CO2-neutral. Von der Aufbereitung und dem Transport von Uran über die Reaktorstilllegung (z.B. für Wartungsarbeiten) bis zur Atommüllentsorgung werden entweder direkt oder indirekt CO2-Emissionen verursacht. Hat ein AKW einmal ausgedient, muss es stillgelegt werden. Der Rückbau ist ein energieintensiver, jahrzehntelanger Prozess, der schlussendlich tonnenweise radioaktive Abfälle zurücklässt.

Mit den immensen Kosten, die beim Bau, Betrieb und insbesondere beim Rückbau eines AKWs anfallen, könnten klimaneutralere Energietechnologien gefördert und ausgebaut werden. Laut einer Kurzstudie der Schweizerischen Energie-Stiftung wäre bspw. der Bau von Photovoltaikanlagen mit gleicher Produktionskapazität dreimal so schnell wie der Neubau eines AKWs. Die gesetzten Klimaziele könnten mit dem Ausbau von erneuerbaren Energien somit viel schneller erreicht werden als mit neuen AKW.

 

Quellen und weitere Informationen:
Europäische Kommission (01.01.2022): EU-Taxonomie: Kommission leitet Expertenkonsultation zu ergänzendem delegierten Rechtsakt über bestimmte Kernenergie- und Gastätigkeiten ein
Le Journal du Dimanche (09.01.2022): Thierry Breton: „Il faudra investir 500 milliards d’euros dans les centrales nucléaires de nouvelle génération“
Schweizerische Energie-Stiftung: Atomstrom bringt keine Lösung des Klimaproblems
Schweizerische Energie-Stiftung: Kurzstudie
wissen.de: Rückbau: Wie entsorgt man ein Atomkraftwerk?

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